Was hat die Finanzkrise mit der Einkommensverteilung zu tun? – BEIGEWUM

Was hat die Finanzkrise mit der Einkommensverteilung zu tun?

am 22. April 2009 um 14:37h

Seit den frü­hen 80er Jah­ren ist es zu dra­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen in der Ein­kom­mens­ver­tei­lung gekom­men. In den meis­ten Län­dern hat sich die Ein­kom­mens­ver­tei­lung pola­ri­siert – die Rei­chen sind rei­cher und die Armen (rela­tiv) ärmer gewor­den. In prak­tisch allen Län­dern ist die Lohn­quo­te, d.h. der Anteil der Löh­ne und Gehäl­ter am Volks­ein­kom­men gesun­ken, in Öster­reich seit 1980 gar um mehr als 15 %. Schlimm, aber was hat das mit der Finanz­kri­se zu tun?

Auf den ers­ten Blick wenig, mag es schei­nen. Die Finanz­kri­se wur­de ver­ur­sacht durch die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märk­te: Ban­ken bün­del­ten Hypo­the­kar­kre­di­te, tran­chier­ten sie und ver­kauf­ten sie; unre­gu­lier­te Hedge Fonds ver­schul­de­ten sich gewal­tig und waren damit kri­sen­an­fäl­lig; star­ke Kapi­tal­zu­flüs­se in die USA, die die­se zur Deckung ihres Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zits benö­tig­ten, finan­zier­ten die Spe­ku­la­ti­on … So, oder so ähn­lich sind die gän­gi­gen Kri­sen­er­klä­run­gen – alles Ent­wick­lun­gen eines außer Rand und Band gera­te­nen Finanzsektors.

Kor­rekt, aber der Fokus auf die Fehl­ent­wick­lun­gen im Finanz­sek­tor droht dahin­ter­lie­gen­de struk­tu­rel­le Ursa­chen aus dem Bewusst­sein zu ver­drän­gen – und die haben viel mit der Ver­än­de­rung der Ein­kom­mens­ver­tei­lung zu tun.

Für den Groß­teil der Haus­hal­te sind Lohn­ein­kom­men die Haupt­ein­kom­mens­quel­le. Aus ihnen wird der Gross­teil der Kon­sum­aus­ga­ben finan­ziert. Blei­ben die Löh­ne hin­ter dem Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tums zurück, so wird weni­ger kon­su­miert. Öko­no­me­tri­sche Schät­zun­gen erge­ben, dass Eine Umver­tei­lung von 100 € von den Pro­fi­ten zu den Löh­nen zu rund 30 bis 40 € mehr Kon­sum­aus­ga­ben führt.

Eine nied­ri­ge­re Lohn­quo­te bedeu­tet defi­ni­ti­ons­ge­mäß eine höhe­re Pro­fit­quo­te. Und höhe­re Pro­fi­te füh­ren zu mehr Inves­ti­tio­nen. Kom­pen­sie­ren die höhe­ren Inves­ti­ti­ons­aus­ga­ben nicht die gesun­ke­nen Kon­sum­aus­ga­ben? Nein; zwar füh­ren höhe­re Gewin­ne tat­säch­lich zu mehr Inves­ti­tio­nen, aber in einem beschei­de­nen Aus­maß. 100 € höhe­re Gewin­ne füh­ren zu rund 10 € höhe­ren Investitionen.

Kurz, die hei­mi­sche Nach­fra­ge sta­gniert, wenn die Löh­ne nicht stei­gen. Ver­schie­de­ne Län­der ent­wi­ckel­ten unter­schied­li­che Stra­te­gien damit umzu­ge­hen. Etli­che Län­der, z.B. Deutsch­land und Japan, haben das schwa­che Wachs­tum der hei­mi­schen Nach­fra­ge durch Export­über­schüs­se kompensiert.

Das Pro­blem: es kön­nen nicht alle Län­der gleich­zei­tig Export­über­schüs­se erzie­len. Jedem Leis­tungs­bi­lanz­über­schuß muss ein Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zit in einem ande­ren Land gegen­über­ste­hen. Irgend­wer muss impor­tie­ren. Es waren die angel­säch­si­schen Län­dern, allen vor­an die USA, die sich als Wachs­tums­mo­tor der Welt­wirt­schaft eta­blier­ten. Waren in die­sen Län­dern die Löh­ne etwa stär­ker gewach­sen? Nein, im gros­sen und gan­zen nicht. Auf­grund ihres Immo­bi­li­en­mark­tes und ihres Finanz­sys­tem ent­wi­ckel­ten die­se Län­der mit der Dere­gu­lie­rung des Finanz­sek­tors ein schein­bar bril­lan­tes Sys­tem der Nach­fra­ge­an­kur­be­lung: der Kon­sum wur­de kre­dit­fi­nan­ziert und die Kre­di­te durch stei­gen­de Immo­bi­li­en­prei­se besi­chert. Die­ses kre­dit-finan­zier­te Wachs­tums ging gut, solan­ge die Haus­prei­se wei­ter stie­gen. Als die­se zu fal­len began­nen, began­nen auch die Ban­ken zu krachen. 

Wie finan­zier­ten die Ban­ken eigent­lich die­ses Kre­dit­wachs­tum? Größ­ten­teils nicht über Ein­la­gen, son­dern indem sie die Kre­di­te wei­ter­ver­kauf­ten, teils in Form recht kom­pli­zier­ter Wert­pa­pie­re. Und wer kauf­te eigent­lich die­se Papie­re? Zu einem Teil inter­na­tio­na­le Anle­ger. Das muß so sein: ein Land das Export­über­schüs­se (an Gütern) hat, muß auch Kapi­tal expor­tie­ren. Indi­rekt finan­zier­ten damit Chi­na, Japan und Deutsch­land die Kre­di­te für die Immo­bi­li­en­bla­se. In einem ver­nünf­ti­gen Wech­sel­kurs­sys­tem hät­ten der US-Dol­lar schon vor Jah­ren abwer­ten müs­sen. Aber im heu­ti­gen Sys­tem sind die Wech­sel­kur­se den Märk­ten über­las­sen. Die Aus­sen­han­dels­un­gleich­wich­te konn­ten damit in unge­wohn­te Höhen steigen. 

Fas­sen wir also zusam­men: Eini­ge Län­der, in denen wegen Lohn­zu­rück­hal­tung die hei­mi­sche Nach­fra­ge schwä­chelt, expor­tie­ren fleis­sig und finan­zie­ren mit ihren Kapi­tal­ex­por­ten die Kre­dit­ge­ne­rie­rung in jene Län­der, wo die Haus­hal­te fleis­sig ein­kau­fen, was sie sich wegen des gerin­gen Lohn­wachs­tums gar nicht leis­ten kön­nen und daher über Kre­di­te finan­zie­ren müs­sen. Ins­ge­samt ein per­ver­ses Sys­tem. Mög­lich wur­de all dies durch die Dere­gu­lie­rung des Finanz­sys­tems, aber auch durch eine Pola­ri­sie­rung der Einkommensverteilung.

Und die Moral von der Geschicht? Eine Reform des Finanz­sys­tems kann daher nur ein Teil der Repa­ra­tur des Sys­tems sein. Der ande­re Bereich der der Repa­ra­tur bedarf ist die Lohn- und Ver­tei­lungs­po­li­tik. Erst wenn die Löh­ne wie­der mit der Pro­duk­ti­vi­tät wach­sen ist ein wirt­schaft­li­ches Gleich­ge­wicht mög­lich, das ohne spe­ku­la­ti­ve Bla­sen und stei­gen­de Haus­halts­ver­schul­dung auskommt. 


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