Die Reichen liegen uns auf der Tasche – BEIGEWUM

Die Reichen liegen uns auf der Tasche

am 21. März 2016 um 10:48h

Erschie­nen im Mosa­ik-Blog am 09 März 2016

Ob in der Flücht­lings­de­bat­te, bei der Höhe der Min­dest­si­che­rung oder jüngst bei den Pen­sio­nen, ein Argu­ment klebt an aktu­el­len poli­ti­schen Debat­ten wie Kau­gum­mi: „Wir kön­nen uns den Sozi­al­staat nicht mehr leis­ten!“ Hin­ter dem alle Jah­re wie­der­keh­ren­den, neo­li­be­ra­len Angriff auf die sozia­len Siche­rungs­sys­te­me ver­steckt sich „Klas­sen­kampf von oben“. Niko­laus Dim­mel hat das kürz­lich anhand der Debat­te um die Min­dest­si­che­rung bereits auf mosa­ik ange­merkt. Wir sol­len glau­ben, dass wir uns „die Armen“ nicht mehr leis­ten kön­nen. In Wirk­lich­keit ist es aber genau umge­kehrt: Nicht die Armen, son­dern die Rei­chen lie­gen uns sprich­wört­lich auf der Tasche.

Öster­reich gilt euro­pa­weit als eines der Län­der mit der höchs­ten Ver­mö­gensun­gleich­heit (Gini-Koef­fi­zi­ent von 0,76 für Net­to-Ver­mö­gen). Die reichs­ten 5 Pro­zent besit­zen hier­zu­lan­de rund 45 Pro­zent des Gesamt­ver­mö­gen; die unters­ten 50 Pro­zent nur knapp 4 Pro­zent. Die Ver­mö­gens­ver­tei­lung in Öster­reich hat damit die Form eines „Klo­be­sens“. Ganz Weni­ge ste­hen an der Spit­ze und haben ganz viel Ver­mö­gen zu Ver­fü­gung, wäh­rend ganz vie­le ganz unten stehen.

Damit gibt es bei der Ver­tei­lung der Ver­mö­gen in Öster­reich auch kei­ne brei­te Mit­tel­schicht, wie wir sie etwa bei der Ein­kom­mens­ver­tei­lung sehen. Hil­de Weiss und ich haben in einer Stu­die her­aus­ge­ar­bei­tet, dass sich gera­de anhand der Ver­mö­gens­ver­tei­lung die Klas­sen­struk­tur der öster­rei­chi­schen Gesell­schaft beson­ders gut zei­gen lässt.

Sieht man sich genau­er an, wer zu den obers­ten 5 Pro­zent gehört und wie sie dort hin­ge­kom­men sind, so offen­ba­ren sich eini­ge inter­es­san­te Muster:

1.Wer oben ist, bleibt oben – wer unten ist, bleibt unten

Ent­ge­gen dem Mythos vom „ame­ri­ka­ni­schen Traum“ (von der Tel­ler­wä­sche­rin zur Mil­lio­nä­rin) ist es den meis­ten Arbeit­neh­me­rIn­nen kaum mög­lich, wirk­lich reich zu wer­den. Das hat zwei­er­lei Grün­de: Ers­tens bezie­hen nur die obers­ten 5 Pro­zent in rele­van­tem Aus­maß Kapi­tal­ein­kom­men (also Ein­künf­te aus Mie­ten, Zin­sen oder Betei­li­gun­gen). Dem­ge­gen­über haben die unters­ten 40 Pro­zent kaum rele­van­te Kapi­tal­ein­künf­te – sie bezie­hen nur Ein­künf­te aus Arbeit. Aber: durch Arbeit allein wird man sel­ten reich.

Zwei­tens spielt Erben in Öster­reich eine zen­tra­le Rol­le bei der Ver­mö­gens­ak­ku­mu­la­ti­on. Es erhal­ten nur etwa 10 Pro­zent der ärme­ren Haus­hal­te, aber 75 Pro­zent der reichs­ten Haus­hal­te in Öster­reich ein Erbe – und auch die durch­schnitt­li­chen Sum­men sind hier höchst unter­schied­lich: Von 14.000 Euro am unte­ren Ende zu über 240.000 Euro bei den obers­ten 20 Pro­zent. In einer kürz­lich erschie­ne­nen Stu­die des WU-Insti­tu­tes INEQ wird genau­er gezeigt, wie wich­tig das Erbe für die Posi­ti­on auf der Ver­mö­gens­ver­tei­lung ist: Ein/​e Lohn­ab­hän­gi­geR muss etwa die Hälf­te der Ein­kom­mens­ver­tei­lung über­sprin­gen, um den Ein­fluss einer Erb­schaft auf seine/​ihre rela­ti­ve Ver­mö­gens­po­si­ti­on aus­zu­glei­chen. Die Start­chan­cen der ver­schie­de­nen Haus­hal­te sind also höchst ungleich.

  1. Reich­tum ist männlich

Nicht nur bei der Einkommens‑, son­dern auch bei der Ver­mö­gens­ver­tei­lung gibt es star­ke Anzei­chen für einen gen­der gap. Lei­der gibt es der­zeit für Öster­reich nur Daten auf Haus­halts­ebe­ne, nicht auf Indi­vi­du­al­ebe­ne. Die­se zei­gen aber, dass das durch­schnitt­li­che Ver­mö­gen von weib­li­chen Sin­gle-Haus­hal­ten in Öster­reich um gut 40 Pro­zent nied­ri­ger ist, als das der männ­li­chen Sin­gle-Haus­hal­te. Mit stei­gen­der Bil­dung neh­men die Unter­schie­de im Net­to-Ver­mö­gen zwi­schen Män­nern und Frau­en wei­ter zu. Frau­en erben auch anders bzw. weni­ger. Frau­en kön­nen damit nie so hohe Ver­mö­gen anhäu­fen wie Männer.

  1. Die sozia­len Unter­schie­de wer­den vertuscht

Der offen­sicht­li­chen Ver­mö­gensun­gleich­heit zum Trotz ord­nen sich die meis­ten Men­schen eher der „Mit­te“ zu. Damit über­schät­zen sich ärme­re Haus­hal­te, wäh­rend rei­che Haus­hal­te sich unter­schät­zen. Mar­tin Schenk argu­men­tiert, dass die­ser fal­schen Selbst­ein­schät­zung ein ideo­lo­gi­sches Momen­tum zugrun­de liegt, wel­ches der Ver­schleie­rung sozia­ler Ungleich­hei­ten dient: Alle sol­len glau­ben, dass sie ihr gerech­tes Stück vom Kuchen bekom­men. Dadurch wer­den sozia­le Miss­stän­de nicht ange­pran­gert, die sozia­le Ord­nung wird als „natür­lich“ ange­se­hen und poli­ti­sche Maß­nah­men, die nur den Obe­ren der Gesell­schaft die­nen, wer­den mit­ge­tra­gen. Durch die­sen „Mit­te-Mythos“ sto­ßen auch neo­li­be­ra­le Über­zeu­gun­gen – wie eben jene, dass „wir“ uns die Armen nicht mehr leis­ten kön­nen – in brei­ten Tei­len der Gesell­schaft auf Unterstützung.

  1. Zu viel pri­va­ter Reich­tum zer­stört die Gesellschaft

Die For­schung zeigt, dass zu viel Ungleich­heit und pri­va­ter Reich­tum eine Gesell­schaft zer­stö­ren. Rei­che zie­hen sich ger­ne aus ihrer gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung zurück und schot­ten sich räum­lich wie sozi­al ab. Ver­mö­gen wird dadurch wei­ter pri­va­ti­siert. Gleich­zei­tig wer­den Ver­lus­te kol­lek­ti­viert und in gesell­schaft­lich wich­ti­gen Berei­chen, wie Bil­dung oder Sozia­lem, Aus­ga­ben gekürzt. Das führt dazu, dass sich die Gesell­schaft wei­ter spal­tet. Die Armut Vie­ler hängt also mit dem Reich­tum Weni­ger zusam­men. Das wuss­te schon Bert­hold Brecht:

Rei­cher Mann und armer Mann
stan­den da und sahn sich an. 
Und der Arme sag­te bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“.“

Die hier skiz­zier­ten Ent­wick­lun­gen müs­sen gestoppt wer­den. Auf­ga­be der gesell­schaft­li­chen Lin­ken ist es, uner­müd­lich auf die oben erwähn­ten Zah­len, Daten, Fak­ten hin­zu­wei­sen, aber auch wei­ter für die Ein­füh­rung einer Ver­mö­gens- und einer umfas­sen­de­ren Erb­schafts­steu­er zu kämp­fen. Wir müs­sen gemein­sam Visio­nen für eine gerech­te Gesell­schaft jen­seits des finanz­do­mi­nier­ten Kapi­ta­lis­mus erarbeiten.

Julia Hof­mann ist aktiv beim BEIGEWUM und dem Jaho­da-Bau­er-Insti­tut, die 2014 gemein­sam mit ATTAC und der Armuts­kon­fe­renz das Pro­jekt „Mythen des Reich­tums“ ins Leben geru­fen haben.

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