Schopenhauer und die Tobin Tax – BEIGEWUM

Schopenhauer und die Tobin Tax

am 15. September 2009 um 18:05h

Durch die Ant­wort des für Steu­ern zustän­di­gen EU-Kom­mis­sars László Kovács auf die Anfra­ge der öster­rei­chi­schen grü­nen EU-Abge­ord­ne­ten Ulri­ke Lun­acek scheint der Höhe­punkt der Schopenhauer’schen zwei­ten Pha­se, die eine gute Idee durch­läuft, erreicht wor­den zu sein: als Unsinn wird die Idee einer Finanz­trans­ak­ti­ons­be­steue­rung näm­lich nicht mehr abge­tan, son­dern auf das hef­tigs­te bekämpft. In der drit­ten Pha­se wird sie ein­ge­führt. Dabei bedient sich Kovács erstaun­lich oft gän­gi­ger Argu­men­te. Das soll­te die­je­ni­gen, die sich schon län­ger und gründ­li­cher mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen, opti­mis­tisch stimmen.

Es ist, so wie meis­tens beim The­ma Steu­ern, zu beob­ach­ten, dass auch bei der Finanz­trans­ak­ti­ons­be­steue­rung ideo­lo­gi­sche Hal­tun­gen als poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und recht­li­che Argu­men­ta­tio­nen getarnt daher­kom­men. Auch Ste­phan Schul­meis­ter ord­net die pro- und con­tra-Argu­men­te in der Dis­kus­si­on um die Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­ern unter­schied­li­chen Welt­bil­dern zu, die jeweils von unter­schied­li­chen Annah­men über Erwar­tungs­bil­dung und Ver­hal­ten auf Finanz­märk­ten aus­ge­hen. (1) Dem­nach kann es soweit gehen, dass Spe­ku­la­ti­on einer­seits als „ein unver­zicht­ba­res Ele­ment der Preis­bil­dung“ gese­hen wird, obwohl aus der Empi­rie her­vor­geht, dass genau wegen einem Über­maß an kurz­fris­ti­ger Spe­ku­la­ti­on sich die Akti­en- und Wech­sel­kur­se oder die Roh­stoff­prei­se von ihrem „natür­li­chen“ Gleich­ge­wicht entfernen.

Fol­ge­rich­tig wird von einer Sei­te die ein­dämp­fen­de Wir­kung einer noch so gerin­gen Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er gera­de auf die kurz­fris­ti­gen Spe­ku­la­tio­nen betont, und von der ande­ren Sei­te wird die Gefähr­dung der Liqui­di­tät der Märk­te heraufbeschworen.

Auch Kovács bedient sich einer ein­sei­ti­gen öko­no­mi­schen Lite­ra­tur, wenn er mit den oben geschil­der­ten Argu­men­ten gegen die Ein­füh­rung einer Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er ein­tritt. Zudem sind Kovács‘ Quel­len ver­al­tet und er lässt vie­le aktu­el­le Model­le außer Acht – u. a. das vom WIFO, das aber aus der Dis­kus­si­on über die Finanz­trans­ak­ti­ons­be­steue­rung nicht mehr weg­zu­den­ken ist.(2)

Kovács‘ Befürch­tun­gen hin­sicht­lich des Scha­dens, der die Ein­füh­rung der Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er in der Real­wirt­schaft anrich­ten könn­te, über­zeu­gen ein­fach nicht mehr wie frü­her, weil man inzwi­schen den Scha­den kennt, der durch die immer inno­va­ti­ver wer­den­den Finanz­pro­duk­te und durch die Spe­ku­la­tio­nen, die kei­ne Ent­spre­chung in der rea­len Wirt­schaft haben, ange­rich­tet wurde.

Die­se total ableh­nen­de Hal­tung gegen­über der Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er zeugt zum Teil daher, dass die­se als das All­heil­mit­tel in der Finanz­kri­se prä­sen­tiert und somit ein bewusst fal­sches Bild geschaf­fen wird. Dem ist aber nicht so. Das Mit­tel der Besteue­rung wäre nicht da, um die Finanz­markt­auf­sicht und ‑regu­lie­rung zu erset­zen, son­dern um die­se zu ergän­zen. Dabei soll­ten die­se Steu­ern die Kom­mis­si­on aus einem ganz ande­ren Grund sehr wohl inter­es­sie­ren: Das Auf­kom­men, das gene­riert wer­den könn­te, könn­te die Euro­päi­sche Uni­on gut gebrau­chen – gera­de in einer Pha­se, wo Gedan­ken dar­über gemacht wer­den, wie das Bud­get refor­miert wer­den könn­te. Der Vor­teil dabei ist auch, dass die­se Steu­ern – im Gegen­satz zu ande­ren Umsatz­steu­ern, die haupt­säch­lich regres­si­ve Wir­kun­gen ent­wi­ckeln – zu den pro­gres­si­ven Steu­ern gehö­ren wür­den, ohne dass man beim Tarif all­zu krea­tiv sein muss. Die unglei­che Ver­tei­lung des Wert­pa­pier­be­sit­zes müss­te schon dafür sorgen.

Wei­ters bedient sich die Kom­mis­si­on recht­li­cher Argu­men­ta­tio­nen. Aller­dings ist auch die­ses Gebiet – vor allem im EU-Kon­text – nicht frei von Wider­sprü­chen, und so ste­hen Richt­li­ni­en, die eine Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er unter­bin­den, ande­re gegen­über, die eine Har­mo­ni­sie­rung diver­ser ande­rer Steu­ern anstre­ben, sei es im Bereich der Mehr­wert­steu­er, sei es die Zins­be­steue­rung, oder die Unter­neh­mens­be­steue­rung. Einer Har­mo­ni­sie­rung der in diver­sen euro­päi­schen Län­dern bestehen­den Besteue­rungs­for­men auf den Ver­kehr bzw. Umsatz von Wert­pa­pie­ren steht sich somit nur die Kom­mis­si­on sel­ber im Weg.

So wie Igna­cio Ramo­net in sei­nem berühm­ten Le Mon­de-Arti­kel schon im Jahr 1997 schrieb: Es ist eine „Demü­ti­gung der Natio­nal­staa­ten“ – und zu heu­ti­ger Zeit wür­de man sagen, eine Demü­ti­gung auch der Euro­päi­schen Uni­on – „als die maß­geb­li­chen Garan­ten von Demo­kra­tie und All­ge­mein­wohl, dass sich die Finanz­märk­te längst einen eige­nen Staat geschaf­fen haben, einen supra­na­tio­na­len Staat, der über eige­ne Appa­ra­te, eige­ne Bezie­hungs­flech­te und eige­ne Hand­lungs­mög­lich­kei­ten ver­fügt.“ (3) Und das soll­te Herrn Kovács, die Kom­mis­si­on und die Euro­päi­sche Uni­on Sor­ge berei­ten und dazu anlei­ten, in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung zu steu­ern. Nicht umgekehrt.


Anmer­kun­gen

(1) Schul­meis­ter, Ste­phan, Han­dels­dy­na­mik und Preis­schwan­kun­gen auf Finanz­märk­ten und das Sta­bi­li­sie­rungs­po­ten­ti­al einer Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er, WIFO Monats­be­rich­te 8/​2008, 608f.

(2) Schul­meis­ter, St., Schrat­zen­stal­ler, M., Picek, O., A Gene­ral Finan­cial Tran­sac­tion Tax. Moti­ves, Reve­nues, Fea­si­bi­li­ty and Effects, WIFO, Wien, 2008.

(3) Ramo­net, Igna­cio (1997) Die Märk­te ent­schär­fen. in: Le Mon­de diplo­ma­tique Nr.5406, 12.

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Ein Kommentar:

  1. beat am 15.September 2009 um 18:23h

    Lei­der nicht mehr kos­ten­frei ver­füg­bar: Mar­tin Wolfs pro-Tobin­Tax-Schwenk, im Gefol­ge von UK-Finanz­auf­se­her Tur­ner: Die Tobin­steu­er redu­zie­re zwar Liqui­di­tät, aber das sei gar nicht so schlecht, weil zu viel Liqui­di­tät die Anle­ger dazu ver­lei­te, ihre Invest­ments nicht genau zu prü­fen, weil sie sich dar­auf ver­las­sen, sie jeder­zeit ver­kau­fen zu kön­nen. Die desas­trö­sen Kon­se­quen­zen so einer Situa­ti­on hät­ten sich in der Kri­se gezeigt.


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