Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems – Traum und Wirklichkeit – BEIGEWUM

Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems – Traum und Wirklichkeit

am 21. Dezember 2016 um 14:59h

Autor: Chris­toph Streissler

Die­ser Bei­trag ist auf blog.arbeit-wirtschaft.at erschienen

 

In Paris einig­ten sich die Staa­ten auf das Ziel, den Anstieg der durch­schnitt­li­chen Erd­tem­pe­ra­tur deut­lich unter zwei Grad Cel­si­us zu hal­ten. In der zwei­ten Hälf­te des Jahr­hun­derts soll es durch Dekar­bo­ni­sie­rung gelin­gen, net­to Null­emis­sio­nen bei den Treib­haus­ga­sen zu errei­chen. Die EU strebt an, bis 2050 ihre Emis­sio­nen auf ein Fünf­tel des Wer­tes von 1990 zu sen­ken. All das sind heh­re Zie­le. Ohne grund­le­gen­de Ände­rung des Wirt­schafts­sys­tems sind sie nichts als Luftschlösser.

Im Arti­kel, der die der­zei­ti­ge lose Fol­ge von Bei­trä­gen zur sozi­al-öko­lo­gi­schen Erneue­rung ein­lei­te­te, wird unter ande­rem auf die not­wen­di­gen stra­te­gi­schen Wei­chen­stel­lun­gen zur maß­geb­li­chen Reduk­ti­on der Treib­haus­gas­emis­sio­nen hin­ge­wie­sen. Dies ist einer der Berei­che, in dem umfang­rei­che Inves­ti­tio­nen dazu bei­tra­gen kön­nen, die Arbeits­lo­sig­keit zurück­zu­drän­gen und dau­er­haft sicher zu stel­len, dass alle Men­schen an sozia­len Errun­gen­schaf­ten – Bil­dung, Gesund­heit, Alters­ver­sor­gung, Mobi­li­tät – teil­ha­ben können.

Ener­gie­sys­tem als zen­tra­les Hand­lungs­feld der Klimapolitik

Dabei han­delt es sich vor allem um Inves­ti­tio­nen, die wesent­li­che Bei­trä­ge zur Trans­for­ma­ti­on des Ener­gie­sys­tems leis­ten. Denn etwa drei Vier­tel der in Öster­reich emit­tier­ten Treib­haus­ga­se stam­men aus der Nut­zung fos­si­ler Brenn­stof­fe. Es braucht einen wei­te­ren Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gie­trä­ger, wobei – es muss immer wie­der betont wer­den – auf Kos­ten­ef­fi­zi­enz, auf fai­re Ver­tei­lung die­ser Kos­ten und auf Umwelt­ver­träg­lich­keit geach­tet wer­den muss; und es braucht eine wesent­li­che Stei­ge­rung der Ener­gie­ef­fi­zi­enz bei gleich­zei­ti­ger Ver­rin­ge­rung des Ener­gie­ver­brauchs. In bei­den Berei­chen, Erneu­er­ba­ren wie Ener­gie­ef­fi­zi­enz, bedeu­tet dies umfang­rei­che Inves­ti­ti­ons­pro­gram­me, und zwar sowohl in Infra­struk­tur (Anla­gen, Über­tra­gungs- und Ver­teil­net­ze für Strom und Wär­me, Ver­kehrs-Infra­struk­tur uvm) als auch in For­schung und Ent­wick­lung. Bemer­kung am Ran­de: Der der­zeit lau­fen­de Pro­zess der Erar­bei­tung einer Kli­ma- und Ener­gie­stra­te­gie des Bun­des wird genau dar­an zu mes­sen sein, ob er für die­se Inves­ti­tio­nen wesent­li­che Impul­se setzt.

Das Aus­maß die­ser Her­aus­for­de­rung kann aber gar nicht groß genug ein­ge­schätzt wer­den. Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on hat kürz­lich ihren Vor­schlag vor­ge­stellt, wie das EU-Ziel der Treib­haus­gas­re­duk­ti­on bis 2030 auf die Mit­glied­staa­ten auf­ge­teilt wer­den soll. Dabei geht es um die­je­ni­gen 55 % der EU-Emis­sio­nen, die nicht vom Emis­si­ons­han­del erfasst wer­den. Im Ver­gleich zu 2005 sol­len sie bis 2030 um 30 % ver­rin­gert wer­den. Öster­reich soll als einer der reichs­ten Mit­glied­staa­ten etwas mehr schul­tern als der Durch­schnitt und sei­ne Emis­sio­nen um 36 % reduzieren.

Im Jahr 2015 wur­den in Öster­reich gut 49 Mil­lio­nen Ton­nen Treib­haus­ga­se außer­halb des Emis­si­ons­han­dels (ETS) emit­tiert. Bis 2030 soll die­ser Wert auf 31,5 Mil­lio­nen Ton­nen gesenkt wer­den. Mit 45 % hat der Ver­kehr den weit­aus größ­ten Anteil an die­sen Emis­sio­nen. Eine Maß­nah­me zur Sen­kung die­ser Zahl, die immer wie­der genannt wird (etwa Kli­ma­schutz­be­richt 2016), ist die Erhö­hung der Mine­ral­öl­steu­er, um den Tank­tou­ris­mus zurück­zu­drän­gen. Hier ist nicht der Platz, um auf die Aus­wir­kun­gen die­ses Schritts auf das Bud­get ein­zu­ge­hen. Viel­mehr ist er umwelt­po­li­tisch zu hin­ter­fra­gen. Denn die höhe­re Mine­ral­öl­steu­er führt pri­mär dazu, dass LKW im Tran­sit­ver­kehr nicht mehr in Öster­reich, son­dern in Deutsch­land oder in Ita­li­en tan­ken. Die Emis­sio­nen blei­ben die­sel­ben, auch wenn sie nicht mehr in der öster­rei­chi­schen Bilanz auf­schei­nen. Damit soll gezeigt wer­den, dass Kli­ma­po­li­tik nur dann dau­er­haf­te Emis­si­ons­re­duk­tio­nen aus­lö­sen kann, wenn sie nicht bloß auf die natio­na­le Bilanz schielt, son­dern die inter­na­tio­na­len Wir­kun­gen von Maß­nah­men in den Blick nimmt.

Fokus auf glo­ba­len Emissionen

In die­ser wei­te­ren Per­spek­ti­ve zeigt sich, dass Öster­reich Emis­sio­nen im Aus­land ver­ur­sacht, die fast so hoch sind wie die­je­ni­gen in Öster­reich selbst. Der Import von Gütern, bei deren Pro­duk­ti­on Emis­sio­nen anfal­len, ent­spricht also einem „Export“ die­ser Emis­sio­nen. Zieht man davon die Men­gen an CO2 (Koh­len­di­oxid) ab, die in Öster­reich bei der Pro­duk­ti­on von Waren ent­ste­hen, die dann expor­tiert wer­den (Net­to­be­trach­tung), bleibt als Ergeb­nis, dass die öster­rei­chi­schen Emis­sio­nen um knapp die Hälf­te höher wären, wenn nach Kon­sum und nicht nach Ver­brauch bilan­ziert wür­de. Umge­kehrt wur­de her­aus­ge­fun­den, dass 2002 bis 2005 etwa 70 % der Zuwäch­se der CO2-Emis­sio­nen Chi­nas im sekun­dä­ren Sek­tor export­ge­trie­ben waren.

Die­se Zah­len zei­gen, dass eine natio­na­le Betrach­tung des Pro­blems zu kurz grei­fen muss. Mit dem Abkom­men von Paris ist es gelun­gen, die­se inter­na­tio­na­le Per­spek­ti­ve zu stär­ken. Die Bil­der der jubeln­den Dele­gier­ten gin­gen um die Welt. Sieht man aber auf die glo­ba­le Ent­wick­lung beim Ener­gie­ver­brauch, wird die Eupho­rie schnell gedämpft. Die Fra­ge drängt sich auf, wie die not­wen­di­gen Emis­si­ons­re­duk­tio­nen erreicht wer­den sollen.

Am welt­wei­ten Auf­kom­men an Ener­gie hat­ten 2013 die fos­si­len Ener­gie­trä­ger einen Anteil von 81,5 %, die Nukle­ar­ener­gie von 4,8 % und die erneu­er­ba­ren Ener­gie­trä­ger von 13,7 % (zum größ­ten Teil Holz und Abfall für Heiz­zwe­cke). Das im Abkom­men von Paris ver­an­ker­te Ziel, in der zwei­ten Hälf­te des Jahr­hun­derts net­to Null­emis­sio­nen zu errei­chen, bedeu­tet schlicht, dass kei­ne fos­si­len Ener­gie­trä­ger mehr ver­wen­det wer­den dür­fen. Denn die Abschei­dung und Spei­che­rung des CO2 aus der Ver­bren­nung fos­si­ler Ener­gie­trä­ger (Car­bon Cap­tu­re and Sto­rage, CCS) ist im erfor­der­li­chen Umfang völ­lig unrea­lis­tisch, und auch ein Zuwachs an Wald­flä­che, der die­se CO2-Emis­sio­nen bin­den könn­te, ist bei wach­sen­der Welt­be­völ­ke­rung und zuneh­men­dem Nut­zungs­druck auf Wald­flä­chen undenk­bar. Dem­entspre­chend geht die Inter­na­tio­na­le Ener­gie­agen­tur (IEA) davon aus, dass 2040 (wei­ter rei­chen ihre Schät­zun­gen nicht) auch im ambi­tio­nier­tes­ten Sze­na­rio der Anteil der fos­si­len Ener­gie­trä­ger noch etwa 60 % beträgt.

Nur noch ein sehr gerin­ger Spielraum

Soll das Zwei-Grad-Ziel hal­ten, darf welt­weit aber nur noch eine kumu­lier­te Gesamt­men­ge von etwa 1000 Giga­ton­nen CO2 aus­ge­sto­ßen wer­den. Beim der­zei­ti­gen Niveau der Emis­sio­nen ist die­ser Spiel­raum in etwa zwan­zig Jah­ren erschöpft. Danach dürf­ten welt­weit über­haupt kei­ne anthro­po­ge­nen Emis­sio­nen mehr in die Atmo­sphä­re gelan­gen. Auch das ehr­gei­zigs­te IEA-Sze­na­rio bedeu­tet also, dass das Zwei-Grad-Ziel ver­fehlt wird.

Die Schluss­fol­ge­rung aus die­sen Zah­len ist schlicht, dass es nicht aus­reicht, ein biss­chen am Ener­gie­sys­tem zu dre­hen, um die in Paris ver­ein­bar­ten Zie­le zu errei­chen. Die weit­rei­chen­den Ände­run­gen, die dafür not­wen­dig sind, bedeu­ten nicht weni­ger als eine Abkehr vom heu­te domi­nan­ten kapi­ta­lis­ti­schen Wirtschaftssystem.

Da dies der­zeit nicht auf der poli­ti­schen Agen­da der EU oder ihrer Mit­glied­staa­ten steht, ist es nötig, mit dem inne­ren Wider­spruch zu leben. Solan­ge kön­nen sich fort­schritt­lich den­ken­de Men­schen aber dafür ein­set­zen, dass die Inves­ti­tio­nen zur Trans­for­ma­ti­on des Ener­gie­sys­tems auch dar­an aus­ge­rich­tet wer­den, dass sie die ein­gangs genann­ten sozia­len Zie­le unter­stüt­zen: Ver­rin­ge­rung der Arbeits­lo­sig­keit, Teil­ha­be an sozia­len Errun­gen­schaf­ten für alle und Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit beim erwirt­schaf­te­ten Wohlstand.

Mehr zu dem The­ma kön­nen Sie im neu­en Kurs­wech­sel lesen.

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