Unaufhaltsame Krisengewinner? Die extreme und populistische Rechte in Europa – BEIGEWUM

Unaufhaltsame Krisengewinner? Die extreme und populistische Rechte in Europa

am 15. März 2017 um 9:08h

Ver­an­stal­tungs­rück­blick von Julia Hof­mann und Saskja Schind­ler [1]

Ende Febru­ar 2017 fand in der Sky­lounge der Uni­ver­si­tät Wien eine Ver­an­stal­tung zum Auf­stieg der Rech­ten in zahl­rei­chen euro­päi­schen Län­dern statt. Gal­ten Län­der wie Öster­reich, aber auch die Nie­der­lan­de oder Ita­li­en mit ihren star­ken rechts­po­pu­lis­ti­schen Ten­den­zen lan­ge Jah­re eher als Aus­nah­me in der Euro­päi­schen Uni­on, sind nun bei­na­he alle Mit­glied­staa­ten mit wach­sen­den, rech­ten und rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en und Bewe­gun­gen kon­fron­tiert. Zahl­rei­che Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und kri­ti­sche Medi­en warn­ten schon seit län­ge­rem vor die­sem ste­ten Auf­stieg der Rech­ten, den­noch stell­te das Jahr 2016 für vie­le einen Bruch mit den bis­her wahr­ge­nom­men Ent­wick­lun­gen dar: Nicht nur die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Prä­si­den­ten, son­dern auch das Mehr­heits­vo­tum der Bri­tIn­nen für einen Aus­tritt aus der Euro­päi­schen Uni­on, der Erfolg der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) bei Land­tags­wah­len oder das enge Ren­nen um die öster­rei­chi­sche Bun­des­prä­si­den­tIn­nen­wahl und die wach­sen­de Popu­la­ri­tät des Front Natio­nal (FN) in fran­zö­si­schen Wahl­um­fra­gen wur­den hef­tig diskutiert.

Dem­entspre­chend wur­den im Rah­men eines kürz­lich ange­lau­fe­nen und vom FWF mit finan­zier­ten For­schungs­pro­jek­tes „Soli­da­ri­tät in Zei­ten der Kri­se. Sozio-öko­no­mi­scher Wan­del und poli­ti­sche Ori­en­tie­run­gen in Öster­reich und Ungarn“ (SOCRIS) fünf aus­ge­wie­se­ne Rechts­ex­tre­mis­mus-For­sche­rIn­nen nach Wien ein­ge­la­den, um über die­sen schein­bar unauf­halt­sa­men Auf­stieg der Rech­ten in ihren jewei­li­gen Län­dern zu diskutieren.

Den Anfang mach­te die ita­lie­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Manue­la Caia­ni. Sie gab einen Ein­blick in ihre For­schungs­ar­bei­ten zur Ver­net­zung rechts­ex­tre­mer Grup­pen in Euro­pa und den USA. Caia­ni kon­zen­trier­te sich hier­bei ins­be­son­de­re auf die Ver­net­zung im Inter­net und zeig­te in ihrer Stu­die „The Dark Side of the Web“, dass die­se viel­fach bereits sehr gut mit­ein­an­der ver­netzt sind, wenn­gleich sich dabei auch deut­li­che län­der­spe­zi­fi­sche Unter­schie­de zei­gen: So wei­sen die rech­ten Grup­pie­run­gen in den USA eine stark dezen­tra­le Ver­net­zungs­struk­tur auf, die deut­schen Grup­pie­run­gen dage­gen eine eher zen­tra­lis­ti­sche. In Hin­blick auf die inter­na­tio­na­le Ver­net­zung rech­ter Grup­pie­run­gen im Inter­net zeigt die Stu­die zum einen, dass die ita­lie­ni­sche Rech­te am stärks­ten inter­na­tio­nal ver­netzt ist, und zum ande­ren, dass die Mög­lich­keit der Ver­net­zung am stärks­ten von Neo­na­zi-Grup­pen genützt wird. Die Ver­net­zung im Inter­net wird von den rech­ten Grup­pen der­zeit, wie Caia­ni zeig­te, vor­wie­gend zu Pro­pa­gan­da- und Infor­ma­ti­ons­zwe­cken genützt, wäh­rend die tat­säch­li­che Mobi­li­sie­rung noch eher off­line betrie­ben wird.

Der Sozio­lo­ge Jörg Fle­cker stell­te sich anschlie­ßend in sei­nem Kurz­vor­trag die Fra­ge, ob der Begriff der Soli­da­ri­tät ana­ly­tisch auf die Poli­tik der FPÖ anwend­bar wäre. In der wis­sen­schaft­li­chen Debat­te sei es, so Fle­cker, umstrit­ten, ob das Kon­zept der Soli­da­ri­tät not­wen­di­ger­wei­se uni­ver­sa­lis­tisch, inklu­siv und all­um­fas­send wäre oder ob die Her­stel­lung von Soli­da­ri­tät nicht das Zie­hen von Gren­zen (mit wem ist man soli­da­risch, mit wem nicht?) bedin­ge. Wenn das Kon­strukt der Soli­da­ri­tät ein exklu­si­ves Moment impli­zie­re, dann kön­ne man auch im Fal­le der FPÖ von einer spe­zi­fi­schen, exklu­si­ven Form der Soli­da­ri­tät spre­chen, so Fle­cker – einer Soli­da­ri­tät nach innen also (d.h. einer Form der Soli­da­ri­tät mit der „Deut­schen Volks‑, Sprach- und Kul­tur­ge­mein­schaft“ bzw. mit dem Staats­volk), aller­dings bei gleich­zei­ti­ger star­ker Schlie­ßung nach außen. Im zwei­ten Teil sei­nes Vor­trags weich­te Fle­cker die­se The­se jedoch auf, als er die Poli­tik, der sich selbst als „sozia­le Hei­mat­par­tei“ ver­ste­hen­den FPÖ, genau­er unter die Lupe nahm. Die­se greift, ihm zufol­ge, die sozia­le Fra­ge zwar durch­aus auf, zeigt aber durch gegen­tei­li­ges Stimm­ver­hal­ten in Natio­nal­rat und Land­ta­gen (etwa beim Pfle­ge­geld, der Min­dest­si­che­rung oder Fra­gen des Lohn- und Sozi­al­dum­pings), dass sie nicht auf der Sei­te der arbei­ten­den Men­schen in Öster­reich steht.

Der unga­ri­sche For­scher Ist­ván Grac­jz­jár beschäf­tig­te sich mit der Gene­se der rechts­ex­tre­men Job­bik und ihren Ver­flech­tun­gen zur regie­ren­den Fidesz-Par­tei. Gajcz­jár zufol­ge ist der Auf­stieg der zutiefst anti­se­mi­ti­schen, roma­feind­li­chen und homo­pho­ben Job­bik nur durch mul­ti­ple Kri­sen­er­schei­nun­gen erklär­bar: Ungarn habe die Wirt­schafts­kri­se recht hart getrof­fen, dar­über hin­aus ste­cke das Land durch zahl­rei­che Kor­rup­ti­ons­fäl­le seit eini­gen Jah­ren in einer „poli­tisch-mora­li­schen Kri­se“. In sei­nem Vor­trag argu­men­tier­te Gra­jcz­jár des Wei­te­ren, dass es nicht nur star­ke, ideo­lo­gi­sche Über­schnei­dun­gen zwi­schen Fidesz und Job­bik gäbe (z.B. bei Fra­gen der Ver­staat­li­chung, des Geschichts­re­vi­sio­nis­mus oder dem Umgang mit Arbeits­lo­sen) son­dern, dass sich durch Job­bik das gesam­te poli­ti­sche Spek­trum in Ungarn wei­ter nach rechts verschiebe.

Die deut­sche Rechts­ex­tre­mis­mus­for­sche­rin Gud­run Hent­ges hat sich wis­sen­schaft­lich mit dem Phä­no­men PEGIDA (und dar­an angren­zend auch mit der neu ent­stan­de­nen rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei AfD) beschäf­tigt. In ihrem Vor­trag wies sie daher auch auf das schein­ba­re Para­do­xon hin, dass rech­te Bewe­gun­gen sich posi­tiv auf schein­bar lin­ke Posi­tio­nen, wie etwa den Aus­bau direk­ter Demo­kra­tie bezie­hen. Hent­ges zeig­te jedoch, dass das dahin­ter­lie­gen­de Kon­zept der Demo­kra­tie von Bewe­gun­gen wie PEGIDA sich stark von pro­gres­si­ven Demo­kra­tie­an­sät­zen unter­schei­det. Ihrer Ansicht nach bedie­nen sie sich des Kon­zep­tes einer „iden­ti­tä­ren Demo­kra­tie“, das auf den umstrit­te­nen deut­schen Staats­recht­ler Carl Schmitt zurück­geht. Schmitt (1923) zufol­ge gehört zu einer Demo­kra­tie „(…) not­wen­dig ers­tens Homo­ge­ni­tät und zwei­tens – nöti­gen­falls – die Aus­schei­dung oder Ver­nich­tung des Hete­ro­ge­nen.“ Das Recht auf direk­te Demo­kra­tie gäbe es – im Sin­ne PEGI­DAs – also nur für aus­ge­wähl­te, auto­chtho­ne Gruppen.

Der an der fran­zö­si­schen Uni­ver­si­té de Lil­le for­schen­de Sozio­lo­ge Diet­mar Loch ver­such­te in sei­nem Vor­trag schluss­end­lich den Erfolg von Mari­ne Le Pen und ihrem Front Natio­nal zu erklä­ren. Er wies auf die ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Spal­tun­gen und Kon­flikt­li­ni­en in Frank­reich hin, etwa auf die Kon­flikt­li­nie zwi­schen öko­no­mi­scher Öff­nung und Schlie­ßung. Unter Rück­griff auf Erkennt­nis­se der Sozio­geo­gra­phie zeig­te Loch, dass der Front Natio­nal nicht nur abge­häng­te Indus­trie­ar­bei­te­rIn­nen anspre­che, son­dern sich min­des­tens drei, räum­lich getrenn­te, Wäh­le­rIn­nen­grup­pen aus­ma­chen las­sen: die Arbeits­lo­sen im Nord­os­ten Frank­reichs, die Arbei­te­rIn­nen im Süden und die „sich als abge­hängt Füh­len­den“ im Wes­ten des Lan­des. Span­nend war auch sein Befund, dass die räum­li­che Distanz von öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln als ein Maß für die Wahr­schein­lich­keit, Front Natio­nal zu wäh­len, her­an­ge­zo­gen wer­den kann.

Auch wenn sich nicht alle Vor­trä­ge expli­zit mit dem Zusam­men­hang der Kri­se und dem Auf­stieg rech­ter Par­tei­en und Bewe­gun­gen beschäf­tig­ten, impli­zit zeig­te sich jedoch in allen For­schun­gen, die Bedeu­tung mul­ti­pler Kri­sen­er­schei­nun­gen, die – geht es nach den ein­ge­la­de­nen Wis­sen­schaft­le­rIn­nen – in wei­te­ren Stu­di­en näher erforscht wer­den soll­te. Hin­sicht­lich zukünf­ti­ger poli­ti­scher Ent­wick­lun­gen waren sich auf dem anschlie­ßen­den Podi­um auch alle einig: Der Auf­stieg der Rech­ten wäre zwar kei­nes­falls unauf­halt­sam, den­noch gebe es der­zeit kaum poli­ti­sche Ten­den­zen, die ihm die Stirn bie­ten würden.

 

Mit dem The­ma setzt sich auch die aktu­el­le Aus­ga­be der Zeit­schrift Kurs­wech­sel aus­ein­an­der. Zum Wei­ter­le­sen emp­fiehlt sich „Der Rech­te Streit um Euro­pa„…

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[1] Die Autorin­nen arbei­ten als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin­nen im SOCRIS-Pro­jekt. Julia Hof­mann ist zudem Mit­glied im BEI­GEWUM-Vor­stand und in der Kurswechsel-Redaktion.

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