Griechenland und die Kontrastfälle der Krise in der EU – BEIGEWUM

Griechenland und die Kontrastfälle der Krise in der EU

am 8. März 2010 um 19:12h

Die aktu­el­le Wirt­schafts­kri­se zeigt in Euro­pa unter­schied­li­che Ver­läu­fe. Man­che Län­der sind pri­mär durch das Plat­zen von Finanz- und Immo­bi­li­en­bla­sen getrof­fen, ande­re durch den Ein­bruch der Expor­te. Bei­de For­men der Kri­sen­be­trof­fen­heit sind in Ost­eu­ro­pa auf­ge­tre­ten, wo einer­seits Polen 2009 noch ein leich­tes Wachs­tum ver­zeich­ne­te, wäh­rend in den Bal­ti­schen Län­dern die Wirt­schaft am stärks­ten schrumpf­te. Ein kon­zer­tier­tes Vor­ge­hen der Euro­päi­schen Uni­on gegen die Kri­se gibt es nicht. Viel­mehr unter­schei­den sich die Anti-Kri­sen-Poli­ti­ken in den euro­päi­schen Zen­trums- und Peri­phe­rie­län­dern deut­lich. Damit ver­tieft die Wirt­schafts­kri­se die sozio­öko­no­mi­schen Unter­schie­de in der EU wie in Euro­pa ins­ge­samt. Sie führt auch zu einer Kri­se des euro­päi­schen Integrationsprozesses.

Kri­sen­pro­zes­se in Osteuropa

Die Akku­mu­la­ti­on in Ost­eu­ro­pa war eng an die west­eu­ro­päi­sche gekop­pelt. Mit Aus­nah­me Slo­we­ni­ens kamen die wirt­schaft­li­chen Schlüs­sel­sek­to­ren in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten unter die Kon­trol­le west­eu­ro­päi­scher Unter­neh­men. Aller­dings unter­schei­den sich die ost­eu­ro­päi­schen Län­der in der Art der Ein­glie­de­rung ihrer Öko­no­mien in die euro­päi­sche Arbeits­tei­lung: Bei den Visegrád-Län­dern (Polen, Slowakei,Tschechische Repu­blik – mit deut­li­chen Ein­schrän­kun­gen Ungarn) sowie Slo­we­ni­en herrsch­te die Ori­en­tie­rung auf den Indus­trie­gü­ter­ex­port vor. In den Bal­ti­schen Län­dern und Süd­ost­eu­ro­pa war hin­ge­gen das Wachs­tum stark von Kre­di­ten getrie­ben, die einen Immo­bi­li­en­boom auf­blie­sen (vgl. Becker 2008). In die­ser zwei­ten Län­der­grup­pe war auch die Ver­schul­dung der pri­va­ten Haus­hal­te über­wie­gend in Fremd­wäh­rung. Im Fall einer Wäh­rungs­ab­wer­tung droh­te die­sen Schuld­nern, aber auch den dort enga­gier­ten Ban­ken abseh­bar eine Finanz­klem­me. In Form wie Aus­maß unter­schie­den sich die Kri­sen­pro­zes­se in die­sen bei­den Län­der­grup­pen deut­lich. Wäh­rend bei den export­ori­en­tier­ten Län­dern der Ein­bruch der Expor­te die Haupt­rol­le spiel­te, brach­te bei den Län­dern, in denen das Wachs­tum kre­dit­ge­trie­ben war, das Aus­trock­nen der Finanz­flüs­se das Wirt­schafts­mo­dell zum Ein­sturz. Die Rezes­si­on war in die­ser Län­der­grup­pe beson­ders tief und anhal­tend (Workie et al 2009: 88 ff.). Im Fall der export­ori­en­tier­ten Öko­no­mien schlug der Rück­gang der Expor­te voll durch. So gin­gen die Expor­te Ende 2008/​Anfang 2009 um 10% und mehr gegen­über den Vor­jah­res­quar­ta­len zurück und waren damit Haupt­fak­tor der Rezes­si­on (Euro­stat 2010: Tab. T1). In den Bal­ti­schen Län­dern setz­te die Rezes­si­on bereits Anfang 2008 ein und erreich­te 2009 euro­päi­sche Rekord­wer­te. In Lett­land lagen die Rück­gän­ge de BIP im Ver­lauf der vier Quar­ta­le 2009 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 19%, in Est­land, bis auf das 4. Quar­tal, bei über 15% und schwank­ten bei Litau­en zwi­schen 13,0% und 19,7%. In Bul­ga­ri­en und Rumä­ni­en setz­te die Rezes­si­on spä­ter ein, ver­tief­te sich dafür aber wäh­rend des Jah­res 2009 (Euro­stat 2010). In die­sen Län­dern, aber auch in Ungarn, gin­gen zwar auch die Expor­te ähn­lich dras­tisch zurück wie in den export­ori­en­tier­ten Öko­no­mien, sie wur­den jedoch vor allem von den Kre­dit­re­strik­tio­nen und Kapi­tal­ab­flüs­sen schwer getrof­fen. Als das Treib­mit­tel Kapi­tal­im­port aus­fiel bra­chen ihre Wachs­tums­mo­del­le zusam­men, spe­zi­ell in den beson­ders hoch ver­schul­de­ten und extre­me Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zi­te auf­wei­sen­den Bal­ti­schen Staa­ten. Hier waren auch sehr star­ke Rück­gän­ge im pri­va­ten Kon­sum zu verzeichnen.


Wirt­schafts­po­li­ti­sche Reak­tio­nen auf die Krise


Das Ver­trags­werk der EU geht impli­zit von der Prä­mis­se aus, dass es kei­ne Wirt­schafts­kri­sen gibt. Dem­entspre­chend feh­len auch insti­tu­tio­nel­le Vor­keh­run­gen. Wur­de die Ban­ken­stüt­zung mit ihren enor­men Sum­men im Schnell­ver­fah­ren durch­ge­setzt, so waren fis­ka­li­sche Sti­mu­lie­rungs­maß­nah­men Gegen­stand hef­ti­ger Kon­tro­ver­sen und eher beschei­den dimen­sio­niert. Auf die eher peri­phe­ren euro­päi­schen Län­der mit tra­di­tio­nell hohen Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zi­ten wird über­dies zuneh­mend Druck aus­ge­übt, eine pro-zykli­sche Poli­tik zu betrei­ben. Das gilt sowohl für süd- als auch für ost­eu­ro­päi­sche Staa­ten. Hier­bei kommt der Druck von ver­schie­de­nen Sei­ten – der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on, den Finanz­an­le­ge­rIn­nen und Rating Agen­tu­ren sowie – im Fall Ost­eu­ro­pas – dem Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF). In den Bal­ti­schen Län­dern und Süd­ost­eu­ro­pa ist die Poli­tik noch schär­fer pro-zyklisch aus­ge­rich­tet als in den medi­ter­ra­nen Län­dern. Die Mus­ter der Poli­tik wur­den hier durch Pro­gram­me des IWF in Ungarn, Lett­land und Rumä­ni­en, gesetzt, die mit der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on abge­stimmt waren (Becker 2009, Gal­góc­zi 2009). Die­se Pro­gram­me unter­schei­den sich von tra­di­tio­nel­len IWF Pro­gram­men nur in einem Punkt – der IWF will nicht dem Abzug von Geld durch die Ban­ken den Rücken decken, son­dern die Ban­ken, ange­sichts deren tota­ler Domi­nanz in den ost­eu­ro­päi­schen Ban­ken­sek­to­ren und dem erklär­tem Wunsch ihre Prä­senz fort­zu­set­zen, im Lan­de hal­ten. Das obers­te Ziel ist, die Wäh­rungs­pa­ri­tä­ten zu hal­ten. Dies ent­spricht den Inter­es­sen der west­eu­ro­päi­schen Ban­ken und Geld­be­sit­ze­rIn­nen, für die Wäh­rungs­ab­wer­tun­gen Ent­wer­tun­gen ihrer Akti­va bedeu­te­ten. Die­se Aus­rich­tung ent­spricht aber auch den Vor­stel­lun­gen der Schuld­ner bei Devi­sen­kre­di­ten, deren Schul­den­dienst sich bei Abwer­tun­gen ver­teu­ern wür­de. Im Inter­es­se von Indus­trie und Land­wirt­schaft wäre eher eine Abwer­tung. Doch die­se Inter­es­sen spie­len bei der zwi­schen IWF, Euro­päi­scher Kom­mis­si­on und natio­na­len Regie­run­gen akkor­dier­ten Poli­tik kei­ne Rol­le. Kern der Struk­tur­an­pas­sungs­po­li­tik sind rea­le und oft auch nomi­na­le Kür­zun­gen der Gehäl­ter der öffent­lich Bediens­te­ten und der Sozi­al­leis­tun­gen. Statt abzu­wer­ten soll durch eine scharf defla­tio­nä­re Poli­tik die Wett­be­werbs­fä­hig­keit wie­der­her­ge­stellt wer­den (vgl. Becker 2009). Das ohne­hin schwa­che pro­duk­ti­ve Poten­zi­al ero­diert so noch wei­ter. Der Bei­tritt zur Euro-Zone soll eine offe­ne Wäh­rungs­kri­se ver­hin­dern. Er wür­de aber die wirt­schaft­li­che und sozia­le Mise­re fest­schrei­ben. Denn bei den gegen- wär­ti­gen Wech­sel­kur­sen ist das ein­hei­mi­sche pro­duk­ti­ve Gewer­be chan­cen­los. Außer­dem unter­liegt, wie am Fall Grie­chen­lands der­zeit deut­lich wird, die Euro-Zone bereits jetzt sehr star­ken Span­nun­gen zwi­schen Län­dern mit struk­tu­rel­len Leis­tungs­bi­lanz­über­schüs­sen und ‑defi­zi­ten.


Schluss­fol­ge­run­gen

Die Wirt­schafts­po­li­tik in der EU ist pri­mär auf die Finanz­in­ter­es­sen zuge­schnit­ten – dies zeigt sich in der üppi­gen Bemes­sung der Stüt­zungs­pa­ke­te für die Ban­ken, in den Ver­su­chen zur Wie­der­be­le­bung der Finanz­märk­te, im regu­la­to­ri­schen Mini­ma­lis­mus wie auch im stu­ren Fest­hal­ten an den über­be­wer­te­ten Pari­tä­ten in Ost­eu­ro­pa. Im fis­ka­li­schen Bereich wird der wirt­schafts­po­li­ti­sche Bruch zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie in der EU ganz beson­ders deut­lich – eine leich­te Sti­mu­lie­rung im Zen­trum, hin­ge­gen eine pro­zy­kli­sche Poli­tik in den Län­dern der EU-Peri­phe­rie mit hohen Leis­tungs- und Han­dels­bi­lanz­de­fi­zi­ten. Die Spal­tung der EU in Zen­trums- und Peri­phe­rie­län­der wird ver­stärkt. Die Lohn­sen­kungs­po­li­tik in den Län­dern der Peri­phe­rie ver­schärft die sozia­le Ungleich­heit wei­ter und wird auch auf die Löh­ne im Zen­trum Druck aus­üben. Die Anti-Kri­sen-Poli­tik geht zu Las­ten der Lohn­ab­hän­gi­gen. Not­wen­dig wäre hin­ge­gen eine deut­lich for­cier­te Sti­mu­lie­rungs­po­li­tik, die auch von einem rea­len Lohn­wachs­tum getra­gen wäre, in den Län­dern mit hohen Leis­tungs­bi­lanz­über­schüs­sen, vor allem Deutschlands.
Eine sol­che Poli­tik könn­te die Span­nung in der EU mindern.



Der Bei­trag ist im EU-Info­brief Nr. 1/​März 2010 der AK Wien erschienen.

Literaturhinweise:
Becker, Joa­chim (2008) Der Drang nach Osten: Wirt­schaft­li­che Inter­es­sen und geo­po­li­ti­sche Stra­te­gien. In: Kurs­wech­sel, Nr. 4, 5–29
Becker, Joa­chim (2009) Ost­eu­ro­pa in der Finanz­kri­se: Ein neu­es Argen­ti­ni­en? In: Blät­ter für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik, 54(6), 97–105
Euro­stat (2010) BIP in der Euro­zo­ne und in der EU27 um 0,1% gestie­gen, Euro­stat-Pres­se­mit­tei­lung, Euro­in­di­ka­to­ren 22/​2010 – 12. Febru­ar 2010
Gal­góc­zi, Béla (2009) Cen­tral and Eas­tern Euro­pe five years after: from „emer­ging Euro­pe“ to „sub­mer­ging Euro­pe“? ETUI Poli­cy Brief, 4/​2009
Workie, Mem­be­re et al. (2009) Vývoj a per­spek­tí­vy sve­to­vej eko­no­mi­ky. Glo­bál­na finančná a hos­po­dárs­ka krí­za. Prí­či­ny – nák­la­dy – výcho­dis­ká. Bratislava


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