2010 März – BEIGEWUM

Archiv für März 2010


15.4.: Diskussion „Soziale Krise in Europa“

29. März 2010 – 23:56 Uhr


SOZIALE KRISE in EUROPA


15. April, 19 Uhr 

AK Bil­dungs­zen­trum, The­re­sian­um­gas­se 16–18, 1040 Wien


es dis­ku­tie­ren:


MICHAELA MOSER (Armuts­kon­fe­renz)

WERNER RAZA (Fach­hoch­schu­le des bfi Wien)

ACHIM TRUGER (Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Konjunkturforschung/​IMK)


Die Ursa­chen und Fol­gen des „gro­ßen Crash“ rücken Ver­tei­lungs­fra­gen in das Zen­trum der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung. Zugleich meh­ren sich im euro­päi­schen Zusam­men­hang die Zei­chen für die Fort­set­zung einer Poli­tik, die Ein­kom­mens­ge­fäl­le ver­tieft und den Druck auf Pre­ka­ri­sier­te sowie Lohn­ab­hän­gi­ge erhöht. Was könn­te ein sozia­les Euro­pa gera­de jetzt aus­ma­chen? Was muss dafür an der polit-öko­no­mi­schen Aus­rich­tung der EU geän­dert wer­den? Wel­che Ansatz­punk­te bestehen für einen alter­na­ti­ven Pfad der Bud­get­kon­so­li­die­rung in Euro­pa? Dar­über wol­len wir u.a. diskutieren.


ver­an­stal­tet von:

BEIGEWUM, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Wien, juridikum, 

STV Dok­to­rat WU, STV VWL WU 

Budgetpolitik mit dem Rasenmäher

16. März 2010 – 12:28 Uhr

Die öster­rei­chi­sche Regie­rung hat sich auf einen har­ten Spar­kurs für die kom­men­den Jah­re geei­nigt. Was sich im Jän­ner bereits ange­deu­tet hat­te, wur­de mit den ver­öf­fent­lich­ten Eck­punk­ten des Bun­des­fi­nanz­rah­men­ge­setz 2011–2014 kon­kret: 2011 sol­len die Kos­ten der Kri­se an die Bevöl­ke­rung wei­ter­ge­ge­ben wer­den, nach­dem sie bis­her weit­ge­hend mit staat­li­chen Mit­teln abge­fan­gen wur­den. Die Eck­punk­ten ent­hal­ten drei Über­ra­schun­gen: Ers­tens ist das Aus­maß der Kon­so­li­die­rung mit bis zu 4,2 Mrd Euro (mit rund 1,5 % des BIP mehr als das Bud­get für Uni­ver­si­tä­ten; ohne den eher unwahr­schein­li­chen Kür­zun­gen von 0,8 Mrd Euro auf Lan­des­ebe­ne immer noch 1,2 %) dop­pelt so hoch wie die euro­päi­schen Vor­ga­ben (0,75 % des BIP) erfor­dern wür­den. Zwei­tens wird kein Bereich ver­schont. Mit der „Rasen­mä­her­me­tho­de“ wer­den die Ober­gren­zen aller Aus­ga­ben­be­rei­che gegen­über dem BFRG 2010–2013 gekürzt, ledig­lich die pro­zen­tua­le „Schnitt­hö­he“ vari­iert. Da die Sozi­al­aus­ga­ben den größ­ten Anteil im Bun­des­bud­get aus­ma­chen, fällt der größ­te Betrag (900 Mio Euro) mit die­ser Metho­de zwangs­läu­fig hier an. Drit­tens konn­te die SPÖ der ÖVP abrin­gen, dass de fac­to die Hälf­te des Kon­so­li­die­rungs­vo­lu­mens durch neue oder höhe­re Steu­ern auf­ge­bracht wird. Noch tie­fe­re Ein­schnit­te im Bil­dungs- und Sozi­al­be­reich konn­ten damit zwar ver­hin­dert wer­den – ange­sichts der bevor­ste­hen­den Kür­zun­gen und dro­hen­der Mas­sen­steu­ern ist das Gesamt­pa­ket trotz­dem inak­zep­ta­bel. Die Kri­sen­kos­ten wer­den auf die brei­te Mas­se der Bevöl­ke­rung ver­teilt, obwohl die­se die Kri­se weder ver­ur­sacht noch vom finanz­ge­trie­be­nen Wirt­schafts­wachs­tum zuvor pro­fi­tiert hat.

Ban­ken­steu­er als Pyrrhussieg?

Wäh­rend bei der ÖVP rela­tiv klar war, dass wider makroo­kö­no­mi­scher Ver­nunft und sozia­len Über­le­gun­gen ein radi­ka­ler Spar­kurs auf Kos­ten der All­ge­mein­heit am Pro­gramm stand, deu­te­te zumin­dest die Rhe­to­rik des sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Regie­rungs­part­ners einen alter­na­ti­ven Kurs an. Mit der – gegen hef­ti­gen Wider­stand von ÖVP und Ban­ken­lob­by – durch­ge­setz­ten Ban­ken­steu­er erreich­te die SPÖ auch einen ers­ten kon­kre­ten Mei­len­stein auf dem Weg zu einer sozia­le­ren Bud­get­po­li­tik. Wenn das jedoch der ein­zi­ge Erfolg war, wird die Ban­ken­steu­er zum Pyr­rhus­sieg, dem wert­mä­ßig ein Mehr­fa­ches an Mas­sen­steu­ern auf der Ein­nah­men­sei­te und haupt­säch­lich Sozi­al­aus­ga­ben­kür­zun­gen auf der Aus­ga­ben­sei­te gegen­über­ste­hen. Die Ban­ken­steu­er wäre dann nicht mehr als ein Fei­gen­blatt für ein Belas­tungs­pa­ket, das unte­re und mitt­le­re Ein­kom­men am stärks­ten tref­fen und gesell­schaft­lich sinn­vol­le Refor­men (Kin­der­be­treu­ung, Bil­dung, Pfle­ge, Inte­gra­ti­on, etc) frü­hes­tens auf 2015 ver­schie­ben würde.

kei­ne Tabus“

Die Ankün­di­gung des Finanz­mi­nis­ters, dass es beim Spa­ren „kei­ne Tabus geben“ dür­fe, muss als ernst zu neh­men­de Dro­hung ver­stan­den wer­den. Es ist über­ra­schend bis skan­da­lös, dass hier sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Minis­te­rIn­nen bis­her jeg­li­chen Wider­spruch schul­dig blei­ben und der Kanz­ler die­se Linie sogar aktiv befür­wor­tet. Die Lis­te der auf­zu­lis­ten­den Tabus wäre lang und reicht von den immer noch unter­do­tier­ten Unis und Schu­len über die Arbeits­markt­po­li­tik bis hin zum grund­sätz­li­chen Erhalt eines leis­tungs­fä­hi­gen Sozialstaates.

Trau­ri­ge Rea­li­tät ist statt­des­sen, dass mehr als die Hälf­te der Kür­zun­gen auf Sozi­al­aus­ga­ben ent­fal­len wer­den. Selbst die Arbeits­markt­aus­ga­ben wer­den trotz nicht abseh­ba­rem Rück­gang der Rekord­ar­beits­lo­sig­keit und trotz des Mehr­be­darfs der (hof­fent­lich bald tat­säch­lich) umge­setz­ten Min­dest­si­che­rung rela­tiv zum bis­he­ri­gen Aus­ga­ben­plan 2011 gekürzt. Dass Sozi­al- und Bil­dungs­be­reich pro­zen­tu­al betrach­tet weni­ger stark unter den Rasen­mä­her kom­men ist höchs­tens für die PR-Ver­ant­wort­li­chen der Regie­rungs­par­tei­en ein Trost. Bit­ter wird es, wenn ein sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Sozi­al­mi­nis­ter die­se Zah­len als „trag­fä­hi­gen poli­ti­schen Kom­pro­miss“ ver­tei­digt. Die kon­kre­ten Maß­nah­men sind noch offen, d.h. es kann gehofft wer­den, dass sich wenigs­tens inner­halb des pre­kä­ren Aus­ga­ben­rah­mens bzw. bei den Mehr­ein­nah­men die Regie­rungs­schlag­wör­ter „Sozia­le Ver­träg­lich­keit, öko­no­mi­sche Ver­nunft, gerecht“ zei­gen werden.

Regie­rung als Spar­stre­be­rin auf Kos­ten der Konjunktur

So oder so schießt die Regie­rung weit über das noch im Jän­ner ange­kün­dig­te – damals noch von Pröll als „Mam­mut­auf­ga­be“ bezeich­ne­te – Ziel von ca 2,1 Mrd Euro hin­aus. Im Gegen­satz zu Grie­chen­land erfolg­te das über­eif­rig deut­lich über den EU-Vor­ga­ben lie­gen­de Kon­so­li­die­rungs­vor­ha­ben frei­wil­lig: kei­ne Spe­ku­la­ti­ons­at­ta­cken; mil­de­re EU-Vor­ga­ben im lau­fen­den Defi­zit­ver­fah­ren; sin­ken­de Zins­auf­schlä­ge in den letz­ten Mona­ten; im inter­na­tio­na­len Ver­gleich unter­durch­schnitt­li­che Neu- und Gesamt­ver­schul­dung; kei­ne weit bes­se­ren Wirt­schafts­pro­gno­sen, die eine Rück­füh­rung der Defi­zi­te eher erlau­ben wür­den; usw.

Die Begrün­dung des Finanz­mi­nis­ters, „dass gespart wird, um nach­hal­tig in die Zukunft zu inves­tie­ren“, zeigt die Gren­zen sei­ner Bau­ern­schläue auf, wenn es um volks­wirt­schaft­li­che Zusam­men­hän­ge geht. Natür­lich dämpft ein Spar­pa­ket in die­ser Grö­ßen­ord­nung die gesamt­wirt­schaft­li­che Nach­fra­ge, sei es durch gerin­ge­re ver­füg­ba­re Aus­ga­ben der pri­va­ten Haus­hal­te (z.B. durch Pen­si­ons- und Beam­ten­ge­halts­ein­spa­run­gen) oder direkt durch gerin­ge­re staat­li­che Inves­ti­tio­nen bzw. Konsum.

Die­se gerin­ge­ren Absatz­aus­sich­ten wer­den die Unter­neh­mens­in­ves­ti­tio­nen nicht gera­de beflü­geln. Die Fol­gen wer­den – ver­gli­chen mit dem Sze­na­rio „kein Spar­pa­ket“ – eine höhe­re Arbeits­lo­sig­keit und ein gerin­ge­res Wohl­stands­ni­veau aller sein. Schät­zun­gen von OECD, IWF oder WIFO erge­ben, dass ein Spar­pa­ket von 1 % des BIP die Wirt­schafts­leis­tung um 0,3 bis 0,5 % dämpft. Grob geschätzt könn­te das wie­der­um bis zu 10.000 Arbeits­plät­ze kos­ten. Nied­ri­ge­re Aus­ga­ben für Bil­dung, For­schung und Infra­struk­tur­in­ves­ti­tio­nen könn­ten lang­fris­tig zusätz­li­che Schä­den verursachen.

Alter­na­ti­ve Konsolidierungsstrategie

Füh­ren wir uns noch ein­mal die Aus­gangs­la­ge vor Augen: eine inter­na­tio­na­le Wirt­schafts­kri­se, deren Ursa­chen u.a. mit unglei­che­re Ein­kom­mens­ver­tei­lung, neo­li­be­ra­ler Umbau wohl­fahrts­staat­li­cher Arran­ge­ments, libe­ra­li­sier­ten Finanz­märk­ten, Lohn­druck durch wach­sen­de Arbeits­lo­sig­keit beschlag­wor­tet wer­den kön­nen, wird durch mas­si­ve Ret­tungs­pa­ke­te für Ban­ken und klei­ne­ren Maß­nah­men für die Kon­junk­tur­be­le­bung abge­fe­dert. Zusätz­lich sta­bi­li­sie­ren die auto­ma­tisch höhe­ren Staats­aus­ga­ben (vor allem durch stei­gen­de Arbeits­lo­sen­gel­der und Bei­trags­aus­fäl­len in der Sozi­al­ver­si­che­rung) die pri­va­te Nach­fra­ge. Mona­te ver­ge­hen, in denen weder sys­te­ma­ti­sche Män­gel beho­ben noch die Pro­fi­teu­re vor und in der Kri­se in die finan­zi­el­le Ver­ant­wor­tung genom­men wer­den, obwohl bei­des brei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung welt­weit immer wie­der ein­for­dern, und obwohl das auch eine wirt­schafts­po­li­tisch sinn­vol­le Ant­wort wäre.

Dar­an anzu­knüp­fen, wäre das Gebot der Stun­de. Die Steu­er­vor­schlä­ge von SPÖ, Grü­nen, Tei­len der Wis­sen­schaft und ande­ren poli­ti­schen Akteu­ren gehen in eine rich­ti­ge Rich­tung: Finanztransaktions‑, Spekulations‑, und ande­re ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Steu­ern kön­nen nicht nur zu mehr Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit, son­dern auch zu einer nach­hal­ti­gen Reduk­ti­on des Defizits/​Konsolidierung des Staats­haus­halts bei­tra­gen. Der fal­sche Weg ist es hin­ge­gen, Aus­ga­ben mit einer abge­stuf­ten Rasen­mä­her­me­tho­de in Zei­ten von Kri­se und Rekord­ar­beits­lo­sig­keit zu kürzen.

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Trivia

9. März 2010 – 11:15 Uhr

All­tags­weis­hei­ten oder, was wir schon vor einem Jahr gewusst haben (und die­ser Tage trotz­dem für Schlag­zei­len sorgt):

Dass Pres. Oba­ma die öko­no­mi­schen Pro­ble­me sei­nes Lan­des nicht rich­tig angeht (sie­he mei­nen Kurs­wech­sel-Bei­trag von 2009 hier)

Dass in Zei­ten der Kri­se Plan­wirt­schaft inno­va­ti­ver ist als Free Mar­ket Liberalism;

Dass Nost­al­gie eine Emo­ti­on ist, die gar wun­der­li­che Din­ge hervorbringt.

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Griechenland und die Kontrastfälle der Krise in der EU

8. März 2010 – 19:12 Uhr

Die aktu­el­le Wirt­schafts­kri­se zeigt in Euro­pa unter­schied­li­che Ver­läu­fe. Man­che Län­der sind pri­mär durch das Plat­zen von Finanz- und Immo­bi­li­en­bla­sen getrof­fen, ande­re durch den Ein­bruch der Expor­te. Bei­de For­men der Kri­sen­be­trof­fen­heit sind in Ost­eu­ro­pa auf­ge­tre­ten, wo einer­seits Polen 2009 noch ein leich­tes Wachs­tum ver­zeich­ne­te, wäh­rend in den Bal­ti­schen Län­dern die Wirt­schaft am stärks­ten schrumpf­te. Ein kon­zer­tier­tes Vor­ge­hen der Euro­päi­schen Uni­on gegen die Kri­se gibt es nicht. Viel­mehr unter­schei­den sich die Anti-Kri­sen-Poli­ti­ken in den euro­päi­schen Zen­trums- und Peri­phe­rie­län­dern deut­lich. Damit ver­tieft die Wirt­schafts­kri­se die sozio­öko­no­mi­schen Unter­schie­de in der EU wie in Euro­pa ins­ge­samt. Sie führt auch zu einer Kri­se des euro­päi­schen Integrationsprozesses.

Kri­sen­pro­zes­se in Osteuropa

Die Akku­mu­la­ti­on in Ost­eu­ro­pa war eng an die west­eu­ro­päi­sche gekop­pelt. Mit Aus­nah­me Slo­we­ni­ens kamen die wirt­schaft­li­chen Schlüs­sel­sek­to­ren in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten unter die Kon­trol­le west­eu­ro­päi­scher Unter­neh­men. Aller­dings unter­schei­den sich die ost­eu­ro­päi­schen Län­der in der Art der Ein­glie­de­rung ihrer Öko­no­mien in die euro­päi­sche Arbeits­tei­lung: Bei den Visegrád-Län­dern (Polen, Slowakei,Tschechische Repu­blik – mit deut­li­chen Ein­schrän­kun­gen Ungarn) sowie Slo­we­ni­en herrsch­te die Ori­en­tie­rung auf den Indus­trie­gü­ter­ex­port vor. In den Bal­ti­schen Län­dern und Süd­ost­eu­ro­pa war hin­ge­gen das Wachs­tum stark von Kre­di­ten getrie­ben, die einen Immo­bi­li­en­boom auf­blie­sen (vgl. Becker 2008). In die­ser zwei­ten Län­der­grup­pe war auch die Ver­schul­dung der pri­va­ten Haus­hal­te über­wie­gend in Fremd­wäh­rung. Im Fall einer Wäh­rungs­ab­wer­tung droh­te die­sen Schuld­nern, aber auch den dort enga­gier­ten Ban­ken abseh­bar eine Finanz­klem­me. In Form wie Aus­maß unter­schie­den sich die Kri­sen­pro­zes­se in die­sen bei­den Län­der­grup­pen deut­lich. Wäh­rend bei den export­ori­en­tier­ten Län­dern der Ein­bruch der Expor­te die Haupt­rol­le spiel­te, brach­te bei den Län­dern, in denen das Wachs­tum kre­dit­ge­trie­ben war, das Aus­trock­nen der Finanz­flüs­se das Wirt­schafts­mo­dell zum Ein­sturz. Die Rezes­si­on war in die­ser Län­der­grup­pe beson­ders tief und anhal­tend (Workie et al 2009: 88 ff.). Im Fall der export­ori­en­tier­ten Öko­no­mien schlug der Rück­gang der Expor­te voll durch. So gin­gen die Expor­te Ende 2008/​Anfang 2009 um 10% und mehr gegen­über den Vor­jah­res­quar­ta­len zurück und waren damit Haupt­fak­tor der Rezes­si­on (Euro­stat 2010: Tab. T1). In den Bal­ti­schen Län­dern setz­te die Rezes­si­on bereits Anfang 2008 ein und erreich­te 2009 euro­päi­sche Rekord­wer­te. In Lett­land lagen die Rück­gän­ge de BIP im Ver­lauf der vier Quar­ta­le 2009 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 19%, in Est­land, bis auf das 4. Quar­tal, bei über 15% und schwank­ten bei Litau­en zwi­schen 13,0% und 19,7%. In Bul­ga­ri­en und Rumä­ni­en setz­te die Rezes­si­on spä­ter ein, ver­tief­te sich dafür aber wäh­rend des Jah­res 2009 (Euro­stat 2010). In die­sen Län­dern, aber auch in Ungarn, gin­gen zwar auch die Expor­te ähn­lich dras­tisch zurück wie in den export­ori­en­tier­ten Öko­no­mien, sie wur­den jedoch vor allem von den Kre­dit­re­strik­tio­nen und Kapi­tal­ab­flüs­sen schwer getrof­fen. Als das Treib­mit­tel Kapi­tal­im­port aus­fiel bra­chen ihre Wachs­tums­mo­del­le zusam­men, spe­zi­ell in den beson­ders hoch ver­schul­de­ten und extre­me Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zi­te auf­wei­sen­den Bal­ti­schen Staa­ten. Hier waren auch sehr star­ke Rück­gän­ge im pri­va­ten Kon­sum zu verzeichnen.


Wirt­schafts­po­li­ti­sche Reak­tio­nen auf die Krise


Das Ver­trags­werk der EU geht impli­zit von der Prä­mis­se aus, dass es kei­ne Wirt­schafts­kri­sen gibt. Dem­entspre­chend feh­len auch insti­tu­tio­nel­le Vor­keh­run­gen. Wur­de die Ban­ken­stüt­zung mit ihren enor­men Sum­men im Schnell­ver­fah­ren durch­ge­setzt, so waren fis­ka­li­sche Sti­mu­lie­rungs­maß­nah­men Gegen­stand hef­ti­ger Kon­tro­ver­sen und eher beschei­den dimen­sio­niert. Auf die eher peri­phe­ren euro­päi­schen Län­der mit tra­di­tio­nell hohen Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zi­ten wird über­dies zuneh­mend Druck aus­ge­übt, eine pro-zykli­sche Poli­tik zu betrei­ben. Das gilt sowohl für süd- als auch für ost­eu­ro­päi­sche Staa­ten. Hier­bei kommt der Druck von ver­schie­de­nen Sei­ten – der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on, den Finanz­an­le­ge­rIn­nen und Rating Agen­tu­ren sowie – im Fall Ost­eu­ro­pas – dem Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF). In den Bal­ti­schen Län­dern und Süd­ost­eu­ro­pa ist die Poli­tik noch schär­fer pro-zyklisch aus­ge­rich­tet als in den medi­ter­ra­nen Län­dern. Die Mus­ter der Poli­tik wur­den hier durch Pro­gram­me des IWF in Ungarn, Lett­land und Rumä­ni­en, gesetzt, die mit der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on abge­stimmt waren (Becker 2009, Gal­góc­zi 2009). Die­se Pro­gram­me unter­schei­den sich von tra­di­tio­nel­len IWF Pro­gram­men nur in einem Punkt – der IWF will nicht dem Abzug von Geld durch die Ban­ken den Rücken decken, son­dern die Ban­ken, ange­sichts deren tota­ler Domi­nanz in den ost­eu­ro­päi­schen Ban­ken­sek­to­ren und dem erklär­tem Wunsch ihre Prä­senz fort­zu­set­zen, im Lan­de hal­ten. Das obers­te Ziel ist, die Wäh­rungs­pa­ri­tä­ten zu hal­ten. Dies ent­spricht den Inter­es­sen der west­eu­ro­päi­schen Ban­ken und Geld­be­sit­ze­rIn­nen, für die Wäh­rungs­ab­wer­tun­gen Ent­wer­tun­gen ihrer Akti­va bedeu­te­ten. Die­se Aus­rich­tung ent­spricht aber auch den Vor­stel­lun­gen der Schuld­ner bei Devi­sen­kre­di­ten, deren Schul­den­dienst sich bei Abwer­tun­gen ver­teu­ern wür­de. Im Inter­es­se von Indus­trie und Land­wirt­schaft wäre eher eine Abwer­tung. Doch die­se Inter­es­sen spie­len bei der zwi­schen IWF, Euro­päi­scher Kom­mis­si­on und natio­na­len Regie­run­gen akkor­dier­ten Poli­tik kei­ne Rol­le. Kern der Struk­tur­an­pas­sungs­po­li­tik sind rea­le und oft auch nomi­na­le Kür­zun­gen der Gehäl­ter der öffent­lich Bediens­te­ten und der Sozi­al­leis­tun­gen. Statt abzu­wer­ten soll durch eine scharf defla­tio­nä­re Poli­tik die Wett­be­werbs­fä­hig­keit wie­der­her­ge­stellt wer­den (vgl. Becker 2009). Das ohne­hin schwa­che pro­duk­ti­ve Poten­zi­al ero­diert so noch wei­ter. Der Bei­tritt zur Euro-Zone soll eine offe­ne Wäh­rungs­kri­se ver­hin­dern. Er wür­de aber die wirt­schaft­li­che und sozia­le Mise­re fest­schrei­ben. Denn bei den gegen- wär­ti­gen Wech­sel­kur­sen ist das ein­hei­mi­sche pro­duk­ti­ve Gewer­be chan­cen­los. Außer­dem unter­liegt, wie am Fall Grie­chen­lands der­zeit deut­lich wird, die Euro-Zone bereits jetzt sehr star­ken Span­nun­gen zwi­schen Län­dern mit struk­tu­rel­len Leis­tungs­bi­lanz­über­schüs­sen und ‑defi­zi­ten.


Schluss­fol­ge­run­gen

Die Wirt­schafts­po­li­tik in der EU ist pri­mär auf die Finanz­in­ter­es­sen zuge­schnit­ten – dies zeigt sich in der üppi­gen Bemes­sung der Stüt­zungs­pa­ke­te für die Ban­ken, in den Ver­su­chen zur Wie­der­be­le­bung der Finanz­märk­te, im regu­la­to­ri­schen Mini­ma­lis­mus wie auch im stu­ren Fest­hal­ten an den über­be­wer­te­ten Pari­tä­ten in Ost­eu­ro­pa. Im fis­ka­li­schen Bereich wird der wirt­schafts­po­li­ti­sche Bruch zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie in der EU ganz beson­ders deut­lich – eine leich­te Sti­mu­lie­rung im Zen­trum, hin­ge­gen eine pro­zy­kli­sche Poli­tik in den Län­dern der EU-Peri­phe­rie mit hohen Leis­tungs- und Han­dels­bi­lanz­de­fi­zi­ten. Die Spal­tung der EU in Zen­trums- und Peri­phe­rie­län­der wird ver­stärkt. Die Lohn­sen­kungs­po­li­tik in den Län­dern der Peri­phe­rie ver­schärft die sozia­le Ungleich­heit wei­ter und wird auch auf die Löh­ne im Zen­trum Druck aus­üben. Die Anti-Kri­sen-Poli­tik geht zu Las­ten der Lohn­ab­hän­gi­gen. Not­wen­dig wäre hin­ge­gen eine deut­lich for­cier­te Sti­mu­lie­rungs­po­li­tik, die auch von einem rea­len Lohn­wachs­tum getra­gen wäre, in den Län­dern mit hohen Leis­tungs­bi­lanz­über­schüs­sen, vor allem Deutschlands.
Eine sol­che Poli­tik könn­te die Span­nung in der EU mindern.



Der Bei­trag ist im EU-Info­brief Nr. 1/​März 2010 der AK Wien erschienen.

Literaturhinweise:
Becker, Joa­chim (2008) Der Drang nach Osten: Wirt­schaft­li­che Inter­es­sen und geo­po­li­ti­sche Stra­te­gien. In: Kurs­wech­sel, Nr. 4, 5–29
Becker, Joa­chim (2009) Ost­eu­ro­pa in der Finanz­kri­se: Ein neu­es Argen­ti­ni­en? In: Blät­ter für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik, 54(6), 97–105
Euro­stat (2010) BIP in der Euro­zo­ne und in der EU27 um 0,1% gestie­gen, Euro­stat-Pres­se­mit­tei­lung, Euro­in­di­ka­to­ren 22/​2010 – 12. Febru­ar 2010
Gal­góc­zi, Béla (2009) Cen­tral and Eas­tern Euro­pe five years after: from „emer­ging Euro­pe“ to „sub­mer­ging Euro­pe“? ETUI Poli­cy Brief, 4/​2009
Workie, Mem­be­re et al. (2009) Vývoj a per­spek­tí­vy sve­to­vej eko­no­mi­ky. Glo­bál­na finančná a hos­po­dárs­ka krí­za. Prí­či­ny – nák­la­dy – výcho­dis­ká. Bratislava

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24.3.: Präsentation „Mythen der Krise“ (WU)

1. März 2010 – 15:12 Uhr

Prä­sen­ta­ti­on des neu­en BEI­GEWU­M/­At­tac-Buchs „Mythen der Kri­se“ mit

Hele­ne Schuberth

Eli­sa­beth Springler

Beat Weber


am Mitt­woch, 24.3., 18.00 an der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät Wien (Augas­se 2–6, 1090 Wien), Hör­saal 5.46 (Kern C, 5. Stock)

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