Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs – BEIGEWUM

Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs

am 24. April 2011 um 20:23h

Im März ließ die bri­ti­sche Zei­tung Sunday Times vier Abge­ord­ne­te auf­flie­gen, die für in Aus­sicht gestell­te Bezah­lung Geset­zes­vor­schlä­ge im EU-Par­la­ment ein­ge­bracht hat­ten. In einer Under­co­ver-Recher­che hat­ten sich Jour­na­lis­tIn­nen der Zei­tung als Lob­by­is­tIn­nen aus­ge­ge­ben und Abge­ord­ne­ten Bera­ter­jobs in einer erfun­de­nen Lob­by-Fir­ma ange­bo­ten – für 100.000 Euro jähr­lich. Auf heim­lich gedreh­ten Vide­os wur­de ver­öf­fent­licht, wie der ex-Außen­mi­nis­ter Ernst Stras­ser, der Rumä­ne Adri­an Seve­rin, der Slo­wa­ke Zor­an Tha­ler und der Spa­ni­er Pablo Zal­ba Bide­gain dar­auf eingingen.

Tha­ler und Stras­ser sind nach den Ver­öf­fent­li­chun­gen zurück getre­ten. Seve­rin wur­de aus der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Frak­ti­on aus­ge­schlos­sen, klebt aber an sei­nem Par­la­ments­sitz. Eben­so Zal­ba Bide­gain. Die Kon­ser­va­ti­ven ver­tei­di­gen den Spa­ni­er, der gar kein Geld ange­nom­men hät­te. Dabei zeigt das Sunday Times Video deut­lich, dass Zal­ba alles ande­re als abge­neigt war.

Der bis­her größ­te Lob­by­skan­dal der EU-Geschich­te hat in Brüs­sel Schock­wel­len aus­ge­löst. Und eine brei­te Debat­te über Kor­rup­ti­on und die Rol­le von Lob­by­is­ten im EU-Sys­tem. Die­se Woche tag­te erst­mals eine von Par­la­ments­prä­si­dent Buzek ein­ge­setz­te Arbeits­grup­pe, um einen strik­ten Ver­hal­tens­ko­dex für EU-Abge­ord­ne­te zu erarbeiten.

Der ist bit­ter nötig. Allein die Tat­sa­che, dass fast 25% der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen, die die Under­co­ver-Jour­na­lis­tIn­nen der Sunday Times kon­tak­tiert haben (14 von ins­ge­samt 60) ernst­haft an ihrem Ange­bot inter­es­siert waren, zeigt, dass im EU-Par­la­ment die Gren­ze zwi­schen gewähl­ten Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen und bezahl­tem Lob­by­is­mus längst ver­schwom­men ist.

Lukra­ti­ve Nebentätigkeiten

Auch, dass vor dem Sunday Times Skan­dal kaum jemand ein Pro­blem damit hat­te, dass Stras­ser neben sei­ner Abge­ord­ne­ten­tä­tig­keit hun­dert­tau­sen­de Euros als Indus­trie-Lob­by­ist ver­dien­te, gibt zu den­ken. Bereits im Febru­ar gab es Gerüch­te, dass der Abge­ord­ne­te Tref­fen zwi­schen der EU-Kom­mis­si­on und Unter­neh­men ein­fä­del­te. Damals stritt er das schlicht ab und die Sache war vom Tisch. Im Sunday Times Video ist er dage­gen ganz offen: “Na klar bin ich Lob­by­ist”. Und ein beson­ders guter dazu, denn als Abge­ord­ne­ter kön­ne er eben leicht Türen öffnen.

Tat­säch­lich gibt es im Euro­pa­par­la­ment bis­her kei­ne Regeln, die Par­la­men­ta­rie­rIn­nen ver­bie­ten, neben­her Lob­by­is­mus zu betrei­ben. Kürz­lich ent­hüll­te ein Reu­ters-Arti­kel Neben­jobs einer Rei­he pro­mi­nen­ter Abge­ord­ne­ter, bei denen Inter­es­sen­kon­flik­te mit ihrer Tätig­keit im Par­la­ment auf der Hand lie­gen. Der deut­sche Christ­de­mo­krat Klaus-Hei­ner Leh­ne ist z.B. Part­ner der Anwalts­kanz­lei Tay­lor Wes­sing. Und EU Vete­ran Elmar Brok steht auf der Gehalts­lis­te des Medi­en-Gigan­ten Ber­tels­mann. Bei­de Unter­neh­men lob­by­ie­ren die EU-Institutionen.

Nicht sel­ten bekom­men Abge­ord­ne­te die Feder­für­hung zu einem The­ma, bei dem sie auf­grund ihrer Neben­jobs einen kla­ren Inter­es­sen­kon­flikt haben. Im letz­ten EU-Par­la­ment setz­te sich der bri­ti­sche Abge­ord­ne­te John Pur­vis als Bericht­erstat­ter zu Hedge Funds ein für deren laxe Regu­lie­rung. Gleich­zei­tig war Pur­vis Vor­sit­zen­der des bri­ti­schen Able­gers eines Schwei­zer Unter­neh­mens, das in Hedge Funds investierte.

Durch die Dreh­tür… und zurück

Als er aus dem Par­la­ment aus­schied, wech­sel­te Pur­vis zur Lob­by-Fir­ma Cabi­net DN, als Exper­te für Finanz­markt­an­ge­le­gen­hei­ten. Er ist nur einer von vie­len ehe­ma­li­gen Abge­ord­ne­ten, die durch die Dreh­tür von der Poli­tik in die Lob­by-Indus­trie gewech­selt haben.

Auch Hubert Pir­ker, Strasser’s Nach­fol­ger im Euro­pa­par­la­ment, war schon ein­mal Abge­ord­ne­ter bevor er sei­ne Lob­by­fir­ma EU-Tricon­sult auf­mach­te – die er als neu­er Abge­ord­ne­ter nun angeb­lich wie­der zuge­macht hat.

Bei einer der­art gut geöl­ten Dreh­tür zwi­schen Euro­pa­par­la­ment und der Lob­by­in­dus­trie stellt sich ganz grund­sätz­lich die Fra­ge, ob die Brüs­se­ler Abge­ord­ne­ten im öffent­li­chen Inter­es­se Poli­tik machen – oder poten­ti­el­len zukünf­ti­gen Arbeit­ge­bern ger­ne mal einen Gefal­len tun.

Flie­ßen­de Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Korruption

Das deu­tet bereits an, dass die Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Kor­rup­ti­on flie­ßend ist. Dar­auf hat jüngst der schwe­di­sche EU-Par­la­men­ta­ri­er Carl Schly­ter hin­ge­wie­sen. In einem Inter­view ver­ur­teil­te er die Pra­xis, Geset­zes­an­trä­ge für Geld ein­zu­brin­gen als “wider­lich”. Aller­dings sei sie die Aus­nah­me. Denn: “Die meis­ten Abge­ord­ne­ten rei­chen Ände­rungs­an­trä­ge für ande­re umsonst ein. Ich weiß nicht, was schlim­mer ist. Was am Ende beschlos­sen wird, ist das Glei­che.” Schly­ter sieht im Lob­by­is­mus daher eine der Haupt­ur­sa­chen für schlech­te EU-Politik.

Auch ande­re Abge­ord­ne­te haben sich in den letz­ten Wochen dafür aus­ge­spro­chen, den Ein­fluss von Kapi­tal­in­ter­es­sen auf die EU-Poli­tik zurück zu drän­gen. Und Abge­ord­ne­ten die zulas­sen, dass die Kapi­tal­sei­te in Brüs­sel stän­dig den Poli­tik­pro­zess kapert, die Stirn zu zei­gen. Die nächs­ten Mona­te wer­den zei­gen, ob sich für ihre Posi­ti­on eine Mehr­heit fin­den lässt.


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