Christian Marazzi: „Finance as a real economy“ – Bericht – BEIGEWUM

Christian Marazzi: „Finance as a real economy“ – Bericht

am 13. Mai 2009 um 12:47h

Bei einem Vor­trag am 4.5.09 in Wien sprach der post­ope­rais­ti­sche Öko­nom Chris­ti­an Maraz­zi (Pro­fes­sor an der Hoch­schu­le der ita­lie­ni­schen Schweiz und Autor von Büchern wie „Fetisch Geld. Wirt­schaft, Staat, Gesell­schaft im mone­ta­ris­ti­schen Zeit­al­ter“ und „Capi­tal and Lan­guage. From the New Eco­no­my to the War Eco­no­my“) über das Ver­hält­nis von Finanz- und Real­wirt­schaft. Frü­her sei­en Finanz­bla­sen am Ende von Kon­junk­tur­zy­klen auf­ge­tre­ten, und sei­en somit aus mar­xis­ti­scher Sicht als Aus­druck von Ver­wer­tungs­pro­ble­men im Real­sek­tor auf­ge­fasst wor­den: Dem­nach flüch­te über­schüs­si­ges Kapi­tal in den Finanz­sek­tor, und füh­re dort zu Ver­mö­gens­preis­in­fla­ti­on, bis die Bla­se schließ­lich platzt. In die­sem Kon­text sei zu Recht von Ent­kop­pe­lung von Finanz- und Real­sphä­re die Rede.
Die­se Ana­ly­se sei für die Peri­ode des For­dis­mus tref­fend gewe­sen, so Maraz­zi, mitt­ler­wei­le habe sich aber ein Wan­del zu einem post­for­dis­ti­schen Akku­mu­la­ti­ons­re­gime durch­ge­setzt, wo Finanz­we­sen und Real­wirt­schaft enger mit­ein­an­der ver­wo­ben sind. Post­for­dis­ti­sche Pro­duk­ti­on sei durch die fort­schrei­ten­de Aus­la­ge­rung des Wert­schöp­fungs­pro­zes­ses aus den Unter­neh­men gekenn­zeich­net. Unter­neh­men im fort­schrei­ten­den Bereich imma­te­ri­el­ler Pro­duk­te über­las­sen das Pro­du­zie­ren ande­ren und kon­zen­trie­ren sich aufs Koor­di­nie­ren und die Abschöp­fung von Wert, der außer­halb ihrer selbst pro­du­ziert wird – von schlecht bezahl­ten Free­lan­cern, oder gar gra­tis von Kon­su­men­ten, die durch ihr Feed­back Ideen zur Pro­dukt­ent­wick­lung bei­steu­ern und ent­schei­den­de Hand­grif­fe selbst bei­steu­ern (das Modell you­tube) bzw. deren selbst­ge­schaf­fe­ne Kul­tur ver­ein­nahmt und kom­mer­zi­ell ver­mark­tet wird (Life­style-Pro­duk­te). Das Finanz­we­sen spielt zum Funk­tio­nie­ren die­ses Modells eine ent­schei­den­de Rol­le. Ers­tens spielt die finan­zi­el­le Steue­rung der Unter­neh­men eine zen­tra­le Rol­le für das Out­sour­cing (Share­hol­der Value-Ori­en­tie­rung führt zu Druck auf Unter­neh­mens­ver­schlan­kung). Zwei­tens schließt der Kon­su­men­ten­kre­dit die Lücke zwi­schen gerin­gen Lohn­ein­kom­men und der not­wen­di­gen Kauf­kraft für den Konsum.
In der Aus­wei­tung der Pri­vat­ver­schul­dung kom­me auch ein eigen­sin­ni­ger Anspruch auf einen Lebens­stan­dard der Pri­vat­haus­hal­te zum Aus­druck, eine Ver­wei­ge­rung von Beschei­den­heit und Zufrie­den­heit mit einem kar­gen Lohn, was als eine Art Aus­druck des Klas­sen­kamp­fes unter Bedin­gun­gen des Post­for­dis­mus inter­pre­tiert wer­den kön­ne, der sich ansons­ten vor allem in der Ver­tei­di­gung von Gemein­gü­tern gegen Pri­va­ti­sie­rung manifestiere.
Die aktu­el­le Kri­se führt zu einem Weg­bre­chen der kre­dit­ge­stütz­ten Nach­fra­ge, ohne die das Sys­tem nicht läuft. 
Die Redi­men­sio­nie­rung und Ein­schrän­kung des Finanz­sek­tors und damit des Kre­dits allein sei die fal­sche Ant­wort auf die Kri­se, weil damit der Kre­dit als (pri­va­ti­sier­te Form der) Arti­ku­la­ti­on und Finan­zie­rung von sozia­len Ansprü­chen zer­schla­gen wer­de, ohne dass ein Ersatz ange­bo­ten wür­de. Auf­grund der Zer­schla­gung des öffent­li­chen Sek­tors und Wohl­fahrts­staa­tes etwa sei ohne Stu­di­en­kre­dit von den pri­va­ten Haus­hal­ten kei­ne Bil­dung zu finanzieren. 
Um aus der Kri­se zu kom­men, müss­te man die Pri­vat­ver­schul­dung erset­zen durch ein Recht auf ein Sozi­al­ein­kom­men, also umver­tei­len. Für die unmit­tel­ba­re Lösung des Pro­blems der „toxic assets“ der Ban­ken sei die Refi­nan­zie­rung der Immo­bi­li­en­kre­dit­schuld­ner der bes­te Weg.

2 Kommentare:

  1. kurtbayer am 22.Mai 2009 um 18:59h

    Ich bit­te, mein Nicht­wis­sen zu ent­schul­di­gen, aber: was ist ein post­ope­rais­ti­scher Ökonom?

  2. beat am 23.Mai 2009 um 10:50h

    Man ver­zei­he mei­ne kryp­ti­schen Adjek­ti­ve… Kurz gesagt: Ope­rais­mus = Ita­li­en­stäm­mi­ger Theo­rie­an­satz, der die Bedeu­tung sozia­ler (v.a.Arbeits-)Kämpfe für die kapi­ta­lis­ti­sche Ent­wick­lung betont. Post-Ope­rais­mus = Wei­ter­ent­wick­lung die­ses Ansat­zes durch Ver­knüp­fung mit fran­zö­si­schen Theo­rie­an­sät­zen (Fou­cault etc.). Eine zen­tra­le The­se: „Imma­te­ri­el­le Arbeit“ wird im Post­for­dis­mus wich­ti­ger.. Vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Operaismus


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