Schuldenbremse – BEIGEWUM

Stichwort: Schuldenbremse


10.6.2013: Über Österreich, Deutschland und Europa. Vor der Wahl ist nach der Wahl.

Mai. 26th 2013 — 15:22


Podiumsdiskussion „Über Österreich, Deutschland und Europa. Vor der Wahl ist nach der Wahl.“


Mo., 10. Juni, 18:30 in der Fach­buch­hand­lung des ÖGB-Ver­lags (Rat­haus­stra­ße 21, 1010 Wien) oder online.

Dis­kus­sion mit Jana Schult­heiss (BEIGEWUM/​Buch­pro­jekt „Mythen des Spa­rens“), Wolf­gang Lieb (Nach­Denk­Sei­ten), Mar­kus Mar­ter­bau­er (AK Wien/​Blog Arbeit&Wirtschaft); Mode­ra­tion: Katha­rina Klee (Zeit­schrift Arbeit&Wirtschaft)


Anmel­dung: veranstaltung@oegbverlag.at oder auf Face­book


Im Herbst 2013 fin­den Natio­nal­rats­wah­len in Öster­reich und die Bun­des­tags­wahl in Deutsch­land statt, im Mai 2014 dann auch die Euro­pa­wahl. Sowohl Deutsch­land als auch Öster­reich sind im Ver­gleich mit den meis­ten ande­ren EU ‑Län­dern gut durch die Kri­se gekom­men. Gleich­zei­tig mei­nen vie­le, die bei­den Län­der hät­ten weni­ger zur Lösung der Kri­se bei­getra­gen als sie wirt­schaft­lich könn­ten und man poli­tisch von ihnen erhof­fen wür­de. Deutsch­land ver­schärft durch sei­ne Vor­ga­ben sogar den Aus­teri­täts­kurs, die Wett­be­werbs­ori­en­tie­rung und die neo­li­be­ra­le Aus­rich­tung der EU ‑Stra­te­gie und auch Öster­reich muss sich den Vor­wurf gefal­len las­sen, nicht viel dage­gen zu tun. Wo aber sind die tat­säch­li­chen Spiel­räu­me für eine alter­na­ti­ve, eman­zi­pa­to­ri­sche Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­po­li­tik in der EU?


Eine Ver­an­stal­tung der „Arbeit&Wirtschaft“ in Koope­ra­ti­on mit den Nach­Denk­Sei­ten, dem ÖGB-Ver­lag und dem BEIGEWUM … mit anschlie­ßen­dem Buffet.


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Spanien als Musterbeispiel für scheiternde europäische Austeritätspolitik

April. 2nd 2012 — 14:33

Trotz – bzw. gera­de wegen – meh­re­rer Spar­pa­ke­te und Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung fin­det Spa­ni­en kei­nen Halt. Zusätz­lich zur pro­gnos­ti­zier­ten Schrump­fung der Wirt­schaft um 1,7 % und wei­ter­hin stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit (Stand Febru­ar: 23,6 %; Jugend­ar­beits­lo­sig­keit 50,5 %) kommt nun ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket, das die Rezes­si­on merk­lich ver­schär­fen wird. Damit ent­wi­ckelt sich das bud­get­po­li­tisch vor der Kri­se als vor­bild­lich gel­ten­de Spa­ni­en neu­er­lich zu einem Vor­zei­ge-Mit­glied­staat – dies­mal aller­dings für eine schei­tern­de euro­päi­sche Austeritätspolitik.

Meh­re­re Fak­to­ren tra­gen zu die­sem Schei­tern bei. Der wich­tigs­te ist die Wirt­schafts­kri­se, die auf­grund der natio­na­len Immo­bi­li­en­kri­se deut­lich stär­ker aus­fiel und auch nicht so rasch über­wun­den wer­den konn­te wie zB in Deutsch­land und Öster­reich. Die Arbeits­lo­sig­keit hat sich in den letz­ten drei Jah­ren bei­na­he ver­drei­facht, wodurch ein immenser Steu­er­aus­fall sowie ein hoher Anstieg der Sozi­al­kos­ten folg­ten. Gleich­zei­tig kamen die Ban­ken auf­grund der geplatz­ten Immo­bi­li­en­bla­se in beson­de­re Bedräng­nis. Der Staat hat­te damit beson­de­re Belas­tun­gen zu tra­gen und ein Kon­junk­tur­pa­ket zu finan­zie­ren, um den Absturz zu brem­sen. So dreh­te der Maas­tricht-Sal­do von einem Über­schuss von knapp 2 % des BIP 2007 auf ein Rekord­de­fi­zit von 11,2 % des BIP 2009.

Ein wei­te­rer Fak­tor ist die poli­ti­sche Dyna­mik. Der Plan der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Min­der­heits­re­gie­rung Zapa­tero bestand 2009 aus Opti­mis­mus und einem ambi­tio­nier­ten mit­tel­fris­ti­gen Kon­so­li­die­rungs­plan, der die EU-Vor­ga­ben – mind. ‑6 %p. in den kom­men­den vier Jah­ren – über­erfül­len wür­de. Die­ser Plan schei­ter­te im Früh­jahr 2010, als in Fol­ge der Grie­chen­land-Panik die Zin­sen auf spa­ni­sche Staats­an­lei­hen in unge­ahn­te Höhen schos­sen, die nega­ti­ve Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung wei­ter ging und gleich­zei­tig auf Euro­päi­scher Ebe­ne klar­ge­stellt wur­de, dass es kei­ne wesent­li­che Hil­fe zu erwar­ten gab. Ein har­tes Not-Spar­pro­gramm soll­te sicher­stel­len, dass die euro­päi­sche Kon­so­li­die­rungs­vor­ga­be von durch­schnitt­lich 1,5 %p. des BIP pro Jahr bereits 2010 und 2011 erfüllt wer­den – trotz pro­gnos­ti­zier­ter Rezes­si­on 2010.

Gefangen in der Spirale nach unten

2010 wur­den die Zie­le auch weit­ge­hend erfüllt, aller­dings nicht 2011: Statt den ange­streb­ten 6 % erreich­te das Defi­zit 8,5 % des BIP. Schuld war aller­dings nicht die alte, Ende Novem­ber abge­wähl­te Zen­tral­re­gie­rung. Die hat­te ihr Spar­pro­gramm trotz deut­lich schlech­te­rer Beschäf­ti­gungs- und damit Bud­get­ent­wick­lung durch­ge­zo­gen. Mit einem Defi­zit von 5,1 statt 4,8 % des BIP ver­fehl­te sie ihr Ziel nur knapp (bzw. 5,2 statt 4,4 %p. inklu­si­ve Sozi­al­ver­si­che­rung). Der über­wie­gen­de Teil der Defi­zit-Ver­feh­lung ging auf die Kon­ten der fast aus­schließ­lich kon­ser­va­tiv regier­ten Bun­des­län­der (die aber eben­falls erheb­li­che Spar­an­stren­gun­gen unter­nah­men). Bezeich­nend für den eiser­nen Spar­wil­len war eine Mel­dung in ElPaís Anfang Okto­ber, wonach der öffent­li­che Sek­tor in eini­gen Mona­ten bereits einen grö­ße­ren Bei­trag zum Zuwachs zur Arbeits­lo­sig­keit lie­fer­te als der private.

Wie auch immer, mit die­sem hohen Defi­zit-Start­wert und der sich ver­schär­fen­den Rezes­si­on (statt dem Ende 2010 pro­gnos­ti­zier­ten Wachs­tum von 1,7 % wird nun mit minus 1 bis 2 % gerech­net) wur­de klar, dass 2012 weder das ursprüng­li­che Defi­zit­ziel von 5,3 % des BIP vom Juni 2010 noch das bis Jah­res­en­de 2011 auf­recht erhal­te­ne ambi­tio­nier­te Ziel von 4,4 % des BIP erreicht wer­den kön­nen. Dar­an wird auch der eben erst beschlos­se­ne radi­ka­le Abbau der Arbeits­markt­stan­dards (bei Umsatz­rück­gang dür­fen Arbeit­ge­be­rIn­nen Arbeits­ver­trä­ge ver­schlech­tern, leich­te­re Kün­di­gung auch lang­jäh­rig Beschäf­tig­ter, etc.), der gemäß OECD, EU-Kom­mis­si­on und spa­ni­scher Regie­rung Beschäf­ti­gung schaf­fen soll, nichts ändern.

Europäische Wirtschaftspolitik versagt

An die­ser Stel­le kommt der Fak­tor „Ver­sa­gen der euro­päi­schen Wirt­schafts­po­li­tik“ zu tra­gen. Am spa­ni­schen Bei­spiel offen­bar­te sich die Absur­di­tät der Eco­no­mic-Gover­nan­ce/­Six-Pack/­Fis­kal­pakt-Debat­te: Obwohl es eine Kon­junk­tur­klau­sel gibt, die eine Stre­ckung des Kon­so­li­die­rungs­pfa­des pro­blem­los erlau­ben wür­de, und obwohl selbst die ver­schärf­ten Spar­vor­ga­ben hin­sicht­lich des mit­tel­fris­ti­gen struk­tu­rel­len Defi­zits wie auch schon vor der Kri­se ein­ge­hal­ten wer­den, wird bei­des igno­riert und wei­ter­hin an der dümms­ten aller Vor­ga­ben – näm­lich dem von der Kon­junk­tur­ent­wick­lung maß­geb­lich bestimm­ten Maas­tricht-Defi­zit – fest­ge­hal­ten. Der Rat der Finanz­mi­nis­te­rIn­nen kam der spa­ni­schen Regie­rung nur inso­fern ent­ge­gen, als dass nun wie­der die alte Pro­gno­se für den Defi­zit­pfad mit 5,3 % des BIP 2012 (neben den unver­än­der­ten 3 % im Jahr 2013) als ver­pflich­ten­der Ziel­wert gilt. Detail am Ran­de: gemäß ElPaís übte sich eine klei­ne Grup­pe von Hard­li­ne­rIn­nen – dar­un­ter natür­lich auch die öster­rei­chi­sche Ver­tre­te­rin – in völ­li­ger Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung mit der For­de­rung Spa­ni­en müs­se am Defi­zit-Ziel von 4,4 % des BIP festhalten.

Mit die­sem Beschluss haben die euro­päi­schen Finanz­mi­nis­te­rIn­nen eines klar zum Aus­druck gebracht: Es ist ihnen ernst mit der in der Reform der Eco­no­mic Gover­nan­ce ange­leg­ten und mit dem Fis­kal­pakt voll­ende­ten Ver­un­mög­li­chung einer aus­ge­wo­ge­nen Wirt­schafts­po­li­tik. Immer­wäh­ren­de Aus­teri­täts­po­li­tik plus Wett­be­werbs­fä­hig­keit ste­hen über Wohl­stand, des­sen Ver­tei­lung, nied­ri­ge Arbeits­lo­sig­keit oder öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit. Die spa­ni­sche Regie­rung bemüht sich trotz­dem dies­be­züg­lich Mus­ter­schü­le­rin zu blei­ben: Statt Pro­gram­me gegen die gras­sie­ren­de Arbeits­lo­sig­keit, Armut oder für leist­ba­re Woh­nun­gen (seit 2008 wur­den bereits etwa 1 % der Haus­hal­te delo­giert; selbst Erwach­se­ne müs­sen viel­fach bei ihren Eltern woh­nen) wur­de ver­gan­ge­nen Frei­tag das bereits zwei­te Spar­pa­ket in nur 100 Tagen prä­sen­tiert. Die Kon­so­li­die­rung der Zen­tral­re­gie­rung soll 27,3 Mrd Euro (über 2,5 % des BIP) betra­gen. Hin­zu kommt eine Ver­ein­ba­rung mit Län­der und Gemein­den, wonach die­se ihr Defi­zit 2012 um 1,7 % des BIP sen­ken müs­sen (wobei ein unbe­stimm­ter Teil davon bereits in den 2,5 % aus dem Zen­tral­re­gie­rungs­pa­ket ent­hal­ten sein dürfte).

Scheitern vorprogrammiert

Die­ser Plan wird aller­dings nicht genü­gen um das Defi­zit tat­säch­lich aus­rei­chend zu sen­ken, da die nega­ti­ven Rück­kop­pe­lungs­ef­fek­te auf Wachs­tum und Beschäf­ti­gung nicht ein­ge­rech­net zu sein schei­nen. Die Kür­zun­gen in den Minis­te­ri­en von durch­schnitt­lich 17 % wer­den jedoch sehr deut­li­che Aus­wir­kun­gen haben – vor allem da bei Inves­ti­tio­nen oder akti­ver Arbeits­markt­po­li­tik über­pro­por­tio­nal gespart wird. Damit wird die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit wohl noch län­ger über 50 % blei­ben und die sozia­le Kri­se verschärfen.

Inter­es­sant ist die Reak­ti­on auf euro­päi­scher Ebe­ne: das deut­sche EZB-Direk­to­ri­ums­mit­glied for­der­te gemäß ElPaís, dass das Kon­so­li­die­rungs­pa­ket per Not­stands­ge­setz­ge­bung beschlos­sen wer­den soll­te um eine schnellst­mög­li­che Umset­zung sicher­zu­stel­len. Was das alles mit glaub­wür­di­ger Bud­get­po­li­tik oder einer Über­win­dung der Kri­se in der Euro­zo­ne zu tun hat, so wie auf euro­päi­scher Ebe­ne mehr­fach fan­ta­siert wur­de, bleibt ein offe­nes Rät­sel. Es wür­de im Gegen­teil nicht über­ra­schen, wenn damit die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on in der Euro­zo­ne neu­er­lich belas­tet wür­de – mit all den nega­ti­ven Kon­se­quen­zen für alle Mit­glied­staa­ten. Trotz­dem ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass der Kurs in der Euro­zo­ne wie in Spa­ni­en selbst unver­än­dert bleibt und auch in den nächs­ten 100 Tagen Amts­zeit der neu­en spa­ni­schen Regie­rung ein wei­te­res Spar­pa­ket ver­ab­schie­det wird um die euro­päi­schen Vor­ga­ben ein­zu­hal­ten. Schließ­lich geht es ja um die Glaub­wür­dig­keit der euro­päi­schen Austeritätspolitik …

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S&P als Stimme der Vernunft?

Januar. 23rd 2012 — 16:58

Nie­mand kann oder will die Bot­schaft der Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors ver­ste­hen. Dabei sind die Ana­ly­sen der Rater wesent­lich ver­nünf­ti­ger als das was an Unsinn durch die öster­rei­chi­schen Medi­en geistert.

Das inter­na­tio­nal renom­mier­te Fach­blatt für Wirt­schaft­fra­gen „Heu­te“ hat mit­tels zehn Fra­gen Öster­reichs Kre­dit­wür­dig­keit erläu­tert. Fra­ge 7: „Wie kann Öster­reich den AAA-Sta­tus wie­der­be­kom­men“? beant­wor­tet „Heu­te“ wie folgt: „Durch rasche Spar­maß­nah­men. Gera­de die hohen Schul­den haben zur Her­ab­stu­fung geführt (…)“ Das ist nur die sim­pels­te Wie­der­ga­be des­sen, was fast alle Mei­nungs­ma­che­rIn­nen die­ser Tage mit sor­gen­vol­ler Mie­ne ver­kün­den: Wir hät­ten die AAA-Boni­tät wegen man­geln­der Spar­an­stren­gun­gen ver­lo­ren. Nie­mand hat es über­prüft aber alle wis­sen: Nur har­te Refor­men und eiser­nes Spa­ren kön­nen uns aus der Schul­den­kri­se füh­ren. Doch las­sen wir Stan­dard & Poors (S&P) ein­mal selbst spre­chen und schau­en wir, was in ihrem aktu­el­len Report zu lesen ist: 

Wir sind auch der Auf­fas­sung, dass die Gip­fel­ver­ein­ba­rung (EU-Gip­fel vom 9.12.) von einer ledig­lich ein­sei­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on der Ursa­chen der Staats­schul­den­kri­se geprägt ist, näm­lich dass die der­zei­ti­gen finan­zi­el­len Unsi­cher­hei­ten pri­mär von man­geln­der bud­ge­tä­rer Dis­zi­plin in den Peri­phe­rie­staa­ten der Euro­zo­ne her­rüh­ren. Nach unse­rer Mei­nung sind die finan­zi­el­len Pro­ble­me in der Euro­zo­ne jedoch glei­cher­ma­ßen ein Ergeb­nis der stei­gen­den außen­wirt­schaft­li­chen Ungleich­ge­wich­te und aus­ein­an­der­lau­fen­der Wett­be­werbs­fä­hig­keit zwi­schen den Kern­län­dern der Euro­zo­ne und den soge­nann­ten Peri­phe­rie­staa­ten. Daher glau­ben wir, dass ein Reform­pro­zess, der ein­sei­tig auf fis­ka­li­schen Spar­maß­nah­men beruht, unwirk­sam sein könn­te, indem die Inlands­nach­fra­ge in glei­chem Maße sinkt wie die Sor­ge der Ver­brau­cher um ihre Arbeits­plät­ze und ihre ver­füg­ba­ren Ein­kom­men steigt und damit die natio­na­len Steu­er­ein­nah­men erodieren“. 

Das hört sich doch ganz anders an als „Spa­ren, Spa­ren, Spa­ren“. Kann es sein, dass „den Gür­tel enger schnal­len“ und „sich von lieb­ge­wor­de­nen Gewohn­hei­ten tren­nen“ über­haupt nicht den Emp­feh­lung von Stan­dard & Poors ent­spricht? S&P Chef­ana­lyst Moritz Krä­mer hat­te im Ö1-Mit­tags­jour­nal selbst die Gele­gen­heit Stel­lung zu neh­men. Weil für Ö1-Jour­na­list Vol­ker Ober­may­er die Ant­wor­ten schein­bar ohne­dies schon fest­stan­den, gab er sie sich in der Fra­ge auch gleich selbst: „Ver­mis­sen Sie den eiser­nen poli­ti­schen Wil­len, die Kon­se­quen­zen aus der Lage zu zie­hen. Also nach­hal­tig die Bud­gets zu sanie­ren, Struk­tur­re­for­men durch­zu­zie­hen?“ Zur Über­ra­schung auf­merk­sa­mer Höre­rIn­nen kommt von Krä­mer kei­ne Bestä­ti­gung: „Viel wich­ti­ger für uns – um wie­der den Fokus auf die euro­päi­sche Ebe­ne zurück­zu­füh­ren – ist, dass es nach unse­rem Dafür­hal­ten die Kri­se gar nicht vor allem eine Bud­get­kri­se ist oder eine öffent­li­che Schul­den­kri­se, son­dern eine Kri­se die dadurch aus­ge­löst wur­de, dass sich die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und die Wett­be­werbs­fä­hig­kei­ten in der Euro­zo­ne in den letz­ten zehn Jah­ren dia­me­tral  in Rich­tung aus­ein­an­der bewegt haben. Durch Schul­den­brem­sen euro­pa­weit lässt sich die­ses Pro­blem nicht eindämmen.“ 


keyne­sia­ni­sche Krisendiagnose

Unglaub­lich aber wahr: Die Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors hat im Kern die glei­che Kri­sen­dia­gno­se wie zB etwa das keyne­sia­nisch ori­en­tier­te Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung in Düs­sel­dorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der fol­gen­de: Nicht nur die öffent­li­chen, son­dern auch die pri­va­ten Schul­den bedür­fen einer poli­ti­schen Berück­sich­ti­gung. Wenn die Gut­ha­ben des pri­va­ten Sek­tors die Schul­den des Sek­tors Staat in einer Volks­wirt­schaft nicht über­tref­fen, oder die Pri­va­ten in Sum­me unterm Strich sogar selbst ver­schul­det sind, ist das ein direk­tes Resul­tat der nega­ti­ven Außen­han­dels­bi­lanz der ent­spre­chen­den Volk­wirt­schaft. Die­se Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te ent­ste­hen auf Grund der unter­schied­li­chen Ent­wick­lung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Staa­ten im Euro­raum, was wie­der­um damit zu tun hat, dass die süd­eu­ro­päi­schen Staa­ten wegen der gemein­sa­men Wäh­rung man­gels Abwer­tungs­ven­til kei­ne Mög­lich­keit haben, die Lohn­zu­rück­hal­tung im Nor­den – allen vor­an in Deutsch­land – zu kompensieren.

Die­se Sicht­wei­se auf die Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se ist wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter als der aus­schließ­li­che Fokus auf die öffent­li­chen Haus­hal­te. Stan­dard & Poors hat offen­sicht­lich Leu­te, die cle­ver und weit­sich­tig genug sind, das zu erken­nen. Wie­so? Ganz ein­fach, weil die­se Aktue­rIn­nen Inter­es­se dar­an haben, dass ihre Ver­an­la­gun­gen nicht wert­los wer­den und sie prag­ma­tisch jede Poli­tik unter­stüt­zen, die in der Lage ist das Ver­trau­en wie­der­her­zu­stel­len und den Finanz­sek­tor nicht beim Koh­le schef­feln stört.

Gleich­zei­tig müs­sen wir aber lei­der fest­stel­len, dass die in Öster­reich ver­öf­fent­lich­te Mei­nung die Ana­ly­sen von S&P igno­riert bzw. voll­stän­dig aus einem vor­ge­fer­tig­ten und unver­rück­ba­ren Kor­sett her­aus umin­ter­pre­tiert. Bei­spiel­haft hier­für etwa Bern­hard Fel­de­rer (IHS) in „Im Zen­trum“: „(…) Ich glau­be ent­schei­dend ist dass wir jetzt alle erken­nen, es gibt kei­nen ande­ren Weg als Schul­den­brem­se als Ver­fas­sungs­ge­setz, als wei­te­re Konsolidierungen.“ 

Natür­lich weiß auch die gast­ge­ben­de Mode­ra­to­rin und neu­er­dings Finanz­ex­per­tin Ingrid Thurn­her, dass der Staats­haus­halt der Kern des Pro­blems ist, wie sie eine gan­ze „Im Zentrum“-Sendung unmiss­ver­ständ­lich klar machte.

Das weiß die amtie­ren­de Finanz­mi­nis­te­rin Maria Fek­ter () zu bestä­ti­gen: „Das was wir haben ist nicht ein wirt­schaft­li­ches Pro­blem, ist nicht ein Pro­blem der Real­wirt­schaft. (…) Das was wir haben ist ein Pro­blem der Staa­ten und da der Schul­den und der Defi­zi­te und Haushalte.“ 

Der angeb­lich sozi­al­de­mo­kra­ti­sche öster­rei­chi­sche Noten­bank­chef Ewald Nowotny bezeich­net die Prag­ma­ti­ke­rIn­nen von Stan­dard & Poors gar als poli­tisch moti­viert. Das ist inso­fern beson­ders ulkig, weil es die euro­päi­sche Wirt­schafts­po­li­tik ist, die außer den öffent­li­chen Haus­hal­ten kein The­ma mehr kennt. Das ist Ideo­lo­gie pur, eine aus­ge­gli­che­ne Poli­tik wür­de ja alle Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se – Ban­ken­pro­ble­me, Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te, Ver­tei­lungs­pro­ble­me, öffent­li­che Haus­hal­te – unter die Lupe neh­men. Ideo­lo­gie zeich­net sich genau durch eine absicht­li­che Ein­schrän­kung der Wahr­neh­mung aus. Inso­fern ist S&P wei­ter als die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen in der Euro­päi­sche Uni­on. Noch düm­mer argu­men­tie­ren nur Abge­ord­ne­te der CDU im Online-Stan­dard „CDU-Frak­ti­ons­vi­ze Micha­el Fuchs spricht von „Atta­cken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Euro­pa-Poli­ti­ker Elmar Brok sagt in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, die Abstu­fung käme in der Kon­se­quenz „fast einem Wäh­rungs­krieg“ gleich.“ Es ist völ­lig absurd zu glau­ben, irgend­wer in den USA hät­te Inter­es­se an einem Kol­laps des Euro. Die Port­fo­li­os der Akteu­rIn­nen am Finanz­markt sind inter­na­tio­nal diver­si­fi­ziert, da besteht mit Sicher­heit kein Inter­es­se dar­an, dass eine der gro­ßen Wäh­run­gen in denen man inves­tiert ist kra­chen geht. 


Sind Rating-Agen­tu­ren das Zen­trum des Bösen?

Bei aller Kri­tik an den Rating­agen­tu­ren muss man eines sagen: Rating­agen­tu­ren sind ein­fach Teil eines Sys­tems, des­sen Ent­wick­lung durch poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zuge­las­sen und sogar geför­dert wur­de. Rating­agen­tur sind nicht unmo­ra­lisch, son­dern amo­ra­lisch, weil sie inner­halb einer Sys­tem­lo­gik ihre Auf­ga­be erfül­len. S&P will ein­fach die Kri­se über­le­ben und wie­der ordent­lich Geld ver­die­nen. Des­halb sind sie im Zwei­fels­fall offen­sicht­lich pragmatisch.

Das Zen­trum des Bösen sind offen­bar weder die Rating-Agen­tu­ren, noch das Finanz­ka­pi­tal, son­dern es ist die Ideo­lo­gie. Und zwar die Spar- und Aus­teri­täts­ideo­lo­gie, die in Euro­pa von 90% aller Opi­ni­on Lea­der nach­ge­be­tet wird. Kei­ne Indus­trie, weder bin­nen- noch export­ori­en­tier­te, ja nicht ein­mal die auf­ge­bläh­te und über­flüs­si­ge Finanz­in­dus­trie haben irgend­et­was von die­ser Sparpolitik.

Die­ser Bei­trag ist in einer län­ge­ren Ver­si­on auf misik.at zu fin­den.

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Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch

November. 21st 2011 — 17:20

Im Früh­jahr 2012 erscheint das neue BEI­GEWUM-Buch „Ima­gi­ne Eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern in der Wirt­schafts­po­li­tik“, das sich mit der Rol­le von Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs und ihren Ein­fluss auf das Den­ken und Han­deln aus­ein­an­der­setzt. Aus aktu­el­lem Anlass machen wir hier (PDF) einen Bei­trag zum The­ma „Schul­den­brem­se“ aus die­sem Buch vor­ab verfügbar.


Mehr über den Band, der im Rah­men der Rei­he Arts, Cul­tu­re and Edu­ca­ti­on im Löcker Ver­lag erschei­nen wird, gibt es in den abschlie­ßen­den Bemer­kun­gen die­ses Arti­kels: (link)

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ÖkonomInnen-Appell gegen Schuldenbremse

November. 17th 2011 — 13:54

Die öster­rei­chi­sche Regie­rung nimmt sich das deut­sche Modell einer „Schul­den­brem­se“ als Vor­bild. Als die Schul­den­brem­se in Deutsch­land ein­ge­führt wur­de, reagier­ten 64 Öko­nom­In­nen mit dem Appell „Die Schul­den­brem­se gefähr­det die gesamt­wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät und die Zukunft unse­rer Kin­der“. Aus aktu­el­lem Anlass hier zur Wie­der-Lek­tü­re.

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Die Schuldenbremse als Farce

November. 15th 2011 — 11:51

Nun befin­det sich die Bun­des­re­gie­rung also auf direk­tem Weg eine soge­nann­te Schul­den­brem­se in Ver­fas­sungs­rang zu heben. Die wesent­li­che Fra­ge, was das nun genau bedeu­tet, dürf­te zwar noch offen sein, doch fest steht, dass damit pünkt­lich zum Wirt­schafts­ab­schwung ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket ver­han­delt wer­den wird. Die­se Unbe­stimmt­heit liegt auch dar­an, dass es meh­re­re For­men von Fis­kal­re­geln gibt, die in der Debat­te alle als Schul­den­brem­se bezeich­net werden.

Wahr­schein­lich ist, dass die deut­sche Rege­lung über­nom­men wird, die weit­ge­hend mit den soeben erst ver­schärf­ten euro­päi­schen Bud­get­vor­ga­ben über­ein­stimmt. Bei­de ent­hal­ten im Kern die Umset­zung der äußert rigi­den soge­nann­ten Medi­um Term Objec­ti­ves (mit­tel­fris­ti­ge Haus­halts­zie­le). Im Fal­le Öster­reichs und Deutsch­lands ist das (fast) ein struk­tu­rel­les Null­de­fi­zit. Aus­ge­hend von der soeben ver­öf­fent­lich­ten Herbst­pro­gno­se der EU-Kom­mis­si­on, die das struk­tu­rel­le Defi­zit für Öster­reich mit 2,8 % des BIP (2013) pro­gnos­ti­ziert, müss­te die Kon­so­li­die­rung folg­lich über 8 Mrd. Euro betra­gen – ein Viel­fa­ches des Spar- und Steu­er­pa­kets aus dem Vor­jahr. Das wür­de pro Per­son zu einer durch­schnitt­li­chen Zusatz­be­las­tung von 1.000 Euro pro Jahr füh­ren, was ange­sichts die­ses Volu­mens – selbst bei einer schwer­punkt­mä­ßi­gen Belas­tung der reichs­ten Haus­hal­te – auch die Mit­tel­schicht emp­find­lich tref­fen würde.

Neben einer Kopie der deut­schen Schul­den­brem­se wur­den als Alter­na­ti­ve anschei­nend zwei wei­te­re Fis­kal­re­geln dis­ku­tiert. Die mode­ra­tes­te Ver­si­on wäre eine Erwei­te­rung der bis­he­ri­gen Pra­xis der Aus­ga­ben­ober­gren­zen auf alle Gebiets­kör­per­schaf­ten plus Beschrän­kung ihrer Zuwäch­se mit der mit­tel­fris­ti­gen Wachs­tums­ra­te. Aus­ga­ben­ober­gren­zen könn­ten zwar prin­zi­pi­ell wirt­schafts­po­li­tisch ver­kraft­bar aus­ge­stal­tet wer­den, hät­ten aber bereits eine lang­fris­ti­ge Kür­zung des Staats­haus­halts und somit eine Behin­de­rung des sozia­len Fort­schritts zur Fol­ge. Völ­lig jen­sei­tig wäre hin­ge­gen eine wei­te­re Fis­kal­re­gel, näm­lich die von der ÖVP ver­lang­te Fest­schrei­bung einer Staats­schul­den­quo­te von 60 % des BIP bis 2020. Hier­für wären etwa 40 Mrd Euro – das ent­spricht mehr als der Hälf­te des Bun­des­bud­gets – not­wen­dig. Wür­den zwi­schen­zeit­lich z.B. wei­te­re Ban­ken­hil­fen gewährt, kämen sogar noch wei­te­re Mil­li­ar­den hinzu.

Denn sie wissen, was sie tun?

Wäre die Sache wirt­schafts­po­li­tisch nicht so ernst, wäre die­se gro­be Fest­le­gung kaba­rett­reif: Jene Regie­rung, die noch im Vor­jahr mit der ver­spä­te­ten Bud­get­vor­la­ge die Ver­fas­sung gebro­chen hat, ver­pflich­tet sich und zukünf­ti­ge Regie­rung mit­tels Ver­fas­sungs­än­de­rung zu wei­te­ren dra­ko­ni­schen Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men – die sie bis­her zu Recht mit dem Hin­weis auf die rela­ti­ve Sta­bi­li­tät und die schwa­chen Wirt­schafts­pro­gno­sen aus­ge­schlos­sen hat­te. Völ­lig unklar ist zudem, wes­halb es die­se ver­fas­sungs­mä­ßi­ge poli­ti­sche Selbstent­mün­di­gung braucht, denn nichts – abge­se­hen von wirt­schafts­po­li­ti­schem Sach­ver­stand – hin­dert die Regie­rung jed­we­de Regel zu befol­gen, die sie poli­tisch auch tat­säch­lich befol­gen will.

Trotz­dem ist die­se Inkon­se­quenz in gewis­sem Sin­ne auch wie­der kon­se­quent: Im Novem­ber des Vor­jah­res schloss der Bun­des­kanz­ler wei­te­re Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode aus, ehe er dann im März in Brüs­sel recht­li­che Ände­run­gen abseg­ne­te, die wei­te­re Spar­pa­ke­te erfor­der­lich mach­ten. Und nun im Okto­ber bil­lig­te er das Regie­rungs­ziel eines maxi­ma­len Defi­zits von 3,2 % des BIP 2012, nur um dann kurz dar­auf gemein­sam mit sei­nen euro­päi­schen Amts­kol­le­gIn­nen aus­ge­gli­che­ne Haus­hal­te in allen euro­päi­schen Staa­ten zu for­dern. Über­trof­fen wird er nur von sei­ner Finanz­mi­nis­te­rin, die zeit­gleich die Steu­er­be­las­tung redu­zie­ren, den Bud­get­pfad fort­füh­ren und die Staats­ver­schul­dung auf 60 % sen­ken will. Alles klar?

Das Argu­ment für die­se poli­ti­sche Far­ce: Es brau­che ein glaub­haf­tes Signal an die Finanz­märk­te, um die Zins­kos­ten rela­tiv nied­rig zu hal­ten. Die Poin­te: In Spa­ni­en, wo eben erst eine Schul­den­brem­se beschlos­sen wur­de, hat man bewie­sen, dass ein aus­ge­gli­che­ner Haus­halt in der Ver­fas­sung das eben nicht leis­ten kann. Die Sekun­där­markt­zins­sät­ze spa­ni­scher Staats­an­lei­hen stie­gen in den Tagen rund um den Beschluss wei­ter an und wur­den erst durch die EZB-Inter­ven­ti­on kurz­fris­tig sta­bi­li­siert – mitt­ler­wei­le haben sie sogar ein neu­es, untrag­ba­res Rekord­ni­veau erreicht.

Im Gegen­satz zu vie­len Poli­ti­ke­rIn­nen dürf­te den meis­ten Finanz­markt­ak­teu­ren klar sein, dass rei­ne Spar­po­li­tik ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te nicht die lang­fris­ti­gen Ein­nah­men sichern kann, die es zur Bedie­nung der Staats­schul­den bei gleich­zei­ti­ger Auf­recht­erhal­tung selbst rudi­men­tä­rer Staats­auf­ga­ben braucht. Ins­be­son­de­re weil die grund­le­gen­den öko­no­mi­schen Pro­ble­me (Spa­ni­en: geplatz­te Immo­bi­li­en­bla­se, Rekord­ar­beits­lo­sig­keit, pri­va­te Ver­schul­dung; Öster­reich: Ban­ken­sek­tor bzw. des­sen Ost-Abhän­gig­keit, Ita­li­en-Ver­flech­tung) unge­löst blei­ben, ist eine Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung etwa so wirk­sam bzw. glaub­wür­dig wie ein Gesetz gegen schlech­tes Wetter.

Schuldenbremse = Wohlstandsbremse = Ablenkungsmanöver

Und das führt zum erns­ten Teil die­ser Far­ce. Was eine Schul­den­brem­se brin­gen wird, ist also weni­ger eine Redu­zie­rung der Zins­kos­ten oder sta­bi­le Staats­haus­hal­te, son­dern im Gegen­teil eine ten­den­zi­el­le Desta­bi­li­sie­rung von Wirt­schaft und Gesell­schaft durch die Ein­schrän­kung zukünf­ti­gen Wohl­stan­des. Für die­sen braucht es näm­lich Inves­ti­tio­nen, die sinn­vol­ler Wei­se von jenen bezahlt wer­den, die den größ­ten Nut­zen dar­aus zie­hen, näm­lich die zukünf­ti­gen Begüns­tig­ten über höhe­re zukünf­ti­ge Ein­kom­men. Zudem braucht es die Mög­lich­keit, kon­junk­tu­rel­le Schwan­kun­gen aus­zu­glei­chen, um die kurz- wie lang­fris­ti­gen, indi­vi­du­el­len wie gesell­schaft­li­chen Fol­gen von Arbeits­lo­sig­keit abzu­mil­dern. Schul­den­brem­sen gefähr­den bei­des und kön­nen somit rasch zu Wohlstands‑, Investitions‑, Beschäftigungs‑, Sozi­al- und Zukunfts­brem­sen mutieren.

Ein wei­te­res Pro­blem ist, dass mit der Schul­den­brem­se indi­rekt sug­ge­riert wird, die Staats­ver­schul­dung wäre auf unver­ant­wort­li­che Bud­get­po­li­tik zurück­zu­füh­ren. Damit wird davon abge­lenkt, dass erst mit der Kri­se 2008 die Staats­ver­schul­dung wie­der gestie­gen, zuvor aller­dings in der Euro­zo­ne kon­ti­nu­ier­lich gesun­ken ist (von 72,8 % vor ihrer Grün­dung auf 66,1 % des BIP 2007, ähn­lich auch in Öster­reich). Wür­de man die­sen Zusam­men­hang stär­ker berück­sich­ti­gen, wäre zu erken­nen, dass es zur mit­tel­fris­ti­gen Redu­zie­rung der Staats­ver­schul­dung kei­ne wirt­schafts­po­li­ti­sche Zwangs­ja­cke, son­dern Maß­nah­men gegen die haupt­säch­li­chen schul­den­trei­ben­den Fak­to­ren braucht: Ein kri­sen­an­fäl­li­ges Finanz­sys­tem, das Ban­ken­ret­tun­gen not­wen­dig macht; Kon­junk­tur­schwä­che und stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit, die die Steu­er­ein­nah­men sen­ken und zu höhe­ren Aus­ga­ben füh­ren (ins­be­son­de­re für Arbeits­markt­po­li­tik); und letzt­lich unzu­rei­chen­de Bei­trä­ge von Rei­chen und Unter­neh­men, die von der wirt­schaft­li­chen und steu­er­po­li­ti­schen Ent­wick­lung vor der Kri­se beson­ders profitierten.

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Schuldenbremse nach deutschem Vorbild?

August. 8th 2010 — 19:31

Die Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung und das IHS wol­len eine Schul­den­brem­se in Öster­reich ein­füh­ren und sich dabei an Deutsch­land ori­en­tie­ren. So berich­ten es u.a. der Stan­dard und der ORF. Dabei wird jedoch  über­se­hen, dass die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der deut­schen Schul­den­brem­se mas­siv zu bezwei­feln ist (vgl. Him­pe­le 2010), und dass zudem  dog­ma­tisch über Staats­ver­schul­dung gespro­chen wird, ohne  öko­no­mi­sche Argu­men­te und Erwä­gun­gen anzu­füh­ren. Drit­tens  soll mit der deut­schen Schul­den­brem­se dafür gesorgt wer­den, das Bud­get aus­ga­ben­sei­tig zu kon­so­li­die­ren. Eine sinn­vol­le Erhö­hung der Steu­ern wird dabei völ­lig außer Acht gelas­sen. Der Schwei­zer Kan­ton St. Gal­len regelt das anders.


Staatsverschuldung – Gründe und Probleme

Eine Ver­schul­dung des Staa­tes muss immer gut begrün­det wer­den,  da sie Zins­zah­lun­gen und Til­gungs­leis­tun­gen nach sich zieht, was spä­te­re Hand­lungs­mög­lich­kei­ten ein­schränkt. Ganz all­ge­mein kann mit Cor­neo (2009, S. 5) gesagt wer­den, dass „[d]ie first-best-Regel der Finanz­po­li­tik ver­langt, daß die­se so aus­ge­wählt wird, daß die sozia­le Wohl­fahrt des Lan­des bei Ein­hal­tung der Bud­get­be­schrän­kun­gen […] maxi­miert wird.“ Der Staat soll­te sich also dann ver­schul­den, wenn der Ertrag (gerin­ge­re Arbeits­lo­sig­keit, Wirt­schafts­wachs­tum, Infra­struk­tur­be­reit­stel­lung, sozia­ler Frie­de …) der schul­den­fi­nan­zier­ten Maß­nah­men die Kos­ten der Ver­schul­dung über­steigt. Dies lässt sich zwar nicht immer ein­deu­tig ermit­teln, kann aber als Annä­he­rung an eine ratio­na­le Finanz­po­li­tik ver­stan­den wer­den. Es kann dem­nach nicht dar­um gehen, Staats­schul­den zu ver­bie­ten, son­dern nur dar­um, Staats­ver­schul­dung gezielt und sinn­voll einzusetzen.
Die Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2005, S. 154ff. und 2008, S. 169ff.) hat eini­ge Grün­de für die Staats­ver­schul­dung genannt, die sich wie folgt zusam­men­fas­sen las­sen (vgl. Him­pe­le 2010: 18):


  • Ohne Schul­den gibt es in einer Volks­wirt­schaft kei­ne Erspar­nis, da jeder Geld­for­de­rung eine Ver­bind­lich­keit in glei­cher Höhe ent­ge­gen­ste­hen muss. Wenn die Geld­ver­mö­gens­bil­dung der pri­va­ten Haus­hal­te steigt und die Erspar­nis­se nicht durch nicht­fi­nan­zi­el­le Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten als Kre­dit auf­ge­nom­men wer­den (um real zu inves­tie­ren), son­dern die­se im Gegen­teil selbst Über­schüs­se bil­den und über­dies die Ver­schul­dung des Aus­lands begrenzt ist, fin­den die Erspar­nis­se zum Teil kei­ne rea­le Ver­wen­dung. In die­sem Fall muss der Staat „die ‚Lückenbüßer‘-Funktion über­neh­men. Tut er das nicht, wird man­gels bin­nen­wirt­schaft­li­cher Nach­fra­ge die Pro­duk­ti­on zurück­ge­hen“, bis die hier­durch rück­läu­fi­gen Erspar­nis­se der Sum­me aus Investitions‑, Staats­nach­fra­ge und Export­über­schuss ent­spre­chen (Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik 2008, S. 174).
  • Auch gegen kon­junk­tu­rel­le Abschwün­ge ist Staats­ver­schul­dung ein ratio­na­les Instru­ment, da die „Ratio­na­li­täts­fal­le zwi­schen dem Resul­tat ein­zel­wirt­schaft­li­cher Ent­schei­dun­gen im Wett­be­werb und dem an sich mach­ba­ren höhe­ren Wirt­schafts­wachs­tum samt Beschäf­ti­gung“ nur der Staat über­win­den kann (ebd., S. 176).
  • Inves­ti­tio­nen, die künf­tig zu nach­hal­ti­gen Vor­tei­len füh­ren, kön­nen eben­falls schul­den­fi­nan­ziert werden.
  • Künf­ti­ge Genera­tio­nen erben nicht nur die Schul­den, son­dern auch den Nut­zen der Staats­aus­ga­ben etwa in Form von Infra­struk­tur. Daher kön­nen Inves­ti­tio­nen eben­falls nach dem Prin­zip des pay-as-you-use über Staats­schul­den finan­ziert wer­den (vgl. Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik 2005, S. 155; dies. 2008, S. 177f.).


Klar ist: Staats­ver­schul­dung birgt erheb­li­che Risi­ken. Klar ist aber auch: Staats­ver­schul­dung kann gezielt und sinn­voll genutzt wer­den. Die Fra­ge, die es zu beant­wor­ten gilt, ist dem­nach, ob die Staats­ver­schul­dung aus zu hohen Aus­ga­ben oder zu gerin­gen Ein­nah­men resul­tiert. Zudem stellt sich die Fra­ge, ob die Diver­genz von Ein­nah­men und Aus­ga­ben tem­po­rär oder struk­tu­rell ist. Ent­spre­chen­de Staats­ver­schul­dun­gen müs­sen sich  an der öko­no­mi­schen Rea­li­tät und nicht an einem popu­lis­ti­schen Dog­ma­tis­mus orientieren.


Die deutsche Schuldenbremse


Die deut­sche Schul­den­brem­se sieht vor, dass die Staats­schul­den in eine struk­tu­rel­le und eine kon­junk­tu­rel­le Kom­po­nen­te unter­teilt wer­den. Die kon­junk­tu­rel­le Kom­po­nen­te soll dabei dazu füh­ren, dass sich der Staat im kon­junk­tu­rel­len Tief ver­schul­den darf, jedoch im kon­junk­tu­rel­len Hoch ent­spre­chen­de Til­gungs­zah­lun­gen zu leis­ten hat. Die struk­tu­rel­le – also nicht näher zu begrün­den­de – Ver­schul­dung soll im Bund ab 2016 maxi­mal 0,35 Pro­zent des BIP betra­gen dür­fen, in den Län­dern soll sie ab 2020 gänz­lich unterbleiben.
Was sich sinn­voll anhö­ren mag birgt erheb­li­che Pro­ble­me. So ist die Unter­tei­lung der Kom­po­nen­ten fak­tisch nicht mög­lich und die Wir­kung kon­junk­tu­rel­ler Ent­wick­lun­gen auf das Bud­get (Bud­get­sen­si­ti­vi­tät) kaum im Vor­aus zu ermit­teln. Die Aus­ge­stal­tung die­ser Rege­lun­gen bestimmt jedoch, wel­che Schul­den tat­säch­lich im Rah­men der gesetz­li­chen Rege­lun­gen mög­lich sind. Wei­te­re Pro­ble­me erge­ben sich in Deutsch­land dadurch, dass die Steu­er­ge­set­ze vom Bund und ggf. unter Zustim­mung der Län­der im Bun­des­rat (per Mehr­heits­ent­schei­dung) erlas­sen wer­den. Daher hat ein ein­zel­nes Land kaum Ein­fluss auf sei­ne Ein­nah­men.  Die Schul­den­brem­se kann also nur aus­ga­ben­sei­tig erreicht wer­den, dies jedoch zu Las­ten der Län­der­aus­ga­ben – in Deutsch­land gehö­ren hier etwa Bil­dung (Schu­len, Hoch­schu­len), Sicher­heit (Poli­zei) und zahl­rei­che sozia­le Leis­tun­gen sowie Kul­tur dazu. In den mit­tel­fris­ti­gen Finanz­pla­nun­gen der Län­der sind des­halb auch erheb­li­che Kür­zun­gen vor­ge­se­hen, so ist bereits eine Hoch­schu­le in Schles­wig-Hol­stein gefähr­det und über­all sol­len Lan­des­per­so­nal abge­baut wer­den. Die­se Poli­tik ori­en­tiert sich  nicht an den Not­wen­dig­kei­ten, son­dern an der Schul­den­brem­se. Frag­lich ist zudem, ob eine der­ar­ti­ge Poli­tik nicht die Bin­nen­nach­fra­ge wei­ter abschnürt und so die Erreich­bar­keit des Ziels der struk­tu­rel­len Null­ver­schul­dung erst recht ver­un­mög­licht. An die­ser Stel­le soll auf eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung ver­zich­tet wer­den. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fin­den sich bei Him­pe­le (2010), Tru­ger et al. (2009) und Horn et al. (2008; 2009).


Die Schuldenbremse im Kanton St. Gallen

Deutsch­land ist nicht das ein­zi­ge Land mit einer soge­nann­ten Schul­den­brem­se. Auch die Schweiz hat sol­che Rege­lun­gen, eben­so ein­zel­ne Kan­to­ne, etwa St. Gal­len. Das zuläs­si­ge Defi­zit beträgt hier 3 Pro­zent der ein­fa­chen Steu­er­ein­nah­men des Kan­tons. Erst wenn ein Über­schuss, d.h. höhe­re Staats­ein­nah­men als Staats­aus­ga­ben, erwirt­schaf­tet wur­de, der min­des­tens das Sie­ben­fa­che die­ses zuläs­si­gen Defi­zits beträgt, dür­fen im Kan­ton St. Gal­len die Steu­ern gesenkt wer­den (vgl. Kirch­gäss­ner 2010, S. 8). Damit wird die Ein­nah­me­sei­te des Kan­tons sta­bi­li­siert, da Steu­er­sen­kun­gen nur dann zuläs­sig sind, wenn die Staats­ein­nah­men tat­säch­lich zur Deckung der Staats­aus­ga­ben aus­rei­chen.  Die Schul­den­brem­se damit  auch eine Steu­er­sen­kungs­brem­se. Auf gesamt­schwei­zer Ebe­ne sind die Rege­lun­gen jedoch anders, und Kirch­gäss­ner (2010, S. 15) schreibt dazu: „Die dahin­ter ste­hen­de Phi­lo­so­phie besteht dar­in, die Ein­nah­men zu begren­zen und die Aus­ga­ben an die Ein­nah­men anzu­pas­sen.“ Dies liegt auch dar­an, dass Steu­er­erhö­hun­gen auf natio­na­ler Ebe­ne in der Regel Geset­zes- und/​oder Ver­fas­sungs­än­de­run­gen bedür­fen und daher schwer durch­zu­set­zen sind. Die Bud­get­sa­nie­rung soll dem­nach vor allem aus­ga­ben­sei­tig gesche­hen – dies dürf­te auch für die Poli­tik in Öster­reich gelten.


Schuldenbremse oder Steuersenkungsbremse?

Öster­reich ver­zich­tet auf erheb­li­che Ein­nah­men durch eine ange­mes­se­ne Besteue­rung der Ver­mö­gen. Dar­auf haben wir in die­sem Blog bereits mehr­fach hin­ge­wie­sen (bspw. hier). Ähn­lich wie in Deutsch­land sind zudem immer wie­der Steu­ern für Unter­neh­men gesenkt wor­den, so dass das Land auf Ein­nah­men ver­zich­tet. Das der­zei­ti­ge star­ke Anwach­sen der Staats­schul­den ist zudem auf die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se zurück­zu­füh­ren. Die­se wur­de bekannt­lich durch dere­gu­lier­te Finanz­märk­te ver­ur­sacht, und auch , weil Ein­kom­men und Ver­mö­gen immer unglei­cher ver­teilt sind und dadurch die Kri­sen­ten­den­zen ver­stärkt wur­den (vgl. auch BEIGEWUM/​Attac 2010, S. 32ff.).

Die­se Tat­sa­chen sind bekannt. Die Lösung wäre dem­nach eine stär­ke­re Besteue­rung hoher Ein­kom­men und Ver­mö­gen. Dies hät­tet zwei Effek­te: Ers­tens lie­ße sich die Staats­ver­schul­dung so ein­nah­me­sei­tig begren­zen, ohne dass sozia­le und öffent­li­che Leis­tun­gen ein­ge­schränkt wer­den müss­ten. Zwei­tens wür­de das „Spiel­geld“ für Spe­ku­la­tio­nen ver­rin­gert. Dass die Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung die Kos­ten, auch der Kri­se, lie­ber via Spar­maß­nah­men auf die brei­te Bevöl­ke­rung abschie­ben will, ins­be­son­de­re auch auf Per­so­nen, die auf staat­li­che Unter­stüt­zung ange­wie­sen sind, ist nicht ver­wun­der­lich. Aller­dings soll­ten wir uns dage­gen wehren.


Literatur

  • Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2005): Memo­ran­dum 2005. Sozi­al­staat statt Kon­zern-Gesell­schaft, Köln.
  • Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2008): Memo­ran­dum 2008. Neu­ver­tei­lung von Ein­kom­men, Arbeit und Macht. Alter­na­ti­ven zur Bedie­nung der Ober­schicht, Köln.
  • BEIGEWUM – Bei­rat für gesellschafts‑, wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven /​ Attac Öster­reich (2010): Mythen der Kri­se. Ein­sprü­che gegen fal­sche Leh­ren aus dem gro­ßen Crash, Hamburg.
  • Cor­neo, Gia­co­mo (2009): Ver­schul­dung und Kon­so­li­die­rung, Berlin.
  • Him­pe­le, Kle­mens (2010): Die Umsetz­bar­keit der Schul­den­brem­se in den Län­dern. Stu­die im Auf­trag der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den­kon­fe­renz der LINKEN. End­fas­sung, Wien. Down­load als PDF.
  • Horn, Gut­sav /​ Niechoj, Tors­ten /​ Tru­ger, Achim /​ Ves­per, Die­ter /​ Zwie­ner, Rudolf (2008): Zu den Wir­kun­gen der BMF-Schul­den­brem­se, Düsseldorf.
  • Horn, Gus­tav /​ Tru­ger, Achim /​ Pro­año, Chris­ti­an (2009): Stel­lung­nah­me zum Ent­wurf eines Begleit­ge­set­zes zur zwei­ten Föde­ra­lis­mus­re­form BT Druck­sa­che 16/​12400 und Ent­wurf eines Geset­zes zur Ände­rung des Grund­ge­set­zes BT Druck­sa­che 16/​12410, Düsseldorf.
  • Kirch­gäss­ner, Geb­hard (2010): Insti­tu­tio­nel­le Mög­lich­kei­ten zur Begren­zung der Staats­ver­schul­dung in föde­ra­len Staa­ten. SCALA Poli­cy Paper No. 01/​2010, St. Gallen.
  • Tru­ger, Achim /​ Eicker-Wolf, Kai /​ Will, Hen­ner /​ Köhrsen, Jens (2009): Aus­wir­kun­gen der Schul­den­brem­se auf die hes­si­schen Lan­des­fi­nan­zen. Ergeb­nis­se von Simu­la­ti­ons­rech­nun­gen für den Über­gangs­zeit­raum von 2010 bis 2020, Düsseldorf.


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Steuersenkungsbremse

Mai. 16th 2010 — 22:28

Finanz­mi­nis­ter Pröll will eine Schul­den­brem­se nach deut­schem Vor­bild, um die Staats­ver­schul­dung in Euro­pa ein­zu­däm­men. Das ist zwar rei­ner Popu­lis­mus – in Deutsch­land sind noch nicht ein­mal die Kon­junk­tur­be­rei­ni­gungs­ver­fah­ren klar, nach denen die struk­tu­rel­le Neu­ver­schul­dung berech­net wer­den soll – den­noch kann sich Pröll ver­mut­lich brei­ter Zustim­mung sicher sein. Vor­ur­tei­le gegen Schul­den im All­ge­mei­nen und süd­eu­ro­päi­sche Haus­halts­dis­zi­plin im Spe­zi­el­len wer­den dafür sor­gen. Nur: Was heißt das eigent­lich, Schul­den­brem­se? In ers­ter Linie ver­mut­lich, dass die Staats­fi­nan­zen aus­ga­ben­sei­tig saniert wer­den sol­len. In Deutsch­land hat der hes­si­sche Minis­ter­prä­si­dent Koch – der den Haus­halt fit für die Schul­den­brem­se machen muss – auch schon gesagt, wie dies gesche­hen soll: Die Bil­dungs­aus­ga­ben sol­len zurück­ge­fah­ren werden! 
Erin­nern wir uns doch mal kurz zurück: In den ver­gan­ge­nen Jah­ren sind euro­pa­weit die Steu­ern gesenkt wor­den – und zwar nicht für die nor­ma­len Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer. Aber Unter­neh­men zahl­ten immer weni­ger Steu­ern, wer es sich leis­ten konn­te grün­de­te eine Pri­vat­stif­tung, und das Bank­ge­heim­nis hilft Steu­er­hin­ter­zie­hern aus dem Aus­land beim Par­ken des Schwarz­gel­des. Die, auch auf Grund sin­ken­der Besteue­rung, stei­gen­den Gewin­ne und die zuneh­men­de Ungleich­ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen führ­ten zu gigan­ti­schen Mas­sen anla­ge­su­chen­den Kapi­tals. Die­se wur­den durch eine zuneh­men­de Pri­va­ti­sie­rung der Alters­vor­sor­ge noch aus­ge­wei­tet. So vaga­bun­dier­ten erheb­li­che Sum­men Spiel­geld durch die inter­na­tio­na­len Finanz­ca­si­nos. Immer wei­te­re Dere­gu­lie­run­gen folg­ten, kurz­um: Para­die­se für Zocker ent­stan­den. Als das dann alles zusam­men­brach war der Staat da und stütz­te die Ban­ken. Natür­lich, indem er Schul­den auf­nahm. Die­se Schul­den wie­der­um sind der Anlass für diver­se Fonds, gegen ein­zel­ne Staa­ten zu spe­ku­lie­ren um so Mil­li­ar­den auf Kos­ten der All­ge­mein­heit zu ver­die­nen. Frau Mer­kel spiel­te sich als Madame Non auf, und das Pro­blem Grie­chen­land wuchs sich zu einem Pro­blem Euro aus. Die Fol­ge: Wei­te­re Hilfs­pa­ke­te mit evtl. fol­gen­der wei­te­rer gigan­ti­scher Staats­ver­schul­dung. Was aber macht die Poli­tik? Etwa Kre­dit­aus­fall­ver­si­che­run­gen zu ver­bie­ten, wenn es kei­ne Kre­di­te gibt? Die Finanz­märk­te regu­lie­ren? Die Finan­zie­rung der Kri­sen­kos­ten über Ver­mö­gens­steu­ern, Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­ern, Erb­schafts­steu­ern, Unter­neh­mens­steu­ern, Spit­zen­steu­er­sät­ze vor­an­trei­ben und so die Staats­ver­schul­dung redu­zie­ren? Nein, Josef Pröll will eine Schul­den­brem­se. Anders for­mu­liert: Josef Pröll will eine finanz­ma­the­ma­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on für den anste­hen­den Sozialabbau.
Natür­lich, das schön­rech­nen des grie­chi­schen Haus­hal­tes ist nicht zu tole­rie­ren. Natür­lich, eine spar­sa­me Haus­halts­po­li­tik ist immer not­wen­dig, die Mit­tel sol­len und müs­sen gezielt – das heißt poli­tisch gewollt – ein­ge­setzt wer­den. Und ja: Staats­ver­schul­dung ist in guten Zei­ten auch abzu­bau­en. Nur: Das wäre alles kein Pro­blem, wür­de man nicht bei jeder Gele­gen­heit die Steu­ern für Unter­neh­men, Ver­mö­gen­de, Erben usw. sen­ken oder abschaf­fen. Denn ein Haus­halt lässt sich auch ein­nah­me­sei­tig sanie­ren. Und es ist höchs­te Zeit, dass es eine Steu­er­sen­kungs­brem­se gibt. Die Steu­ern müs­sen hoch – und zwar dort, wo sie am meis­ten gesenkt wur­den, also bei Unter­neh­men, bei Ver­mö­gen­den, bei Erben gro­ßer Erb­schaf­ten, bei Spit­zen­ver­die­nern. Dage­gen aber sperrt sich Josef Pröll. Sei­ne Poli­tik zielt dar­auf ab, die Las­ten der Kri­se auf die Schwächs­ten der Gesell­schaft abzu­wäl­zen – auf die­je­ni­gen, die auf einen star­ken Staat ange­wie­sen sind. Dage­gen gilt es sich zu weh­ren – und zwar bereits bei der schein­hei­li­gen Debat­te über eine Schuldenbremse.

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