EU – BEIGEWUM

Stichwort: EU


29. Mai: Frankreich nach der Wahl

Mai. 23rd 2012 — 11:17

FRANKREICH NACH DER WAHL: Bilanz für Sar­ko­zy. Mit Hol­lan­de für ein ande­res Europa?

Diens­tag, 29. Mai 2012, 18.30 Uhr

Ort: Repu­bli­ka­ni­scher Club, Rockhg. 1, 1010 Wien

Rudolf WALTHER (Publi­zist aus Frankfurt/​M., u.a. Der Stan­dard, Die Zeit, die tages­zei­tung, Der Freitag)

Mode­ra­ti­on: Gian­lu­ca WALLISCH (Redak­teur Außen­po­li­tik, Der Standard)
Begrü­ßung: Ulrich BRAND (Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Wien)


Nach den jüngs­ten Wah­len in Frank­reich wird viel­fach von einem wirt­schafts­po­li­ti­schen Para­dig­men­wech­sel in Euro­pa gespro­chen. Wie sieht die Bilanz des schei­den­den Prä­si­den­ten Nico­las Sar­ko­zy aus? Was hat er erreicht, wo lie­gen Pro­ble­me? Beim neu­en Amts­in­ha­ber Fran­çois Hol­lan­de stellt sich die Fra­ge nach sei­ner Wirt­schafts- und Gesell­schafts­po­li­tik und jene nach den Chan­cen der Umsetz­bar­keit sei­ner pro­gram­ma­ti­schen Erklärungen.


Eine Ver­an­stal­tung des Insti­tuts für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Wien in Koope­ra­ti­on u.a. mit dem BEIGEWUM, „Der Stan­dard“, Grü­ne Bil­dungs­werk­statt und dem Repu­bli­ka­ni­schen Club – Neu­es Österreich.

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Retrospektive: Quo vadis, Ungarn? (18.03.)

April. 17th 2012 — 11:20

Am 18.03. fand im Repu­bli­ka­ni­schen Club die Podi­ums­dis­kus­si­ons-Ver­an­stal­tung „Quo vadis, Ungarn?“ statt. Bei der vom Bei­gewum, dem Ren­ner-Insti­tut und dem Repu­bli­ka­ni­schen Club gemein­sam orga­ni­sier­ten Ver­an­stal­tung dis­ku­tier­ten Ist­ván Gra­jcz­jar und Sus­an Zim­mer­mann mit Julia Hof­mann. Ist­ván Gra­jcz­jar kon­zen­trier­te sich in sei­nem Bei­trag auf die his­to­ri­sche Ent­wick­lung des Rechts­ex­tre­mis­mus in Ungarn und ver­such­te zu erklä­ren, war­um Orbán so viel Zuspra­che aus der Bevöl­ke­rung bekommt. Sus­an Zim­mer­mann the­ma­ti­sier­te die Pro­ble­me von EU-Inter­ven­tio­nen in Ungarn, da die­se zur Per­p­etu­ie­rung der Macht­ver­hält­nis­se zwi­schen Zen­tren und Peri­phe­rien füh­ren kön­nen. Durch die gro­ße Teil­nah­me an der Ver­an­stal­tung war auch die anschlie­ßen­de Publi­kums­dis­kus­si­on sehr leb­haft und spannend.

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Spanien als Musterbeispiel für scheiternde europäische Austeritätspolitik

April. 2nd 2012 — 14:33

Trotz – bzw. gera­de wegen – meh­re­rer Spar­pa­ke­te und Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung fin­det Spa­ni­en kei­nen Halt. Zusätz­lich zur pro­gnos­ti­zier­ten Schrump­fung der Wirt­schaft um 1,7 % und wei­ter­hin stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit (Stand Febru­ar: 23,6 %; Jugend­ar­beits­lo­sig­keit 50,5 %) kommt nun ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket, das die Rezes­si­on merk­lich ver­schär­fen wird. Damit ent­wi­ckelt sich das bud­get­po­li­tisch vor der Kri­se als vor­bild­lich gel­ten­de Spa­ni­en neu­er­lich zu einem Vor­zei­ge-Mit­glied­staat – dies­mal aller­dings für eine schei­tern­de euro­päi­sche Austeritätspolitik.

Meh­re­re Fak­to­ren tra­gen zu die­sem Schei­tern bei. Der wich­tigs­te ist die Wirt­schafts­kri­se, die auf­grund der natio­na­len Immo­bi­li­en­kri­se deut­lich stär­ker aus­fiel und auch nicht so rasch über­wun­den wer­den konn­te wie zB in Deutsch­land und Öster­reich. Die Arbeits­lo­sig­keit hat sich in den letz­ten drei Jah­ren bei­na­he ver­drei­facht, wodurch ein immenser Steu­er­aus­fall sowie ein hoher Anstieg der Sozi­al­kos­ten folg­ten. Gleich­zei­tig kamen die Ban­ken auf­grund der geplatz­ten Immo­bi­li­en­bla­se in beson­de­re Bedräng­nis. Der Staat hat­te damit beson­de­re Belas­tun­gen zu tra­gen und ein Kon­junk­tur­pa­ket zu finan­zie­ren, um den Absturz zu brem­sen. So dreh­te der Maas­tricht-Sal­do von einem Über­schuss von knapp 2 % des BIP 2007 auf ein Rekord­de­fi­zit von 11,2 % des BIP 2009.

Ein wei­te­rer Fak­tor ist die poli­ti­sche Dyna­mik. Der Plan der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Min­der­heits­re­gie­rung Zapa­tero bestand 2009 aus Opti­mis­mus und einem ambi­tio­nier­ten mit­tel­fris­ti­gen Kon­so­li­die­rungs­plan, der die EU-Vor­ga­ben – mind. ‑6 %p. in den kom­men­den vier Jah­ren – über­erfül­len wür­de. Die­ser Plan schei­ter­te im Früh­jahr 2010, als in Fol­ge der Grie­chen­land-Panik die Zin­sen auf spa­ni­sche Staats­an­lei­hen in unge­ahn­te Höhen schos­sen, die nega­ti­ve Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung wei­ter ging und gleich­zei­tig auf Euro­päi­scher Ebe­ne klar­ge­stellt wur­de, dass es kei­ne wesent­li­che Hil­fe zu erwar­ten gab. Ein har­tes Not-Spar­pro­gramm soll­te sicher­stel­len, dass die euro­päi­sche Kon­so­li­die­rungs­vor­ga­be von durch­schnitt­lich 1,5 %p. des BIP pro Jahr bereits 2010 und 2011 erfüllt wer­den – trotz pro­gnos­ti­zier­ter Rezes­si­on 2010.

Gefangen in der Spirale nach unten

2010 wur­den die Zie­le auch weit­ge­hend erfüllt, aller­dings nicht 2011: Statt den ange­streb­ten 6 % erreich­te das Defi­zit 8,5 % des BIP. Schuld war aller­dings nicht die alte, Ende Novem­ber abge­wähl­te Zen­tral­re­gie­rung. Die hat­te ihr Spar­pro­gramm trotz deut­lich schlech­te­rer Beschäf­ti­gungs- und damit Bud­get­ent­wick­lung durch­ge­zo­gen. Mit einem Defi­zit von 5,1 statt 4,8 % des BIP ver­fehl­te sie ihr Ziel nur knapp (bzw. 5,2 statt 4,4 %p. inklu­si­ve Sozi­al­ver­si­che­rung). Der über­wie­gen­de Teil der Defi­zit-Ver­feh­lung ging auf die Kon­ten der fast aus­schließ­lich kon­ser­va­tiv regier­ten Bun­des­län­der (die aber eben­falls erheb­li­che Spar­an­stren­gun­gen unter­nah­men). Bezeich­nend für den eiser­nen Spar­wil­len war eine Mel­dung in ElPaís Anfang Okto­ber, wonach der öffent­li­che Sek­tor in eini­gen Mona­ten bereits einen grö­ße­ren Bei­trag zum Zuwachs zur Arbeits­lo­sig­keit lie­fer­te als der private.

Wie auch immer, mit die­sem hohen Defi­zit-Start­wert und der sich ver­schär­fen­den Rezes­si­on (statt dem Ende 2010 pro­gnos­ti­zier­ten Wachs­tum von 1,7 % wird nun mit minus 1 bis 2 % gerech­net) wur­de klar, dass 2012 weder das ursprüng­li­che Defi­zit­ziel von 5,3 % des BIP vom Juni 2010 noch das bis Jah­res­en­de 2011 auf­recht erhal­te­ne ambi­tio­nier­te Ziel von 4,4 % des BIP erreicht wer­den kön­nen. Dar­an wird auch der eben erst beschlos­se­ne radi­ka­le Abbau der Arbeits­markt­stan­dards (bei Umsatz­rück­gang dür­fen Arbeit­ge­be­rIn­nen Arbeits­ver­trä­ge ver­schlech­tern, leich­te­re Kün­di­gung auch lang­jäh­rig Beschäf­tig­ter, etc.), der gemäß OECD, EU-Kom­mis­si­on und spa­ni­scher Regie­rung Beschäf­ti­gung schaf­fen soll, nichts ändern.

Europäische Wirtschaftspolitik versagt

An die­ser Stel­le kommt der Fak­tor „Ver­sa­gen der euro­päi­schen Wirt­schafts­po­li­tik“ zu tra­gen. Am spa­ni­schen Bei­spiel offen­bar­te sich die Absur­di­tät der Eco­no­mic-Gover­nan­ce/­Six-Pack/­Fis­kal­pakt-Debat­te: Obwohl es eine Kon­junk­tur­klau­sel gibt, die eine Stre­ckung des Kon­so­li­die­rungs­pfa­des pro­blem­los erlau­ben wür­de, und obwohl selbst die ver­schärf­ten Spar­vor­ga­ben hin­sicht­lich des mit­tel­fris­ti­gen struk­tu­rel­len Defi­zits wie auch schon vor der Kri­se ein­ge­hal­ten wer­den, wird bei­des igno­riert und wei­ter­hin an der dümms­ten aller Vor­ga­ben – näm­lich dem von der Kon­junk­tur­ent­wick­lung maß­geb­lich bestimm­ten Maas­tricht-Defi­zit – fest­ge­hal­ten. Der Rat der Finanz­mi­nis­te­rIn­nen kam der spa­ni­schen Regie­rung nur inso­fern ent­ge­gen, als dass nun wie­der die alte Pro­gno­se für den Defi­zit­pfad mit 5,3 % des BIP 2012 (neben den unver­än­der­ten 3 % im Jahr 2013) als ver­pflich­ten­der Ziel­wert gilt. Detail am Ran­de: gemäß ElPaís übte sich eine klei­ne Grup­pe von Hard­li­ne­rIn­nen – dar­un­ter natür­lich auch die öster­rei­chi­sche Ver­tre­te­rin – in völ­li­ger Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung mit der For­de­rung Spa­ni­en müs­se am Defi­zit-Ziel von 4,4 % des BIP festhalten.

Mit die­sem Beschluss haben die euro­päi­schen Finanz­mi­nis­te­rIn­nen eines klar zum Aus­druck gebracht: Es ist ihnen ernst mit der in der Reform der Eco­no­mic Gover­nan­ce ange­leg­ten und mit dem Fis­kal­pakt voll­ende­ten Ver­un­mög­li­chung einer aus­ge­wo­ge­nen Wirt­schafts­po­li­tik. Immer­wäh­ren­de Aus­teri­täts­po­li­tik plus Wett­be­werbs­fä­hig­keit ste­hen über Wohl­stand, des­sen Ver­tei­lung, nied­ri­ge Arbeits­lo­sig­keit oder öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit. Die spa­ni­sche Regie­rung bemüht sich trotz­dem dies­be­züg­lich Mus­ter­schü­le­rin zu blei­ben: Statt Pro­gram­me gegen die gras­sie­ren­de Arbeits­lo­sig­keit, Armut oder für leist­ba­re Woh­nun­gen (seit 2008 wur­den bereits etwa 1 % der Haus­hal­te delo­giert; selbst Erwach­se­ne müs­sen viel­fach bei ihren Eltern woh­nen) wur­de ver­gan­ge­nen Frei­tag das bereits zwei­te Spar­pa­ket in nur 100 Tagen prä­sen­tiert. Die Kon­so­li­die­rung der Zen­tral­re­gie­rung soll 27,3 Mrd Euro (über 2,5 % des BIP) betra­gen. Hin­zu kommt eine Ver­ein­ba­rung mit Län­der und Gemein­den, wonach die­se ihr Defi­zit 2012 um 1,7 % des BIP sen­ken müs­sen (wobei ein unbe­stimm­ter Teil davon bereits in den 2,5 % aus dem Zen­tral­re­gie­rungs­pa­ket ent­hal­ten sein dürfte).

Scheitern vorprogrammiert

Die­ser Plan wird aller­dings nicht genü­gen um das Defi­zit tat­säch­lich aus­rei­chend zu sen­ken, da die nega­ti­ven Rück­kop­pe­lungs­ef­fek­te auf Wachs­tum und Beschäf­ti­gung nicht ein­ge­rech­net zu sein schei­nen. Die Kür­zun­gen in den Minis­te­ri­en von durch­schnitt­lich 17 % wer­den jedoch sehr deut­li­che Aus­wir­kun­gen haben – vor allem da bei Inves­ti­tio­nen oder akti­ver Arbeits­markt­po­li­tik über­pro­por­tio­nal gespart wird. Damit wird die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit wohl noch län­ger über 50 % blei­ben und die sozia­le Kri­se verschärfen.

Inter­es­sant ist die Reak­ti­on auf euro­päi­scher Ebe­ne: das deut­sche EZB-Direk­to­ri­ums­mit­glied for­der­te gemäß ElPaís, dass das Kon­so­li­die­rungs­pa­ket per Not­stands­ge­setz­ge­bung beschlos­sen wer­den soll­te um eine schnellst­mög­li­che Umset­zung sicher­zu­stel­len. Was das alles mit glaub­wür­di­ger Bud­get­po­li­tik oder einer Über­win­dung der Kri­se in der Euro­zo­ne zu tun hat, so wie auf euro­päi­scher Ebe­ne mehr­fach fan­ta­siert wur­de, bleibt ein offe­nes Rät­sel. Es wür­de im Gegen­teil nicht über­ra­schen, wenn damit die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on in der Euro­zo­ne neu­er­lich belas­tet wür­de – mit all den nega­ti­ven Kon­se­quen­zen für alle Mit­glied­staa­ten. Trotz­dem ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass der Kurs in der Euro­zo­ne wie in Spa­ni­en selbst unver­än­dert bleibt und auch in den nächs­ten 100 Tagen Amts­zeit der neu­en spa­ni­schen Regie­rung ein wei­te­res Spar­pa­ket ver­ab­schie­det wird um die euro­päi­schen Vor­ga­ben ein­zu­hal­ten. Schließ­lich geht es ja um die Glaub­wür­dig­keit der euro­päi­schen Austeritätspolitik …

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Staatsbankrott – Alternative zu Austeritätspolitik und Weg aus der Euro-Krise ?

Oktober. 18th 2011 — 9:50

Über die Sinn­haf­tig­keit und die Fol­gen einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum gibt es geteil­te Mei­nun­gen. Inwie­weit ist eine geord­ne­te Staats­in­sol­venz sinn­voll und wür­de die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se in den betrof­fe­nen Län­dern und im Euro­raum redu­zie­ren? Wel­che Erfah­run­gen gibt es mit dem Instru­ment des Staat­bank­rotts beson­ders in Län­dern des Südens, wo die­ses Instru­ment seit lan­gem gefor­dert wird ? Wie kann eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz im Euro­raum gestal­tet wer­den ? Inwie­weit wür­de eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz zu Anste­ckungs­ef­fek­ten füh­ren und dadurch die Kri­se ver­schär­fen? Wel­che alter­na­ti­ven Poli­ti­ken gibt es zum Staats­bank­rott, um die Kri­se zu ent­schär­fen und die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se reduzieren?


Im aktu­el­len Kurs­wech­sel  (Haupt­the­ma: „Roh­stof­fe“) kom­men dazu zwei unter­schied­li­che Posi­tio­nen zu Wort: Kuni­bert Raf­fer (Uni Wien) for­dert schon seit Jahr­zehn­ten eine Staats­in­sol­venz­pro­ze­dur vor allem für Län­der des Südens. Tors­ten Niechoj (IMK) betont hin­ge­gen die Gefah­ren einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum und argu­men­tiert für alter­na­ti­ve Lösungen.


Das Heft erscheint Mit­te Novem­ber, die Debat­ten­bei­trä­ge sind vor­ab online.

Am 10.November 2011 um 19h in C3 (Sen­sen­gas­se 3, 1090 Wien) gibt es eine BEIGEWUM/ÖFSE-Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung zum The­ma mit Hele­ne Schu­berth und Kuni­bert Raf­fer.

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„Wage moderation“, die lohnpolitische Obsession der EU

Oktober. 6th 2011 — 10:17

Jetzt fehlt gera­de noch, dass der öko­no­mi­sche Main­stream die Lohn­po­li­tik der Gewerk­schaf-ten für die Finanz­kri­se ver­ant­wort­lich macht! Denn nach­dem die mehr­heit­lich kon­ser­va­ti­ven Staa­ten­len­ke­rin­nen in der Uni­on sich gegen­über dem pene­tran­ten Lob­by­ing der Bank- und Hedge­fonds­ma­na­ger à la Acker­mann offen­sicht­lich nicht zur Wehr setz­ten kön­nen, wen­det sich die EU wie­der ihren bei­den Lieb­lings­the­men zu: neben dem Spa­ren sind das die so ge-nann­ten Struk­tur­re­for­men, die Lohn­fin­dungs­sys­te­me im Spe­zi­el­len. Dabei wird zum Schein eine tech­ni­sche Debat­te geführt, im Hin­ter­grund geht es jedoch um Inter­es­sen und Ideo­lo-gien, so simp­le. Aber der Rei­he nach.
Mit­te Sep­tem­ber 2011 fand in Brüs­sel eine Exper­tIn­nen-Kon­fe­renz zum The­ma „Wage trends in Euro­pe“ statt. Weil das Tref­fen von der Gene­ral­di­rek­ti­on Beschäf­ti­gung ver­an­stal­tet wur­de, war für Aus­ge­wo­gen­heit auf den Panels und in den Work­shops gesorgt: einem Ge-werk­schafts-Ver­tre­ter folg­te einer von der Arbeit­ge­ber­sei­te, einem Red­ner der Gene­ral­di-rek­ti­on Wirt­schaft und Finan­zen einer von der Beschäf­ti­gungs­sei­te, usw. So kamen vie­le in-ter­es­san­te Argu­men­te zu Wort, nur mit­ein­an­der gere­det und dis­ku­tiert wur­de nicht. Das ist aber nicht wei­ter von Bedeu­tung, denn was wirt­schafts­po­li­tisch Sache ist in der EU, das be-stim­men ohne­hin noch immer die FinanzministerInnen!
Im Kern ging es um zwei Fra­gen: (1) In wel­chem Zusam­men­hang steht die Ent­wick­lung von Löh­nen und Gehäl­tern mit der Wett­be­werbs­fä­hig­keit? Seit M. Por­ter wis­sen wir, dass die­se von vie­len Fak­to­ren wie den ört­li­chen Stand­ort­be­din­gun­gen (Infra­struk­tur, Aus­bil­dungs- und Tech­no­lo­gie­stan­dards, Fleiß und Prä­zi­si­on der Mit­ar­bei­te­rIn­nen), den Nach­fra­ge­ver­hält­nis-sen und der Wett­be­werbs­in­ten­si­tät am Heim­markt, etc. abhängt; die Lohn­hö­he ist dabei nur eine Grö­ße unter vie­len! Den­noch schielt die EU-KOM in ihren wirt­schafts­po­li­ti­schen Emp-feh­lun­gen, aber auch beim so genann­ten Scoreboard im Rah­men des neu­en „Exces­si­ve Im-balan­ce Pro­ce­du­re“ bei­na­he aus­schließ­lich auf die Arbeits­kos­ten. Dabei sind die Zusam-men­hän­ge zwi­schen der Ent­wick­lung von Löh­nen, Prei­sen, Pro­duk­ti­vi­tät, Real­zin­sen und dem Wachs­tum von Expor­ten, Inlands­nach­fra­ge, BIP und Beschäf­ti­gung wie so oft in der Öko­no­mie alles ande­re als klar – das zeigt auch ein Blick auf die tat­säch­li­che Ent­wick­lung ver­schie­de­ner Län­der in ver­schie­de­nen Peri­oden. Allei­ne der Haus­ver­stand wür­de einem schon sagen, dass bei der Fra­ge, wodurch ein Unter­neh­men erfolg­reich auf den Export­märk-ten ist, das Nied­rig-Hal­ten von Löh­nen viel­leicht nicht gera­de eine inno­va­ti­ve Vor­wärts­stra-tegie genannt wer­den kann. Der Export­welt­meis­ter Deutsch­land ist v. a. des­halb erfolg­reich, weil er die stark gestie­ge­ne Import­nach­fra­ge der Schwel­len­län­der mit qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti-gen Pro­duk­ten bedie­nen kann. Die jah­re­lan­ge Lohn­zu­rück­hal­tung in Deutsch­land, aber auch in Öster­reich, wirkt dabei unter­stüt­zend, ist aber nicht ent­schei­dend! Wen­det man die so genann­te „Gol­den Rule“ (frü­her hieß sie „Benya-For­mel“) an – die Nomi­nal­löh­ne sol­len im Aus­maß von Pro­duk­ti­vi­tät und Infla­ti­ons­ziel stei­gen –, dann hat sich Öster­reich seit Beginn der Wäh­rungs­uni­on einen 10%igen Wett­be­werbs­vor­teil ergat­tert, Deutsch­land gar über 17%. Aber bei die­ser Betrach­tung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit sind die Vor­tei­le der einen (DT, Ö) eben die Nach­tei­le der ande­ren (GR, ITA, ESP, P); soviel zum The­ma euro­päi­sche Solidari-tät.
Die zwei­te zen­tra­le Fra­ge­stel­lung der Kon­fe­renz bezog sich dar­auf, wie die unglei­cher wer-den­de Ver­tei­lung ein­zu­schät­zen sei? Hier ist mitt­ler­wei­le die Fak­ten­la­ge der­art ein­deu­tig, dass selbst die hart­ge­sot­te­nen Öko­no­men der OECD (wie Ste­fa­no Scar­pet­ta) fest­stel­len muss­ten: „While over­all redis­tri­bu­ti­on has incre­a­sed, this was not enough to off­set gro­wing mar­ket-inco­me ine­qua­li­ty.“ Die Daten der OECD zei­gen ein­deu­tig, dass in der über­wie­gen­den Mehr­zahl der Indus­trie­län­der die Ein­kom­mensun­gleich­heit in den letz­ten 25 Jah­ren grö­ßer gewor­den ist. Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Lage wahr­schein­lich noch wesent­lich dra­ma­ti­scher ist, weil: die Qua­li­tät der Daten noto­risch schlecht ist, etwa bei den Ein­kom­men der Selbst­stän­di­gen; und weil sich die Ungleich­ver­tei­lung bei den Ver­mö­gen noch wesent­lich dra­ma­ti­scher dar­stellt. Die­se Ein­sich­ten zur neu­en Ver­tei­lungs­fra­ge blei­ben jedoch in der EU fol­gen­los, ganz im Gegen­satz zu den unzäh­li­gen Emp­feh­lun­gen und Mah­nun­gen zur Lohn­zu­rück­hal­tung. Nicht zuletzt an die­ser Stel­le wird sicht­bar, wie ideo­lo­gisch der Dis­kurs bis dato geführt wird. Prag­ma­tisch wäre anders.
Ange­sichts der Ein­sei­tig­keit der Kon­tro­ver­se und der begin­nen­den Herbst­lohn­run­de hier­zu-lan­de liegt fol­gen­der Schluss nahe: Um sich selbst, aber auch den grie­chi­schen Kol­le­gIn­nen zu hel­fen, soll­ten die öster­rei­chi­schen Gewerk­schaf­ten höhe­re Lohn­ab­schlüs­se als in der Ver­gan­gen­heit durch­set­zen. Das wäre doch ein ver­nunft­ge­lei­te­ter Bei­trag zur Lage in Öster-reich und in der EU

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Europäische Wirtschaftsregierung – eine stille neoliberale Revolution?

März. 16th 2011 — 11:27

Wäh­rend die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se deut­lich zuta­ge brach­te, dass nicht nur die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märk­te, son­dern auch die Wirt­schafts­po­li­tik der letz­ten Jahr­zehn­te mit wach­sen­den Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten, rapi­de zuneh­men­den Ungleich­hei­ten in der Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen, anhal­ten­der Wachs­tums­schwä­che durch eine im Rah­men des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes (SWP) kon­zer­tier­te öffent­li­che Kon­so­li­die­rungs­po­li­tik und schäd­li­chem Steu­er­wett­be­werb, beglei­tet von Dere­gu­lie­rung und Pri­va­ti­sie­rung, wirt­schafts­po­li­tisch der fal­sche Weg und kon­tra­pro­duk­tiv ist, zeigt sich gegen­wär­tig eine erstaun­li­che Dyna­mik : Die öffent­li­che Debat­te ist domi­niert von Geschich­ten über Staa­ten die – vor­nehm­lich selbst­ver­schul­det – nahe am Staats­bank­rott sind, dra­ma­ti­schen Ret­tungs­ak­tio­nen, Refi­nan­zie­rungs­schwie­rig­kei­ten, Gefah­ren des Aus­ein­an­der­bre­chens des Euros und Dis­zi­pli­nie­rung durch Finanz­märk­te (Zins­druck). In einer der­art dra­ma­ti­schen Situa­ti­on müs­sen die »unver­ant­wort­li­chen EU-Mit­glieds­staa­ten« hart her­ge­nom­men wer­den : »Die EU schlägt zurück« und »the EU gets tough«, so die Pres­se­ver­laut­ba­run­gen der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Und : wer erlaubt sich ange­sichts einer der­ar­ti­gen Dra­ma­tik über­haupt den Luxus, Kri­tik zu üben ?

Wäh­rend die Not­wen­dig­keit bes­se­rer und ver­stärk­ter wirt­schafts­po­li­ti­scher Koor­di­nie­rung und Steue­rung inner­halb der EU weit­ge­hend unbe­strit­ten ist, sind sowohl hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung der vor­ge­schla­ge­nen Instru­men­te und Pro­zes­se als auch hin­sicht­lich des Zustan­de­kom­mens der neu­en Rege­lun­gen aus wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Per­spek­ti­ve grund­le­gen­de Ein­wän­de anzu­mel­den. Die­se Maß­nah­men haben gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die wirt­schafts­po­li­ti­schen Spiel­räu­me der Mit­glied­staa­ten, sie stel­len de fac­to Ein­grif­fe in die Bud­get­ho­heit und eine Umge­hung von demo­kra­ti­schen Mecha­nis­men in Mit­glied­staa­ten und auf EU Ebe­ne dar.

In einer online Vor­ab-Ver­si­on ihres Bei­trags für Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“) ana­ly­sie­ren Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger die geplan­ten EU-Reformen.

Am 31.3.2011 laden wir zu einer Dis­kus­si­on zum The­ma mit der Bei­trags­au­torin Eli­sa­beth Klat­zer und dem deut­schen Gewerk­schafts­öko­no­men Dierk Hirschel.

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Veranstaltungsbericht + Video „Griechenland – eine europäische Tragödie“

Mai. 12th 2010 — 12:29
Gro­ßer Andrang herrsch­te bei der Ver­an­stal­tung „Grie­chen­land – eine euro­päi­sche Tra­gö­die“ am 11.Mai im Repu­bli­ka­ni­schen Club, zur Prä­sen­ta­ti­on von Kurs­wech­sel 1/​10 „Kri­se in EUro­pa“. Mit dem Publi­kum dis­ku­tier­ten Joa­chim Becker, Wer­ner Raza, Eli­sa­beth Spring­ler, mode­riert von Beat Weber. Eini­ge zen­tra­le Diskussionspunkte:

* In der grie­chi­schen Bevöl­ke­rung herrscht gewis­se Akzep­tanz für Kon­so­li­die­rungs­be­darf, aber die beschlos­se­nen Maß­nah­men tref­fen laut herr­schen­der Ein­schät­zung die Fal­schen (Pro­ble­me wie Steu­er­hin­ter­zie­hung, Ver­mö­gensun­gleich­heit, Mili­tär­aus­ga­ben zu wenig angegangen).


* Unter den inter­nen Fak­to­ren ist neben der Ban­ken­kri­se vor allem die Olym­pi­schen Spie­le 2004 als maß­geb­lich für die Eska­la­ti­on der grie­chi­schen Staats­ver­schul­dungs-Pro­ble­ma­tik zu nennen.


* Die aktu­el­le Staats­schul­den­kri­se ist weni­ger inter­nen Fak­to­ren zuzu­schrei­ben, als viel­mehr die letz­te Etap­pe der Finanz­kri­se – jetzt geht es um die Fra­ge, wer zahlt.


* Die süd­li­chen (wie auch die meis­ten öst­li­chen) EU-Staa­ten haben eines gemein­sam: Import­ab­hän­gig­keit und Abhän­gig­keit von Kapi­tal­zu­fuhr aus dem Aus­land, oft ist bzw. war das Wachs­tum Immo­bi­li­en­boom-getrie­ben. Das Spie­gel­bild sind Über­schuss­län­der, allen vor­an Deutsch­land (aber auch Nie­der­lan­de, und Öster­reich gegen­über Ost­eu­ro­pa): Sie expor­tie­ren Waren und Kapital.


*  Das Ret­tungs­pa­ket ist über­fäl­lig gewe­sen, aber in eine pro­ble­ma­ti­sche Stra­te­gie ein­ge­bet­tet. Die wirt­schafts­po­li­ti­sche Stra­te­gie der EU läuft dar­auf hin­aus, dass alle Mit­glie­der Export­über­schüs­se anstre­ben sol­len – was aber zumin­dest glo­bal nicht für alle geht.


* Den öst­li­chen Staa­ten ist von der EU schon frü­her jene Stra­te­gie ver­ord­net wor­den, wie jetzt dem Süden: Lohn­sen­kun­gen und Bud­get­kon­so­li­die­rung. Weil das zur Rezes­si­on führt, wird die Bud­get­kon­so­li­die­rung nicht erreicht. Die Reduk­ti­on des Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zits gelang jedoch. Aller­dings zu einem hohen Preis: Zer­stö­rung indus­tri­el­ler Struk­tu­ren und Armut.

Die­se Stra­te­gie hat das Poten­zi­al eines Domi­no­ef­fekts: Anpas­sungs­druck auf die Löh­ne nach unten wird auf den Wes­ten der EU über­sprin­gen. Es han­delt sich also um eine Radi­ka­li­sie­rung der neo­li­be­ra­len Poli­tik der letz­ten Jahre.


* Hat sich die Rol­le des IWF geän­dert? Der „Strauss-Kahn-Effekt“ macht sich nur mode­rat bemerk­bar: Statt wie ursprüng­lich geplant 3 Jah­re, erhält Grie­chen­land für die Bud­ge­t­an­pas­sung nun 5 Jah­re Zeit.


*  Mög­li­che Alter­na­ti­ven: For­de­rungs­ver­zicht der Gläu­bi­ger, flan­kiert von Kapi­tal­ver­kehrs­kon­trol­len; Auf­bau von Pro­duk­ti­ons­struk­tu­ren in Defi­zit­län­dern, finan­ziert durch Trans­fers aus Überschussländern.


Hier ist eine Video­auf­zeich­nung der Veranstaltung.

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>DeflationoitalfnI<

Juni. 30th 2009 — 10:51

Anläss­lich der Anmer­kung von Mat­thew Ygle­si­as: Ist die Defla­ti­ons­ge­fahr im Euro­raum gege­ben? In einer Prok­la-Aus­ga­be von 2004 wur­de das The­ma expli­zit ange­schnit­ten. Das Edi­to­ri­al hat damals (nach dem Plat­zen der New Eco­no­my Bla­se) fol­gen­de Aus­sicht gege­ben:

Selbst ein star­kes Wachs­tum in den USA sta­bi­li­siert die Welt­wirt­schaft nicht auto­ma­tisch. Denn soll­ten die inter­na­tio­na­len Kapi­tal­strö­me in die USA, die zur Finan­zie­rung des Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zits not­wen­dig sind, ver­sie­gen und der Dol­lar­kurs wei­ter abstür­zen, dann wür­de das US-ame­ri­ka­ni­sche Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zit schrump­fen. Für die Akku­mu­la­ti­ons­aus­sich­ten der Welt­wirt­schaft wäre es äußerst pro­ble­ma­tisch, wenn sich in den USA das Defi­zit der Leis­tungs­bi­lanz in einen Über­schuss ver­wan­deln soll­te. Denn dann wür­de die Auf­wer­tung des Euro sowie des Yen im Euro­raum und in Japan die Defla­ti­ons­ge­fah­ren mas­siv erhö­hen. Beson­ders ver­hee­rend wäre es, wenn der Dol­lar­kurs unkon­trol­liert ins Tru­deln käme und sich die ame­ri­ka­ni­sche Zen­tral­bank gezwun­gen sähe, durch Hoch­zins­po­li­tik den Dol­lar­kurs zu verteidigen. […]

Ins­ge­samt hat die Dere­gu­lie­rungs­wel­le und die ver­stärk­te Wäh­rungs­kon­kur­renz zu einem struk­tu­rel­len Macht­ge­winn von Geld­ver­mö­gens­be­sit­zern geführt. Der welt­wei­te Rück­gang von Infla­ti­ons­ra­ten, die zuneh­men­de Unab­hän­gig­keit von Zen­tral­ban­ken, die Ver­ab­so­lu­tie­rung der Domi­nanz von Preis­ni­veau­sta­bi­li­tät gegen­über allen ande­ren Zie­len der Wirt­schafts­po­li­tik, die in vie­len Län­dern zu beob­ach­ten ist, ist Aus­druck die­ser Macht­ver­schie­bung. Eine Kon­se­quenz die­ser neu­en Situa­ti­on, die bis­lang noch kaum dis­ku­tiert wur­de, ist die latent defla­tio­nä­re Kon­stel­la­ti­on der Weltwirtschaft.“

Wie kommt es dann, dass Ange­la Mer­kel vor einer Infla­ti­on warnt? Steckt ihr wirk­lich noch die Angst aus der Wei­ma­rer Repu­blik in den Kno­chen? Oder steckt dahin­ter ein rea­li­täts­fer­nes Fest­hal­ten am deut­schen Modell der Noten­ban­ken? Oder wech­selt Frau Mer­kel nur poli­ti­sches Klein­geld? Oder weiß man in Frank­furt etwas, das in den U.S.A. nie­mand weiß?

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Die Person macht’s

Juni. 13th 2009 — 4:16

Gerd Val­chars plä­diert im Stan­dard für eine Auf­wer­tung des Per­sön­lich­keits­wahl­rechts in Österreich:

Eine sol­che Ände­rung im Wahl­sys­tem wür­de das Gewicht bei der Kan­di­da­ten­aus­wahl deut­lich in Rich­tung Wäh­ler ver­schie­ben, ohne dass die Par­tei­en plötz­lich ihren Ein­fluss auf die Rekru­tie­rung gänz­lich ver­lie­ren würden.“

Die Effek­te, die sich Val­chars davon ver­spricht: Grö­ße­re „Bür­ger­nä­he“, sprich „mehr Unab­hän­gig­keit der ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten gegen­über ihrer Par­tei“. Zwei­tens, ein sol­cher Modus „macht einen Wahl­gang natür­lich auch deut­lich span­nen­der“. Drit­tens und vor allem aber: „Jede ein­zel­ne Vor­zugs­stim­me zählt und wird auch wirksam.“

Bür­ger­nä­he, Span­nung, Demo­kra­tie – Das klingt zwar ein biss­chen nach Über­ra­schungs­ei, ist aber sicher rich­tig. Ich per­sön­lich wür­de viel­leicht noch hoff­nungs­froh anfü­gen, dass eine Pro­fi­lie­rung der zu Wäh­len­den gegen­über ihren Wäh­le­rIn­nen zu erwar­ten wäre (was mir ange­sichts des nie­der­schmet­tern­den Zustands der poli­ti­schen Klas­se in die­sem Land ziem­lich not­wen­dig erscheint).

Der Anlass, näm­lich die EU-Par­la­ments­wahl, wirft bei mir frei­lich eine Fra­ge auf, die mich ganz gene­rell schon seit län­ge­rem beschäf­tigt: Macht die poli­tik­wis­sen­schaft­li­che For­schung das EU-Par­la­ment viel­leicht wich­ti­ger als es nun ein­mal ist? Eine Kam­mer, die in wei­ten Tei­len zahn­los ist und nicht ein­mal den grund­le­gen­den Auf­ga­ben einer Volks­ver­tre­tung nach­kommt, wird durch eine Ände­rung des Wahl­mo­dus ja nicht rele­van­ter. Was die Sache für Öster­reich irgend­wie tra­gisch macht, ist der Umstand, dass es sogar einen poten­ti­el­len Kan­di­da­ten gab, der seit Jah­ren pro­non­ciert für eine Stär­kung des Par­la­ments und damit für eine Demo­kra­ti­sie­rung der EU ein­tritt. Aus­ge­rech­net Johan­nes Vog­gen­hu­ber ist aber aus par­tei­po­li­ti­schen Grün­den von den Wah­len fern­ge­hal­ten worden.

Val­chars rennt mit sei­nem Bei­trag bei mir offe­ne Türen ein. Ich mag die Idee einer Wahl­rechts­re­form. Aber erst in Ver­bin­dung mit der Zutei­lung von Ent­schei­dungs- und Kon­troll­kom­pe­ten­zen wird eine För­de­rung leben­di­ger Demo­kra­tie erreicht.

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Risiko

April. 30th 2009 — 18:10

Seit Ulrich Beck 1986 mit der Ver­öf­fent­li­chung sei­ner Risi­ko­ge­sell­schaft einen aka­de­mi­schen Voll­tref­fer gelan­det hat (Tscher­no­byl!), pro­pa­giert er die­sen Gedan­ken wo immer man ihn lässt. Inzwi­schen ist ihm sein Trade­mark zur Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft ange­wach­sen. In einem Kom­men­tar im Stan­dard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teu­fel an die Wand:

Wenn Euro­pa an der glo­ba­len Wirt­schafts­kri­se zer­bre­chen soll­te, dann wird es kei­ne Gren­zen geben für das Unglück, die Not und die Schan­de sei­ner Poli­ti­ker und fünf­hun­dert Mil­lio­nen Menschen!“

Becks Inten­ti­on ist sicher ehren­wert, er rich­tet sich gegen einen neu­en Natio­na­lis­mus und for­dert eine „durch die Kri­se erneu­er­te EU“. Aber abge­se­hen vom schlech­ten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: ent­we­der Mehr-Euro­pa oder Nicht-Euro­pa. Die­ser Impe­ra­tiv des mög­li­chen Schei­terns [sic!] begrün­det die Hoff­nung à la baisse“ und so wei­ter) hat Beck kein Argu­ment anzu­brin­gen. Son­dern nur, sei­en wir ehr­lich, Ideologie:

In der Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft sind iso­lier­te Natio­nal­staa­ten weder hand­lungs­fä­hig noch über­le­bens­fä­hig noch sou­ve­rän.“ Und: „Nur eine durch die Kri­se erneu­er­te EU kann im Zusam­men­spiel mit der neu­en US-Welt­of­fen­heit Oba­mas glaub­wür­dig und wir­kungs­voll die Regu­lie­rung der Finanz­märk­te einfordern.“

Wel­che Regu­lie­rung? Hier mache ich einen radi­ka­len Schnitt. Im gest­ri­gen Pod­cast von Pla­net Money (den ich allen, die an der Wirt­schafts­kri­se inter­es­siert sind, wirk­lich ans Herz legen will) spricht Nas­sim Tal­eb, Autor von Black Swan, über sei­ne Vor­stel­lun­gen einer ver­nünf­ti­gen Regu­lie­rung der Finanz­märk­te. Tal­eb spricht deut­li­che Wor­te (mei­ne Transkription):

Any pro­duct that reli­es on mathe­ma­ti­cal models will disap­pe­ar or needs to disap­pe­ar becau­se we know not­hing about the­se pro­ba­bi­li­ties and the past of cour­se is no indi­ca­ti­on and I pro­ved it […]. This idea of using his­to­ri­cal ana­ly­sis is com­ple­te­ly bogus and the idea of making an aprio­ri theo­ry of what a pro­ba­bi­li­ty of events should be is also bogus, so we should aban­don them. […] Ban the­se products!“

Tal­eb teilt nicht nur Becks opti­mis­ti­schen Blick auf die Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on nicht („The US government eco­no­mists, they are not equip­ped to under­stand that envi­ron­ment [of the cur­rent cri­sis]. They are trai­ned in con­ven­tio­nal ways, they can­not under­stand it.“), er bringt auch kon­kre­te Vor­schlä­ge zur Regulierung:

We even­tual­ly need to be orga­ni­zed in a way that resem­bles Mother Natu­re with not­hing too big to fail, with pro­ducts that are much less sen­si­ti­ve to lar­ge devia­ti­on, name­ly, you know, just very simp­le finan­cial pro­ducts, and, what peop­le don’t like, and I say sor­ry, but we can no lon­ger afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the inter­net, unless you stop glo­ba­liz­a­ti­on, the­re is no room for errors. […] Debt is some­thing that fra­ge­li­zes the sys­tem. You have to choo­se: debt or globalization.“

War­um brin­ge ich die­se bei­den in allen Belan­gen unglei­chen media­len Berich­te? Inter­es­sant ist jeweils der Zugang zum Risi­ko. Für Ulrich Beck ist „das Risi­ko“ etwas gesell­schaft­lich Gege­be­nes, etwas Unhin­ter­geh­ba­res. Man kann allen­falls dar­über spe­ku­lie­ren, ob er zu die­sem Schluss basie­rend auf sei­nen sozio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen gekom­men ist, oder ob es sich um die Pro­pa­gie­rung sei­nes wich­tigs­ten Mar­ke­ting­pro­dukt han­delt (self-ful­fil­ling pro­phe­cy). Nas­sim Tal­eb hin­ter­fragt die Evi­denz, die Nowen­dig­keit von Risi­ko, und lei­tet poli­ti­sche For­de­run­gen dar­aus ab. Das ist unge­wöhn­lich, und daher muten sei­ne Vor­schlä­ge radi­kal an. Intel­lek­tu­ell ist es jeden­falls ungleich bereichender.

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