Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011 – BEIGEWUM

Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011

am 6. Mai 2011 um 9:00h

Wie neu­tral ist das BIP? Unter ande­rem die­se Fra­ge wur­de bei der BEI­GEWUM-Podi­ums­dis­kus­si­on „Alter­na­ti­ven zum BIP – wel­che Indi­ka­to­ren für wel­che Gesell­schaft?“ am 4.5. durch­aus kon­tro­ver­si­ell dis­ku­tiert. Kon­rad Pesen­dor­fer (Gene­ral­di­rek­tor Sta­tis­tik Aus­tria) ver­tei­dig­te das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) als wert­freie Addi­ti­on mone­tä­rer Akti­vi­tä­ten, die erst durch ihre Über­hö­hung als Wohl­stands­in­di­ka­tor durch die Poli­tik pro­ble­ma­tisch, weil irre­füh­rend, wer­de. Dem­ge­gen­über beton­ten Katha­ri­na Mader (Wirt­schafts­uni­ver­si­tät, BEIGEWUM) und Ulrich Brand (Poli­tik­wis­sen­schafts-Pro­fes­sor Uni Wien) die intrinsisch poli­ti­sche Qua­li­tät von Indi­ka­to­ren. „Kenn­zif­fern­fra­gen sind Macht­fra­gen“ lau­tet denn auch der Titel eines Bei­trags im aktu­el­len Kurs­wech­sel 1/​2011, der bei der Ver­an­stal­tung vor­ge­stellt wurde.

Der­zeit gibt es inter­na­tio­nal eine Debat­te um neue Wohl­stands­in­di­ka­to­ren, die das BIP ergän­zen oder ablö­sen sol­len, wie Kon­rad Pesen­dor­fer erläu­ter­te. Als wich­ti­ge Weg­mar­ke gilt der von Frank­reichs Prä­si­dent Sar­ko­zy beauf­trag­te Stiglit­z/­Sen/­Fi­tous­si-Bericht, der in drei Gebie­ten Anpas­sun­gen vor­schlägt (Ergän­zung des Pro­duk­ti­ons-Blick­win­kels des BIP durch eine Betrach­tung der Lage von Haus­hal­ten; Mes­sung von Lebens­qua­li­tät; Mes­sung von Nach­hal­tig­keit). Im Anschluss dar­an sind auch EU und OECD aktiv bei der Suche nach neu­en Indi­ka­to­ren. In Öster­reich arbei­tet die Sta­tis­tik Aus­tria dar­an, auf Basis bestehen­der Daten sol­che Indi­ka­to­ren bereit­zu­stel­len. Aus dem Publi­kum wur­de zudem auf das Indi­ka­to­ren­set nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung in Öster­reich hingewiesen.

Bei den Indi­ka­to­ren anzu­set­zen wer­te­te Mader als Ver­such, das Pferd ver­kehrt her­um auf­zu­zäu­men. Zuerst brau­che es eine neue Wirt­schafts­theo­rie und Debat­te dar­über, was gesell­schaft­lich wich­tig, was wirt­schaft­lich sinn­vol­le Akti­vi­tät und wie der Zusam­men­hang zwi­schen Wirt­schaft und Lebens­qua­li­tät sei, erst dar­aus abge­lei­tet kön­ne sinn­voll über Indi­ka­to­ren dis­ku­tiert wer­den. Die Aus­blen­dung der Haus­ar­beit im BIP und die damit ver­knüpf­ten geschlech­ter­po­li­ti­schen Fra­gen nann­te Mader als zen­tra­les Bei­spiel. Die Fra­ge, was gemes­sen wer­de und ob aus Mes­sun­gen auch (wirtschafts)politische Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den, sei eine Fra­ge gesell­schaft­li­cher Macht, und kei­ne tech­ni­sche Fra­ge der Erfin­dung von Indi­ka­to­ren. Die BIP-Debat­te blen­de gesell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nis­se und die Grund­tat­sa­che eines Wirt­schafts­sys­tems aus, das auf Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on basiert, so Brand.

Dies wur­de in der Dis­kus­si­on auf­ge­grif­fen, als die Fra­ge the­ma­ti­siert wur­de, was eine Erfin­dung neu­er Indi­ka­to­ren dage­gen aus­rich­ten kön­ne, dass in der EU-Leit­stra­te­gie für die nächs­ten Jah­re, „EU 2020“, bereits zen­tra­le Indi­ka­to­ren vor­ge­ge­ben seien.

Reduk­ti­on oder Breite?

Brand wies dar­auf hin, dass es bereits zahl­rei­che alter­na­ti­ve Indi­ka­to­ren gebe (Gini Koef­fi­zi­ent für Ver­tei­lung, Human Deve­lo­p­ment Index, Hap­py Pla­net Index, öko­lo­gi­scher Ruck­sack, Gute Arbeit Indi­ka­tor etc.), so dass die Arbeit nicht bei Null begin­nen müs­se. Eine Viel­zahl von Indi­ka­to­ren sei wich­tig, um die Brei­te gesell­schaft­li­cher Pro­ble­me im Blick zu behal­ten, statt wie im BIP zahl­rei­che Aspek­te aus­zu­blen­den. So füh­re z.B. die „BIP-Bril­le“ in der Wirt­schafts­po­li­tik dazu, dass etwa nur an markt­för­mi­ge, wachs­tums­freund­li­che Lösun­gen der öko­lo­gi­schen Kri­se gedacht wer­de. Dem­ge­gen­über beton­te Pesen­dor­fer, dass es wich­tig sei, die Brei­te auf weni­ge Leit­in­di­ka­to­ren ein­zu­schrän­ken, die dafür eine umso brei­te­re Öffent­lich­keit errei­chen könnten.

Fotos zur Ver­an­stal­tung: Fach­buch­hand­lung des ÖGB-Verlags


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