Wirtschaftspolitik – BEIGEWUM

Stichwort: Wirtschaftspolitik


Spanien als Musterbeispiel für scheiternde europäische Austeritätspolitik

April. 2nd 2012 — 14:33

Trotz – bzw. gera­de wegen – meh­re­rer Spar­pa­ke­te und Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung fin­det Spa­ni­en kei­nen Halt. Zusätz­lich zur pro­gnos­ti­zier­ten Schrump­fung der Wirt­schaft um 1,7 % und wei­ter­hin stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit (Stand Febru­ar: 23,6 %; Jugend­ar­beits­lo­sig­keit 50,5 %) kommt nun ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket, das die Rezes­si­on merk­lich ver­schär­fen wird. Damit ent­wi­ckelt sich das bud­get­po­li­tisch vor der Kri­se als vor­bild­lich gel­ten­de Spa­ni­en neu­er­lich zu einem Vor­zei­ge-Mit­glied­staat – dies­mal aller­dings für eine schei­tern­de euro­päi­sche Austeritätspolitik.

Meh­re­re Fak­to­ren tra­gen zu die­sem Schei­tern bei. Der wich­tigs­te ist die Wirt­schafts­kri­se, die auf­grund der natio­na­len Immo­bi­li­en­kri­se deut­lich stär­ker aus­fiel und auch nicht so rasch über­wun­den wer­den konn­te wie zB in Deutsch­land und Öster­reich. Die Arbeits­lo­sig­keit hat sich in den letz­ten drei Jah­ren bei­na­he ver­drei­facht, wodurch ein immenser Steu­er­aus­fall sowie ein hoher Anstieg der Sozi­al­kos­ten folg­ten. Gleich­zei­tig kamen die Ban­ken auf­grund der geplatz­ten Immo­bi­li­en­bla­se in beson­de­re Bedräng­nis. Der Staat hat­te damit beson­de­re Belas­tun­gen zu tra­gen und ein Kon­junk­tur­pa­ket zu finan­zie­ren, um den Absturz zu brem­sen. So dreh­te der Maas­tricht-Sal­do von einem Über­schuss von knapp 2 % des BIP 2007 auf ein Rekord­de­fi­zit von 11,2 % des BIP 2009.

Ein wei­te­rer Fak­tor ist die poli­ti­sche Dyna­mik. Der Plan der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Min­der­heits­re­gie­rung Zapa­tero bestand 2009 aus Opti­mis­mus und einem ambi­tio­nier­ten mit­tel­fris­ti­gen Kon­so­li­die­rungs­plan, der die EU-Vor­ga­ben – mind. ‑6 %p. in den kom­men­den vier Jah­ren – über­erfül­len wür­de. Die­ser Plan schei­ter­te im Früh­jahr 2010, als in Fol­ge der Grie­chen­land-Panik die Zin­sen auf spa­ni­sche Staats­an­lei­hen in unge­ahn­te Höhen schos­sen, die nega­ti­ve Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung wei­ter ging und gleich­zei­tig auf Euro­päi­scher Ebe­ne klar­ge­stellt wur­de, dass es kei­ne wesent­li­che Hil­fe zu erwar­ten gab. Ein har­tes Not-Spar­pro­gramm soll­te sicher­stel­len, dass die euro­päi­sche Kon­so­li­die­rungs­vor­ga­be von durch­schnitt­lich 1,5 %p. des BIP pro Jahr bereits 2010 und 2011 erfüllt wer­den – trotz pro­gnos­ti­zier­ter Rezes­si­on 2010.

Gefangen in der Spirale nach unten

2010 wur­den die Zie­le auch weit­ge­hend erfüllt, aller­dings nicht 2011: Statt den ange­streb­ten 6 % erreich­te das Defi­zit 8,5 % des BIP. Schuld war aller­dings nicht die alte, Ende Novem­ber abge­wähl­te Zen­tral­re­gie­rung. Die hat­te ihr Spar­pro­gramm trotz deut­lich schlech­te­rer Beschäf­ti­gungs- und damit Bud­get­ent­wick­lung durch­ge­zo­gen. Mit einem Defi­zit von 5,1 statt 4,8 % des BIP ver­fehl­te sie ihr Ziel nur knapp (bzw. 5,2 statt 4,4 %p. inklu­si­ve Sozi­al­ver­si­che­rung). Der über­wie­gen­de Teil der Defi­zit-Ver­feh­lung ging auf die Kon­ten der fast aus­schließ­lich kon­ser­va­tiv regier­ten Bun­des­län­der (die aber eben­falls erheb­li­che Spar­an­stren­gun­gen unter­nah­men). Bezeich­nend für den eiser­nen Spar­wil­len war eine Mel­dung in ElPaís Anfang Okto­ber, wonach der öffent­li­che Sek­tor in eini­gen Mona­ten bereits einen grö­ße­ren Bei­trag zum Zuwachs zur Arbeits­lo­sig­keit lie­fer­te als der private.

Wie auch immer, mit die­sem hohen Defi­zit-Start­wert und der sich ver­schär­fen­den Rezes­si­on (statt dem Ende 2010 pro­gnos­ti­zier­ten Wachs­tum von 1,7 % wird nun mit minus 1 bis 2 % gerech­net) wur­de klar, dass 2012 weder das ursprüng­li­che Defi­zit­ziel von 5,3 % des BIP vom Juni 2010 noch das bis Jah­res­en­de 2011 auf­recht erhal­te­ne ambi­tio­nier­te Ziel von 4,4 % des BIP erreicht wer­den kön­nen. Dar­an wird auch der eben erst beschlos­se­ne radi­ka­le Abbau der Arbeits­markt­stan­dards (bei Umsatz­rück­gang dür­fen Arbeit­ge­be­rIn­nen Arbeits­ver­trä­ge ver­schlech­tern, leich­te­re Kün­di­gung auch lang­jäh­rig Beschäf­tig­ter, etc.), der gemäß OECD, EU-Kom­mis­si­on und spa­ni­scher Regie­rung Beschäf­ti­gung schaf­fen soll, nichts ändern.

Europäische Wirtschaftspolitik versagt

An die­ser Stel­le kommt der Fak­tor „Ver­sa­gen der euro­päi­schen Wirt­schafts­po­li­tik“ zu tra­gen. Am spa­ni­schen Bei­spiel offen­bar­te sich die Absur­di­tät der Eco­no­mic-Gover­nan­ce/­Six-Pack/­Fis­kal­pakt-Debat­te: Obwohl es eine Kon­junk­tur­klau­sel gibt, die eine Stre­ckung des Kon­so­li­die­rungs­pfa­des pro­blem­los erlau­ben wür­de, und obwohl selbst die ver­schärf­ten Spar­vor­ga­ben hin­sicht­lich des mit­tel­fris­ti­gen struk­tu­rel­len Defi­zits wie auch schon vor der Kri­se ein­ge­hal­ten wer­den, wird bei­des igno­riert und wei­ter­hin an der dümms­ten aller Vor­ga­ben – näm­lich dem von der Kon­junk­tur­ent­wick­lung maß­geb­lich bestimm­ten Maas­tricht-Defi­zit – fest­ge­hal­ten. Der Rat der Finanz­mi­nis­te­rIn­nen kam der spa­ni­schen Regie­rung nur inso­fern ent­ge­gen, als dass nun wie­der die alte Pro­gno­se für den Defi­zit­pfad mit 5,3 % des BIP 2012 (neben den unver­än­der­ten 3 % im Jahr 2013) als ver­pflich­ten­der Ziel­wert gilt. Detail am Ran­de: gemäß ElPaís übte sich eine klei­ne Grup­pe von Hard­li­ne­rIn­nen – dar­un­ter natür­lich auch die öster­rei­chi­sche Ver­tre­te­rin – in völ­li­ger Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung mit der For­de­rung Spa­ni­en müs­se am Defi­zit-Ziel von 4,4 % des BIP festhalten.

Mit die­sem Beschluss haben die euro­päi­schen Finanz­mi­nis­te­rIn­nen eines klar zum Aus­druck gebracht: Es ist ihnen ernst mit der in der Reform der Eco­no­mic Gover­nan­ce ange­leg­ten und mit dem Fis­kal­pakt voll­ende­ten Ver­un­mög­li­chung einer aus­ge­wo­ge­nen Wirt­schafts­po­li­tik. Immer­wäh­ren­de Aus­teri­täts­po­li­tik plus Wett­be­werbs­fä­hig­keit ste­hen über Wohl­stand, des­sen Ver­tei­lung, nied­ri­ge Arbeits­lo­sig­keit oder öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit. Die spa­ni­sche Regie­rung bemüht sich trotz­dem dies­be­züg­lich Mus­ter­schü­le­rin zu blei­ben: Statt Pro­gram­me gegen die gras­sie­ren­de Arbeits­lo­sig­keit, Armut oder für leist­ba­re Woh­nun­gen (seit 2008 wur­den bereits etwa 1 % der Haus­hal­te delo­giert; selbst Erwach­se­ne müs­sen viel­fach bei ihren Eltern woh­nen) wur­de ver­gan­ge­nen Frei­tag das bereits zwei­te Spar­pa­ket in nur 100 Tagen prä­sen­tiert. Die Kon­so­li­die­rung der Zen­tral­re­gie­rung soll 27,3 Mrd Euro (über 2,5 % des BIP) betra­gen. Hin­zu kommt eine Ver­ein­ba­rung mit Län­der und Gemein­den, wonach die­se ihr Defi­zit 2012 um 1,7 % des BIP sen­ken müs­sen (wobei ein unbe­stimm­ter Teil davon bereits in den 2,5 % aus dem Zen­tral­re­gie­rungs­pa­ket ent­hal­ten sein dürfte).

Scheitern vorprogrammiert

Die­ser Plan wird aller­dings nicht genü­gen um das Defi­zit tat­säch­lich aus­rei­chend zu sen­ken, da die nega­ti­ven Rück­kop­pe­lungs­ef­fek­te auf Wachs­tum und Beschäf­ti­gung nicht ein­ge­rech­net zu sein schei­nen. Die Kür­zun­gen in den Minis­te­ri­en von durch­schnitt­lich 17 % wer­den jedoch sehr deut­li­che Aus­wir­kun­gen haben – vor allem da bei Inves­ti­tio­nen oder akti­ver Arbeits­markt­po­li­tik über­pro­por­tio­nal gespart wird. Damit wird die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit wohl noch län­ger über 50 % blei­ben und die sozia­le Kri­se verschärfen.

Inter­es­sant ist die Reak­ti­on auf euro­päi­scher Ebe­ne: das deut­sche EZB-Direk­to­ri­ums­mit­glied for­der­te gemäß ElPaís, dass das Kon­so­li­die­rungs­pa­ket per Not­stands­ge­setz­ge­bung beschlos­sen wer­den soll­te um eine schnellst­mög­li­che Umset­zung sicher­zu­stel­len. Was das alles mit glaub­wür­di­ger Bud­get­po­li­tik oder einer Über­win­dung der Kri­se in der Euro­zo­ne zu tun hat, so wie auf euro­päi­scher Ebe­ne mehr­fach fan­ta­siert wur­de, bleibt ein offe­nes Rät­sel. Es wür­de im Gegen­teil nicht über­ra­schen, wenn damit die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on in der Euro­zo­ne neu­er­lich belas­tet wür­de – mit all den nega­ti­ven Kon­se­quen­zen für alle Mit­glied­staa­ten. Trotz­dem ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass der Kurs in der Euro­zo­ne wie in Spa­ni­en selbst unver­än­dert bleibt und auch in den nächs­ten 100 Tagen Amts­zeit der neu­en spa­ni­schen Regie­rung ein wei­te­res Spar­pa­ket ver­ab­schie­det wird um die euro­päi­schen Vor­ga­ben ein­zu­hal­ten. Schließ­lich geht es ja um die Glaub­wür­dig­keit der euro­päi­schen Austeritätspolitik …

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S&P als Stimme der Vernunft?

Januar. 23rd 2012 — 16:58

Nie­mand kann oder will die Bot­schaft der Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors ver­ste­hen. Dabei sind die Ana­ly­sen der Rater wesent­lich ver­nünf­ti­ger als das was an Unsinn durch die öster­rei­chi­schen Medi­en geistert.

Das inter­na­tio­nal renom­mier­te Fach­blatt für Wirt­schaft­fra­gen „Heu­te“ hat mit­tels zehn Fra­gen Öster­reichs Kre­dit­wür­dig­keit erläu­tert. Fra­ge 7: „Wie kann Öster­reich den AAA-Sta­tus wie­der­be­kom­men“? beant­wor­tet „Heu­te“ wie folgt: „Durch rasche Spar­maß­nah­men. Gera­de die hohen Schul­den haben zur Her­ab­stu­fung geführt (…)“ Das ist nur die sim­pels­te Wie­der­ga­be des­sen, was fast alle Mei­nungs­ma­che­rIn­nen die­ser Tage mit sor­gen­vol­ler Mie­ne ver­kün­den: Wir hät­ten die AAA-Boni­tät wegen man­geln­der Spar­an­stren­gun­gen ver­lo­ren. Nie­mand hat es über­prüft aber alle wis­sen: Nur har­te Refor­men und eiser­nes Spa­ren kön­nen uns aus der Schul­den­kri­se füh­ren. Doch las­sen wir Stan­dard & Poors (S&P) ein­mal selbst spre­chen und schau­en wir, was in ihrem aktu­el­len Report zu lesen ist: 

Wir sind auch der Auf­fas­sung, dass die Gip­fel­ver­ein­ba­rung (EU-Gip­fel vom 9.12.) von einer ledig­lich ein­sei­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on der Ursa­chen der Staats­schul­den­kri­se geprägt ist, näm­lich dass die der­zei­ti­gen finan­zi­el­len Unsi­cher­hei­ten pri­mär von man­geln­der bud­ge­tä­rer Dis­zi­plin in den Peri­phe­rie­staa­ten der Euro­zo­ne her­rüh­ren. Nach unse­rer Mei­nung sind die finan­zi­el­len Pro­ble­me in der Euro­zo­ne jedoch glei­cher­ma­ßen ein Ergeb­nis der stei­gen­den außen­wirt­schaft­li­chen Ungleich­ge­wich­te und aus­ein­an­der­lau­fen­der Wett­be­werbs­fä­hig­keit zwi­schen den Kern­län­dern der Euro­zo­ne und den soge­nann­ten Peri­phe­rie­staa­ten. Daher glau­ben wir, dass ein Reform­pro­zess, der ein­sei­tig auf fis­ka­li­schen Spar­maß­nah­men beruht, unwirk­sam sein könn­te, indem die Inlands­nach­fra­ge in glei­chem Maße sinkt wie die Sor­ge der Ver­brau­cher um ihre Arbeits­plät­ze und ihre ver­füg­ba­ren Ein­kom­men steigt und damit die natio­na­len Steu­er­ein­nah­men erodieren“. 

Das hört sich doch ganz anders an als „Spa­ren, Spa­ren, Spa­ren“. Kann es sein, dass „den Gür­tel enger schnal­len“ und „sich von lieb­ge­wor­de­nen Gewohn­hei­ten tren­nen“ über­haupt nicht den Emp­feh­lung von Stan­dard & Poors ent­spricht? S&P Chef­ana­lyst Moritz Krä­mer hat­te im Ö1-Mit­tags­jour­nal selbst die Gele­gen­heit Stel­lung zu neh­men. Weil für Ö1-Jour­na­list Vol­ker Ober­may­er die Ant­wor­ten schein­bar ohne­dies schon fest­stan­den, gab er sie sich in der Fra­ge auch gleich selbst: „Ver­mis­sen Sie den eiser­nen poli­ti­schen Wil­len, die Kon­se­quen­zen aus der Lage zu zie­hen. Also nach­hal­tig die Bud­gets zu sanie­ren, Struk­tur­re­for­men durch­zu­zie­hen?“ Zur Über­ra­schung auf­merk­sa­mer Höre­rIn­nen kommt von Krä­mer kei­ne Bestä­ti­gung: „Viel wich­ti­ger für uns – um wie­der den Fokus auf die euro­päi­sche Ebe­ne zurück­zu­füh­ren – ist, dass es nach unse­rem Dafür­hal­ten die Kri­se gar nicht vor allem eine Bud­get­kri­se ist oder eine öffent­li­che Schul­den­kri­se, son­dern eine Kri­se die dadurch aus­ge­löst wur­de, dass sich die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und die Wett­be­werbs­fä­hig­kei­ten in der Euro­zo­ne in den letz­ten zehn Jah­ren dia­me­tral  in Rich­tung aus­ein­an­der bewegt haben. Durch Schul­den­brem­sen euro­pa­weit lässt sich die­ses Pro­blem nicht eindämmen.“ 


keyne­sia­ni­sche Krisendiagnose

Unglaub­lich aber wahr: Die Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors hat im Kern die glei­che Kri­sen­dia­gno­se wie zB etwa das keyne­sia­nisch ori­en­tier­te Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung in Düs­sel­dorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der fol­gen­de: Nicht nur die öffent­li­chen, son­dern auch die pri­va­ten Schul­den bedür­fen einer poli­ti­schen Berück­sich­ti­gung. Wenn die Gut­ha­ben des pri­va­ten Sek­tors die Schul­den des Sek­tors Staat in einer Volks­wirt­schaft nicht über­tref­fen, oder die Pri­va­ten in Sum­me unterm Strich sogar selbst ver­schul­det sind, ist das ein direk­tes Resul­tat der nega­ti­ven Außen­han­dels­bi­lanz der ent­spre­chen­den Volk­wirt­schaft. Die­se Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te ent­ste­hen auf Grund der unter­schied­li­chen Ent­wick­lung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Staa­ten im Euro­raum, was wie­der­um damit zu tun hat, dass die süd­eu­ro­päi­schen Staa­ten wegen der gemein­sa­men Wäh­rung man­gels Abwer­tungs­ven­til kei­ne Mög­lich­keit haben, die Lohn­zu­rück­hal­tung im Nor­den – allen vor­an in Deutsch­land – zu kompensieren.

Die­se Sicht­wei­se auf die Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se ist wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter als der aus­schließ­li­che Fokus auf die öffent­li­chen Haus­hal­te. Stan­dard & Poors hat offen­sicht­lich Leu­te, die cle­ver und weit­sich­tig genug sind, das zu erken­nen. Wie­so? Ganz ein­fach, weil die­se Aktue­rIn­nen Inter­es­se dar­an haben, dass ihre Ver­an­la­gun­gen nicht wert­los wer­den und sie prag­ma­tisch jede Poli­tik unter­stüt­zen, die in der Lage ist das Ver­trau­en wie­der­her­zu­stel­len und den Finanz­sek­tor nicht beim Koh­le schef­feln stört.

Gleich­zei­tig müs­sen wir aber lei­der fest­stel­len, dass die in Öster­reich ver­öf­fent­lich­te Mei­nung die Ana­ly­sen von S&P igno­riert bzw. voll­stän­dig aus einem vor­ge­fer­tig­ten und unver­rück­ba­ren Kor­sett her­aus umin­ter­pre­tiert. Bei­spiel­haft hier­für etwa Bern­hard Fel­de­rer (IHS) in „Im Zen­trum“: „(…) Ich glau­be ent­schei­dend ist dass wir jetzt alle erken­nen, es gibt kei­nen ande­ren Weg als Schul­den­brem­se als Ver­fas­sungs­ge­setz, als wei­te­re Konsolidierungen.“ 

Natür­lich weiß auch die gast­ge­ben­de Mode­ra­to­rin und neu­er­dings Finanz­ex­per­tin Ingrid Thurn­her, dass der Staats­haus­halt der Kern des Pro­blems ist, wie sie eine gan­ze „Im Zentrum“-Sendung unmiss­ver­ständ­lich klar machte.

Das weiß die amtie­ren­de Finanz­mi­nis­te­rin Maria Fek­ter () zu bestä­ti­gen: „Das was wir haben ist nicht ein wirt­schaft­li­ches Pro­blem, ist nicht ein Pro­blem der Real­wirt­schaft. (…) Das was wir haben ist ein Pro­blem der Staa­ten und da der Schul­den und der Defi­zi­te und Haushalte.“ 

Der angeb­lich sozi­al­de­mo­kra­ti­sche öster­rei­chi­sche Noten­bank­chef Ewald Nowotny bezeich­net die Prag­ma­ti­ke­rIn­nen von Stan­dard & Poors gar als poli­tisch moti­viert. Das ist inso­fern beson­ders ulkig, weil es die euro­päi­sche Wirt­schafts­po­li­tik ist, die außer den öffent­li­chen Haus­hal­ten kein The­ma mehr kennt. Das ist Ideo­lo­gie pur, eine aus­ge­gli­che­ne Poli­tik wür­de ja alle Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se – Ban­ken­pro­ble­me, Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te, Ver­tei­lungs­pro­ble­me, öffent­li­che Haus­hal­te – unter die Lupe neh­men. Ideo­lo­gie zeich­net sich genau durch eine absicht­li­che Ein­schrän­kung der Wahr­neh­mung aus. Inso­fern ist S&P wei­ter als die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen in der Euro­päi­sche Uni­on. Noch düm­mer argu­men­tie­ren nur Abge­ord­ne­te der CDU im Online-Stan­dard „CDU-Frak­ti­ons­vi­ze Micha­el Fuchs spricht von „Atta­cken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Euro­pa-Poli­ti­ker Elmar Brok sagt in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, die Abstu­fung käme in der Kon­se­quenz „fast einem Wäh­rungs­krieg“ gleich.“ Es ist völ­lig absurd zu glau­ben, irgend­wer in den USA hät­te Inter­es­se an einem Kol­laps des Euro. Die Port­fo­li­os der Akteu­rIn­nen am Finanz­markt sind inter­na­tio­nal diver­si­fi­ziert, da besteht mit Sicher­heit kein Inter­es­se dar­an, dass eine der gro­ßen Wäh­run­gen in denen man inves­tiert ist kra­chen geht. 


Sind Rating-Agen­tu­ren das Zen­trum des Bösen?

Bei aller Kri­tik an den Rating­agen­tu­ren muss man eines sagen: Rating­agen­tu­ren sind ein­fach Teil eines Sys­tems, des­sen Ent­wick­lung durch poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zuge­las­sen und sogar geför­dert wur­de. Rating­agen­tur sind nicht unmo­ra­lisch, son­dern amo­ra­lisch, weil sie inner­halb einer Sys­tem­lo­gik ihre Auf­ga­be erfül­len. S&P will ein­fach die Kri­se über­le­ben und wie­der ordent­lich Geld ver­die­nen. Des­halb sind sie im Zwei­fels­fall offen­sicht­lich pragmatisch.

Das Zen­trum des Bösen sind offen­bar weder die Rating-Agen­tu­ren, noch das Finanz­ka­pi­tal, son­dern es ist die Ideo­lo­gie. Und zwar die Spar- und Aus­teri­täts­ideo­lo­gie, die in Euro­pa von 90% aller Opi­ni­on Lea­der nach­ge­be­tet wird. Kei­ne Indus­trie, weder bin­nen- noch export­ori­en­tier­te, ja nicht ein­mal die auf­ge­bläh­te und über­flüs­si­ge Finanz­in­dus­trie haben irgend­et­was von die­ser Sparpolitik.

Die­ser Bei­trag ist in einer län­ge­ren Ver­si­on auf misik.at zu fin­den.

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Europäische Wirtschaftsregierung – eine stille neoliberale Revolution?

März. 16th 2011 — 11:27

Wäh­rend die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se deut­lich zuta­ge brach­te, dass nicht nur die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märk­te, son­dern auch die Wirt­schafts­po­li­tik der letz­ten Jahr­zehn­te mit wach­sen­den Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten, rapi­de zuneh­men­den Ungleich­hei­ten in der Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen, anhal­ten­der Wachs­tums­schwä­che durch eine im Rah­men des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes (SWP) kon­zer­tier­te öffent­li­che Kon­so­li­die­rungs­po­li­tik und schäd­li­chem Steu­er­wett­be­werb, beglei­tet von Dere­gu­lie­rung und Pri­va­ti­sie­rung, wirt­schafts­po­li­tisch der fal­sche Weg und kon­tra­pro­duk­tiv ist, zeigt sich gegen­wär­tig eine erstaun­li­che Dyna­mik : Die öffent­li­che Debat­te ist domi­niert von Geschich­ten über Staa­ten die – vor­nehm­lich selbst­ver­schul­det – nahe am Staats­bank­rott sind, dra­ma­ti­schen Ret­tungs­ak­tio­nen, Refi­nan­zie­rungs­schwie­rig­kei­ten, Gefah­ren des Aus­ein­an­der­bre­chens des Euros und Dis­zi­pli­nie­rung durch Finanz­märk­te (Zins­druck). In einer der­art dra­ma­ti­schen Situa­ti­on müs­sen die »unver­ant­wort­li­chen EU-Mit­glieds­staa­ten« hart her­ge­nom­men wer­den : »Die EU schlägt zurück« und »the EU gets tough«, so die Pres­se­ver­laut­ba­run­gen der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Und : wer erlaubt sich ange­sichts einer der­ar­ti­gen Dra­ma­tik über­haupt den Luxus, Kri­tik zu üben ?

Wäh­rend die Not­wen­dig­keit bes­se­rer und ver­stärk­ter wirt­schafts­po­li­ti­scher Koor­di­nie­rung und Steue­rung inner­halb der EU weit­ge­hend unbe­strit­ten ist, sind sowohl hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung der vor­ge­schla­ge­nen Instru­men­te und Pro­zes­se als auch hin­sicht­lich des Zustan­de­kom­mens der neu­en Rege­lun­gen aus wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Per­spek­ti­ve grund­le­gen­de Ein­wän­de anzu­mel­den. Die­se Maß­nah­men haben gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die wirt­schafts­po­li­ti­schen Spiel­räu­me der Mit­glied­staa­ten, sie stel­len de fac­to Ein­grif­fe in die Bud­get­ho­heit und eine Umge­hung von demo­kra­ti­schen Mecha­nis­men in Mit­glied­staa­ten und auf EU Ebe­ne dar.

In einer online Vor­ab-Ver­si­on ihres Bei­trags für Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“) ana­ly­sie­ren Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger die geplan­ten EU-Reformen.

Am 31.3.2011 laden wir zu einer Dis­kus­si­on zum The­ma mit der Bei­trags­au­torin Eli­sa­beth Klat­zer und dem deut­schen Gewerk­schafts­öko­no­men Dierk Hirschel.

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Regulierung ist nicht genug.

März. 1st 2009 — 20:16

BEI­GEWUM-Text in Mal­moe #45

Für eine Demo­kra­ti­sie­rung der Debat­te über Ant­wor­ten auf die Krise

So man­che kri­ti­sche Grup­pe sieht sich in der Dis­kus­si­on um die aktu­el­le Finanz­kri­se in der Zwick­müh­le. Dass der Kapi­ta­lis­mus insta­bil ist und sei­ne fort­schrei­ten­de schwach regu­lier­te Finan­zia­li­sie­rung (also der ver­grö­ßer­te Stel­len­wert von Finanz­märk­ten für immer mehr Wirt­schafts- und Lebens­be­reich) die­se Insta­bi­li­täts­ten­denz ver­stärkt, behaup­ten sie schon seit Jahr und Tag. Nun ist die­se Dia­gno­se (wie­der ein­mal) durch eine Kri­se schlag­ar­tig ins all­ge­mei­ne Bewusst­sein getre­ten, und das Lob der Märk­te, das ges­tern noch all­ge­gen­wär­tig durch die Medi­en schall­te, ist heu­te Hohn und Spott ausgesetzt.

Doch es ist ver­däch­tig: Jene mäch­ti­gen Akteu­re, die den Kar­ren an die Wand gefah­ren haben, machen sich vor­mals mar­gi­na­le kri­ti­sche Dia­gno­sen und Vor­schlä­ge zu eigen, als wäre nichts gewe­sen, und behal­ten ihre Posten…

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