Good old Daseinsvorsorge – BEIGEWUM

Good old Daseinsvorsorge

am 29. Januar 2015 um 9:50h

Mit­te Jän­ner geht ein Rau­nen durch die sozia­le Sze­ne in Öster­reich – ein bör­sen­no­tier­tes, fran­zö­si­sches Unter­neh­men namens ORPEA hat den öster­rei­chi­schen Alten­heim­be­trei­ber Sen­ecu­ra geschluckt. Damit gehen die etwa 4.000 Bet­ten, das sind 5 % aller Plät­ze in Öster­reich, auf das Kon­to des Kon­zerns, der knapp 56.000 Bet­ten in ganz West­eu­ro­pa betreibt.

Schon län­ger, aber spä­tes­tens seit Über­nah­me der schwei­ze­ri­schen Senevi­ta und der deut­schen Sil­ver Care im Vor­jahr, hat man mit einem Ein­stieg eines gro­ßen Pfle­ge­an­bie­ters in Öster­reich spe­ku­liert. Dass die­ser nun mit Anfang April auf den Plan tritt, befeu­ert die Dis­kus­sio­nen um eine gute Ver­sor­gung von Men­schen im Alter sowie um die Wahl des rich­ti­gen Betrei­bers – sol­len aus­schließ­lich Non-Pro­fit Orga­ni­sa­tio­nen zum Zug kommen?

Ein biss­chen kitzeln

Immer wie­der kommt dabei das Argu­ment, ein biss­chen müs­se man die alt-ein­ge­ses­se­nen Anbie­ter schon kit­zeln, so dass Effi­zi­enz­po­ten­tia­le geho­ben wer­den kön­nen. Ein for­cier­ter Wett­be­werb brin­ge da mehr, als er den Men­schen scha­de. Außer­dem kann mit einer Ver­ga­be an nicht rein-gemein­nüt­zi­ge Betrei­ber, so wird gemun­kelt, den auf­müp­fi­gen NGOs ohne gro­ßes Auf­se­hen die Rute ins Fens­ter gestellt werden.

Dass Wett­be­werb sti­mu­lie­rend wir­ken kann, mag für Berei­che der Pro­duk­ti­on oder Indus­trie gel­ten. Die Erbrin­gung von sozia­le Dienst­leis­tun­gen hin­ge­gen unter­liegt ande­ren Funk­ti­ons­me­cha­nis­men. Bei sol­chen so genann­ten Ver­trau­ens­gü­ter, deren Qua­li­tät nur schwer mess­bar ist, kön­nen unter markt­wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen Anrei­ze für den Betrei­ber ent­ste­hen, die Qua­li­tät zu sen­ken und dar­aus Gewinn zu erwirt­schaf­ten. Dass die Kli­en­tIn­nen die Qua­li­tät der Leis­tung nicht beur­tei­len kön­nen, trägt dazu bei, dass Non-Pro­fit Orga­ni­sa­tio­nen über­haupt ent­stan­den sind. Denn hier liegt das Ver­trau­en in die Leis­tung höher, weil Gewin­ne nicht aus­ge­schüt­tet son­dern re-inves­tiert wer­den. Und die Empi­rie bestä­tigt, dass die Qua­li­tät bei NPOs höher liegt als bei For-Pro­fit Anbietern.

Doch hat die Sicht­wei­se, dass auf­grund der demo­gra­phi­schen Ent­wick­lung ein volu­mi­nö­ser „Markt“ ent­steht, bei dem Gewin­ne mas­siv abge­schöpft wer­den kön­nen, nichts an ihrer schein­ba­ren Fas­zi­na­ti­on ver­lo­ren. Obwohl eigent­lich die anhal­ten­de Spar­kur, die öffent­li­chen Haus­hal­ten seit den 1990er Jah­ren auf­er­legt wur­de, the­ma­ti­siert wer­den müss­te. Denn die Aus­wir­kung auf sozia­le Dienst­leis­tun­gen geht schlei­chend vor sich, meist in Form von nicht valo­ri­sier­ten Kos­ten­bei­trä­gen oder unge­deck­ten Lohn­ab­gel­tun­gen, und birgt so manch Ver­schlech­te­rung in der Versorgung.

Vor­bo­ten…?

Offen bleibt mit die­ser Über­nah­me die Fra­ge, wie die ein­zel­nen Gemein­den, wo die Alten­hei­me ste­hen, reagie­ren wer­den. Auch die Sen­ecu­ra hat, wie gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen, Ver­sor­gungs­auf­trä­ge mit den Bun­des­län­dern und Gemein­den für ihre Hei­me abge­schlos­sen. Die­se garan­tie­ren die Kos­ten­über­nah­me für den Betrieb des Alten- oder Pfle­ge­hei­mes. Dass nun öffent­li­che Gel­der in ein bör­sen­no­tier­tes Unter­neh­men gepumpt wer­den, das wie­der­um mit sei­ner schlag­ar­tig erreich­ten Markt­grö­ße Spiel­re­geln zu beein­flus­sen ver­su­chen wird, wird man­chem Bür­ger­meis­ter Sor­gen bereiten.

Und nicht zuletzt ist frag­lich, wel­che Ände­run­gen der Arbeits­be­din­gun­gen die hun­der­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen zu erwar­ten haben, wenn die Inter­es­sen der share­hol­der stär­ker berück­sich­tigt wer­den als jene der Kli­en­tIn­nen oder öffent­li­cher Verwaltungen.

Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass die­se Über­nah­me kein Ein­zel­fall blei­ben könn­te. Mit TiSA, der zur Zeit noch wenig beach­te­ten „Schwes­ter“ von TTIP, wird zur Zeit an einem Regel­werk gebas­telt, das genau dies ermög­li­chen soll: den Markt­ein­tritt von gro­ßen Kon­zer­nen in Berei­che der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge. Zudem hat die Euro­päi­sche Uni­on in ihrer neu­en Ver­ga­be­richt­li­nie, die in Öster­reich dem­nächst umge­setzt wer­den muss, bereits eine aus­schließ­li­che Ver­ga­be von sozia­len Dienst­leis­tun­gen an gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen fast unmög­lich gemacht. Hier haben sich Befür­wor­te­rIn­nen der Markt­ori­en­tie­rung durchgesetzt.

Stär­kung der Gemeinnützigkeit

Was dage­gen tun? Eine Stär­kung der Gemein­nüt­zig­keit. Und hier ist nicht nur die For­cie­rung neu­er Schlag­wor­te und Model­le, wie etwa sozia­le Inno­va­ti­on oder die Ein­füh­rung einer gemein­nüt­zi­gen Stif­tung gemeint, son­dern das expli­zi­te Bekennt­nis und der Aus­bau der good old Daseins­vor­sor­ge – den sozia­len, gemein­nüt­zi­gen Wohn­bau, das non-pro­fit geführ­te Alten­heim oder die gemein­schaft­lich über Eltern­ver­ei­ne orga­ni­sier­te Kin­der­be­treu­ung. Nur so kann ver­hin­dert wer­den, dass gewinn-gelei­te­te Inter­es­sen unser aller Lebens­qua­li­tät bestimmen.


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