Staatsfinanzierung durch die EZB: Ein notwendiger Tabubruch – BEIGEWUM

Staatsfinanzierung durch die EZB: Ein notwendiger Tabubruch

am 22. Januar 2015 um 15:48h

Aus gege­be­nem Anlass ver­öf­fent­li­chen wir vor­ab einen Beitrag(sentwurf) von Ste­fan Ede­rer, Lisa Mit­ten­drein und Valen­tin Schwarz, der im Debat­ten­fo­rum des Kurs­wech­sel 1/​2015 erschei­nen wird. Sie kri­ti­sie­ren dar­in ins­be­son­de­re das auch durch die heu­ti­ge EZB-Ent­schei­dung unan­ge­tas­te­te Dog­ma des Ver­bots der Finan­zie­rung höhe­rer staat­li­cher Defi­zi­te durch die Zentralbank.

Die Kri­se hat Euro­pa fest im Griff. Der Auf­schwung lässt wei­ter auf sich war­ten, die Arbeits­lo­sig­keit ist hoch und die Defla­ti­ons­ge­fahr steigt kon­ti­nu­ier­lich. Die Wirt­schafts­po­li­tik hat dem bis­lang wenig ent­ge­gen­ge­setzt. Die Euro­päi­sche Zen­tral­bank (EZB) hat zwar das Ver­trau­en in den Wei­ter­be­stand der Wäh­rungs­uni­on vor­läu­fig wie­der her­ge­stellt, ihre Geld­po­li­tik wirkt jedoch kaum mehr sti­mu­lie­rend auf die Real­wirt­schaft. Die Regie­run­gen der EU-Mit­glieds­staa­ten beschrän­ken sich auf Ein­schnit­te in Sozi­al­sys­te­me, Arbeits­rech­te und öffent­li­che Auf­ga­ben. Sie leis­ten damit nicht nur kei­nen Bei­trag zur Sta­bi­li­sie­rung der Kon­junk­tur, son­dern wir­ken den expan­si­ven Maß­nah­men der EZB sogar ent­ge­gen. Wesent­lich effek­ti­ver war die Kri­sen­be­kämp­fung hin­ge­gen in den USA. Die Regie­rung ließ dort wäh­rend der Kri­se höhe­re Defi­zi­te zu als im Euro­raum. Die Zen­tral­bank kauf­te gro­ße Men­gen von Staats­an­lei­hen und hielt so die Zin­sen niedrig.

Als Fol­ge davon wird die Rol­le der Zen­tral­ban­ken bei der Kri­sen­be­kämp­fung inten­siv dis­ku­tiert. Vor allem im eng­lisch­spra­chi­gen Raum ist dabei die Finan­zie­rung öffent­li­cher Defi­zi­te durch die Zen­tral­bank wie­der stär­ker in den Mit­tel­punkt gerückt. So the­ma­ti­sier­te Adair Tur­ner, ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der der bri­ti­schen Finanz­markt­re­gu­lie­rungs­be­hör­de FSA, die Not­wen­dig­keit, wäh­rend der Kri­se auf das Instru­ment der direk­ten Staats­fi­nan­zie­rung zurück­zu­grei­fen. Er berief sich dabei auf die Mone­ta­ris­ten Irving Fisher und Mil­ton Fried­man sowie auf Ben Bern­an­ke, der eine ähn­li­che Poli­tik in den 1990er-Jah­ren für Japan gefor­dert hat­te. Er begab er sich damit aller­dings auch in unmit­tel­ba­re Nähe zur post­keyne­sia­ni­schen Geld­theo­rie, deren Vertreter_​innen schon seit jeher die direk­te Finan­zie­rung öffent­li­cher Defi­zi­te durch die Zen­tral­bank befür­wor­ten (Ler­ner 1943, Wray 2012).

In der Euro­zo­ne ist das aller­dings wei­ter­hin ein Tabu. Die direk­te Staats­fi­nan­zie­rung ist der EZB ver­bo­ten, die „Dis­zi­pli­nie­rung“ der Regie­run­gen durch die Finanz­märk­te gilt als sinn­voll und notwendig.

EZB-Staatsfinanzierung als Krisenlösung …

Die Fort­set­zung des bis­he­ri­gen Kur­ses der Wirt­schafts­po­li­tik wird die Kri­se nicht lösen. Hin­ge­gen gibt es gute Grün­de dafür, öffent­li­che Defi­zi­te über die Zen­tral­bank zu finanzieren:

  • Die Kon­junk­tur kommt unter ande­rem des­halb nicht in Gang, weil Haus­hal­te und Unter­neh­men in eini­gen Län­dern hoch ver­schul­det sind und ver­su­chen, ihre Ver­mö­gens- bzw. Eigen­ka­pi­tal­po­si­tio­nen zu ver­bes­sern. Also eine Situa­ti­on, die Richard Koo (2009) als „balan­ce sheet reces­si­on“ bezeich­net. Zusätz­li­che öffent­li­che Aus­ga­ben wären daher drin­gend not­wen­dig, um die feh­len­de Nach­fra­ge zu kompensieren.
  • Der Fis­kal­po­li­tik sind jedoch mehr­fach „die Hän­de gebun­den“. Neben den Ein­schrän­kun­gen durch die EU-Fis­kal­re­geln sorgt vor allem die Angst vor höhe­ren Zin­sen dafür, dass Staa­ten kei­ne zusätz­li­chen Aus­ga­ben tätigen.
  • Die Geld­po­li­tik der EZB ist bei ihrem Ver­such, die Kon­junk­tur zu stär­ken, längst an ihre Gren­zen gesto­ßen. Der Leit­zins­satz hat die Null­pro­zent­mar­ke erreicht und kann nicht mehr wei­ter gesenkt wer­den. Unkon­ven­tio­nel­le Maß­nah­men wie geziel­te län­ger­fris­ti­ge Refi­nan­zie­rungs­ge­schäf­te und Ankäu­fe for­de­rungs­be­si­cher­ter Wert­pa­pie­re zie­len auf eine Aus­wei­tung des Kre­dit­an­ge­bots. Wenn, wie in der aktu­el­len Situa­ti­on, die Unter­neh­men und Haus­hal­te kei­ne Kre­di­te nach­fra­gen, lau­fen die­se Maß­nah­men ins Leere.

Einen Aus­weg aus die­sem Dilem­ma bie­ten somit nur zusätz­li­che öffent­li­che Aus­ga­ben – finan­ziert über die EZB. So wür­de unmit­tel­bar Nach­fra­ge geschaf­fen, ohne dass die Gefahr eines neu­er­li­chen Anstiegs der Zin­sen auf Staats­an­lei­hen ent­steht. Tur­ner sieht in die­ser Kom­bi­na­ti­on aus expan­si­ver Fis­kal­po­li­tik und Finan­zie­rung über die Zen­tral­bank, wie sie von den USA vor­ge­macht wur­de, sogar die ein­zi­ge Mög­lich­keit in der aktu­el­len Kri­se die Kon­junk­tur zu stärken.

… und dauerhafte Maßnahme

Vie­les spricht aller­dings dafür, öffent­li­che Defi­zi­te auch abseits von Kri­sen durch die EZB zu finan­zie­ren. Die Schul­den­auf­nah­me auf den Finanz­märk­ten bringt auch über die aktu­el­le Kri­se hin­aus Pro­ble­me mit sich:

  • Gera­de die Euro­kri­se zeigt, dass Finanz­märk­te die ihnen unter­stell­te Sta­bi­li­sie­rungs­funk­ti­on nicht wahr­neh­men. Sie ten­die­ren viel­mehr dazu, pro­zy­klisch zu agie­ren und dadurch Booms und Kri­sen zu ver­stär­ken. Die Finan­zie­rungs­kos­ten für Staa­ten nei­gen zu über­trie­be­nen Schwan­kun­gen, die eine lang­fris­ti­ge Plan­bar­keit öffent­li­cher Aus­ga­ben erschweren.
  • Finanz­märk­te reprä­sen­tie­ren vor allem den reichs­ten Teil einer Gesell­schaft. Men­schen mit nied­ri­gen oder mitt­le­ren Ein­kom­men haben kaum über­schüs­si­ges Ein­kom­men, das sie in Finanz­an­la­gen inves­tie­ren kön­nen. Sie tra­gen aber zum all­ge­mei­nen Steu­er­auf­kom­men bei, aus dem Staats­an­lei­hen bedient wer­den. Staats­fi­nan­zie­rung über Finanz­märk­te bedeu­tet somit eine struk­tu­rel­le Umver­tei­lung von arm zu reich.
  • Die Finan­zie­rung öffent­li­cher Auf­ga­ben über Finanz­märk­te ord­net das Gemein­wohl pri­va­ten Kapi­tal­in­ter­es­sen unter. Investor_​innen haben auf die­sem Weg die Mög­lich­keit, Druck auf demo­kra­tisch legi­ti­mier­te Regie­run­gen aus­zu­üben und sie im Inter­es­se einer klei­nen Min­der­heit zu beeinflussen.
  • Der Finanz­sek­tor ist in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten viel schnel­ler gewach­sen als die Real­wirt­schaft und die Häu­fig­keit von Finanz­kri­sen hat zuge­nom­men. Die Umkeh­rung die­ser Ent­wick­lung ist ohne eine Restruk­tu­rie­rung und Ver­klei­ne­rung des Finanz­sek­tors unmög­lich. Jede Trans­for­ma­ti­on in die­se Rich­tung ist nur mög­lich, wenn die Regie­run­gen an fis­ka­li­scher Bewe­gungs­frei­heit gewin­nen und sich vom Finanz­sek­tor emanzipieren.

Entscheidend sind die richtigen Regeln

Ent­schei­dend für ihre Wir­kung ist die insti­tu­tio­nel­le und regu­la­to­ri­sche Aus­ge­stal­tung einer EZB-Staats­fi­nan­zie­rung. Sinn­voll wäre bei­spiels­wei­se, dass die unab­hän­gi­ge Zen­tral­bank in Abstim­mung mit den Regie­run­gen der Mit­glied­staa­ten die Höhe der von der ihr finan­zier­ten Defi­zi­te fest­legt. Sie ori­en­tiert sich dabei an ihrem Man­dat, das neben Preis­sta­bi­li­tät auch Voll­be­schäf­ti­gung umfas­sen soll­te. Wenn Kon­junk­tur und Infla­ti­on schwach sind, wird das Finan­zie­rungs­vo­lu­men höher aus­fal­len als bei gut aus­ge­las­te­ten Kapa­zi­tä­ten. So ist sicher­ge­stellt, dass Regie­run­gen ihre Aus­ga­ben nicht in belie­bi­ger Höhe über die Zen­tral­bank finan­zie­ren. Sie haben kei­nen Zugriff auf die sprich­wört­li­che Noten­pres­se. Die – ohne­hin nicht funk­tio­nie­ren­de – Dis­zi­pli­nie­rung durch die Finanz­märk­te wird durch eine abge­stimm­te Finanz­pla­nung ersetzt. Die Finan­zie­rung erfolgt zins­frei und direkt über den Pri­mär­markt. Das ver­hin­dert einen Anstieg der Zin­sen der über den Markt gehan­del­ten Staats­an­lei­hen und der Belas­tung der öffent­li­chen Haus­hal­te. Will man eine zu star­ke Kon­zen­tra­ti­on der Macht bei der EZB ver­mei­den, kann die Abwick­lung der Staats­fi­nan­zie­rung auch an eine von ihr finan­zier­te, neu zu grün­den­de und durch das EU-Par­la­ment kon­trol­lier­te Insti­tu­ti­on übergehen.

Die insti­tu­tio­nel­le Tei­lung der Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz zwi­schen Regie­run­gen und EZB stellt sicher, dass die Finan­zie­rung öffent­li­cher Defi­zi­te durch die Zen­tral­bank kei­ne unkon­trol­lier­te Infla­ti­on aus­löst. Das mone­ta­ris­ti­sche Argu­ment, dass eine Erhö­hung der Zen­tral­bank­geld­men­ge in jedem Fall stark stei­gen­de Prei­se bewirkt, ist falsch. Solan­ge Kapa­zi­tä­ten unter­aus­ge­las­tet sind und die Arbeits­lo­sig­keit hoch ist, bleibt der Preis­auf­trieb nied­rig. Wenn sich die Zen­tral­bank ent­spre­chend ihrem Man­dat auch an sol­chen real­wirt­schaft­li­chen Indi­ka­to­ren ori­en­tiert, ist sicher­ge­stellt, dass die Infla­ti­on nicht über­mä­ßig von ihrem Ziel­wert abweicht. Das Instru­ment der Zen­tral­bank­fi­nan­zie­rung bewirkt auch nicht mehr oder weni­ger Infla­ti­on als tra­di­tio­nel­le geld- und fis­kal­po­li­ti­sche Maß­nah­men. Ob Staats­aus­ga­ben über die EZB oder über die Finanz­märk­te finan­ziert wer­den, spielt für ihre Wir­kung auf die Preis­ent­wick­lung kei­ne Rol­le. Anders als in der heu­ti­gen Situa­ti­on hat die Zen­tral­bank sogar ein Instru­ment mehr, die Kon­junk­tur zu steu­ern. Aktu­ell ist es pro­ble­ma­tisch, dass die EZB mit ihrem – für die gesam­te Euro­zo­ne gel­ten­den – Leit­zins nicht auf die unter­schied­li­che kon­junk­tu­rel­le Lage in ein­zel­nen Staa­ten reagie­ren kann. Mit dem Instru­ment der Staats­fi­nan­zie­rung könn­te das Defi­zit hin­ge­gen in Abspra­che mit den Regie­run­gen für jedes Land maß­ge­schnei­dert werden.

Anspruch auf EZB-Geld sol­len aller­dings nur jene Regie­run­gen haben, die bestimm­te fis­kal­po­li­ti­sche Bedin­gun­gen erfül­len. Die­se bestehen aber nicht aus Ein­schnit­ten in Sozi­al­sys­te­me, Arbeits­rech­te und öffent­li­che Auf­ga­ben, wie sie heu­te in der Euro­zo­ne als Vor­aus­set­zung für ESM-Kre­di­te oder EZB-Garan­tien ver­langt wer­den. Viel­mehr sol­len sich die Regie­run­gen als Gegen­leis­tung ver­pflich­ten, ihre regu­lä­re Ein­nah­men­ba­sis zu stär­ken. Dadurch wird ver­hin­dert, dass sie im gegen­sei­ti­gen Wett­be­werb Steu­ern sen­ken und die feh­len­den Ein­nah­men durch EZB-Geld erset­zen. Mög­li­che Ele­men­te eines sol­chen Steu­er­pakts sind:

  • Ein­hal­tung einer Mindestabgabenquote
  • Ein­hal­tung eines Min­dest­an­teils von Steu­ern auf Ver­mö­gen, Kapi­tal­ein­kom­men und Unter­neh­mens­ge­win­nen am Gesamtaufkommen
  • Voll­stän­di­ge Teil­nah­me an der euro­päi­schen Steu­er­ko­ope­ra­ti­on, um Steu­er­be­trug zu effek­ti­ver zu bekämpfen

Die genau­en Details soll­ten demo­kra­tisch ver­han­delt, beschlos­sen und bei Bedarf ange­passt werden.

Schlussfolgerung

Die Finan­zie­rung öffent­li­cher Defi­zi­te durch die Zen­tral­bank ist eine wirk­sa­me und sinn­vol­le Maß­nah­me zur Kri­sen­be­kämp­fung. Sie eröff­net jedoch auch über die Kri­se hin­aus die Mög­lich­keit, die Finan­zie­rung öffent­li­cher Auf­ga­ben vom Dik­tat der Finanz­märk­te zu befrei­en und die Sta­bi­li­tät des Wirt­schafts­sys­tems zu erhö­hen. Die heu­ti­gen Kräf­te­ver­hält­nis­se in der euro­päi­schen Wäh­rungs­uni­on sind noch weit davon ent­fernt, eine sol­che Art der Finan­zie­rung zuzu­las­sen. Den­noch ist es drin­gend not­wen­dig, das herr­schen­de Tabu zu bre­chen und die Debat­te dar­über in Gang zu bringen.

Literatur

Koo, R. (2009): The Holy Grail of Macroeco­no­mics: Les­sons from Japans Gre­at Reces­si­on. John Wiley & Sons, Singapur.

Ler­ner, A. (1943): Func­tio­n­al Finan­ce and the Federal Debt. Social Rese­arch, Vol. 10(1), S. 38–51.

Wray, R. (2012): Modern Money Theo­ry. A Pri­mer on Macroeco­no­mics for Sov­er­eign Mone­ta­ry Sys­tems. Pal­gra­ve Mac­mil­lan, Lon­don and New York.


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