Lohnpolitik – BEIGEWUM

Stichwort: Lohnpolitik


„Wage moderation“, die lohnpolitische Obsession der EU

Oktober. 6th 2011 — 10:17

Jetzt fehlt gera­de noch, dass der öko­no­mi­sche Main­stream die Lohn­po­li­tik der Gewerk­schaf-ten für die Finanz­kri­se ver­ant­wort­lich macht! Denn nach­dem die mehr­heit­lich kon­ser­va­ti­ven Staa­ten­len­ke­rin­nen in der Uni­on sich gegen­über dem pene­tran­ten Lob­by­ing der Bank- und Hedge­fonds­ma­na­ger à la Acker­mann offen­sicht­lich nicht zur Wehr setz­ten kön­nen, wen­det sich die EU wie­der ihren bei­den Lieb­lings­the­men zu: neben dem Spa­ren sind das die so ge-nann­ten Struk­tur­re­for­men, die Lohn­fin­dungs­sys­te­me im Spe­zi­el­len. Dabei wird zum Schein eine tech­ni­sche Debat­te geführt, im Hin­ter­grund geht es jedoch um Inter­es­sen und Ideo­lo-gien, so simp­le. Aber der Rei­he nach.
Mit­te Sep­tem­ber 2011 fand in Brüs­sel eine Exper­tIn­nen-Kon­fe­renz zum The­ma „Wage trends in Euro­pe“ statt. Weil das Tref­fen von der Gene­ral­di­rek­ti­on Beschäf­ti­gung ver­an­stal­tet wur­de, war für Aus­ge­wo­gen­heit auf den Panels und in den Work­shops gesorgt: einem Ge-werk­schafts-Ver­tre­ter folg­te einer von der Arbeit­ge­ber­sei­te, einem Red­ner der Gene­ral­di-rek­ti­on Wirt­schaft und Finan­zen einer von der Beschäf­ti­gungs­sei­te, usw. So kamen vie­le in-ter­es­san­te Argu­men­te zu Wort, nur mit­ein­an­der gere­det und dis­ku­tiert wur­de nicht. Das ist aber nicht wei­ter von Bedeu­tung, denn was wirt­schafts­po­li­tisch Sache ist in der EU, das be-stim­men ohne­hin noch immer die FinanzministerInnen!
Im Kern ging es um zwei Fra­gen: (1) In wel­chem Zusam­men­hang steht die Ent­wick­lung von Löh­nen und Gehäl­tern mit der Wett­be­werbs­fä­hig­keit? Seit M. Por­ter wis­sen wir, dass die­se von vie­len Fak­to­ren wie den ört­li­chen Stand­ort­be­din­gun­gen (Infra­struk­tur, Aus­bil­dungs- und Tech­no­lo­gie­stan­dards, Fleiß und Prä­zi­si­on der Mit­ar­bei­te­rIn­nen), den Nach­fra­ge­ver­hält­nis-sen und der Wett­be­werbs­in­ten­si­tät am Heim­markt, etc. abhängt; die Lohn­hö­he ist dabei nur eine Grö­ße unter vie­len! Den­noch schielt die EU-KOM in ihren wirt­schafts­po­li­ti­schen Emp-feh­lun­gen, aber auch beim so genann­ten Scoreboard im Rah­men des neu­en „Exces­si­ve Im-balan­ce Pro­ce­du­re“ bei­na­he aus­schließ­lich auf die Arbeits­kos­ten. Dabei sind die Zusam-men­hän­ge zwi­schen der Ent­wick­lung von Löh­nen, Prei­sen, Pro­duk­ti­vi­tät, Real­zin­sen und dem Wachs­tum von Expor­ten, Inlands­nach­fra­ge, BIP und Beschäf­ti­gung wie so oft in der Öko­no­mie alles ande­re als klar – das zeigt auch ein Blick auf die tat­säch­li­che Ent­wick­lung ver­schie­de­ner Län­der in ver­schie­de­nen Peri­oden. Allei­ne der Haus­ver­stand wür­de einem schon sagen, dass bei der Fra­ge, wodurch ein Unter­neh­men erfolg­reich auf den Export­märk-ten ist, das Nied­rig-Hal­ten von Löh­nen viel­leicht nicht gera­de eine inno­va­ti­ve Vor­wärts­stra-tegie genannt wer­den kann. Der Export­welt­meis­ter Deutsch­land ist v. a. des­halb erfolg­reich, weil er die stark gestie­ge­ne Import­nach­fra­ge der Schwel­len­län­der mit qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti-gen Pro­duk­ten bedie­nen kann. Die jah­re­lan­ge Lohn­zu­rück­hal­tung in Deutsch­land, aber auch in Öster­reich, wirkt dabei unter­stüt­zend, ist aber nicht ent­schei­dend! Wen­det man die so genann­te „Gol­den Rule“ (frü­her hieß sie „Benya-For­mel“) an – die Nomi­nal­löh­ne sol­len im Aus­maß von Pro­duk­ti­vi­tät und Infla­ti­ons­ziel stei­gen –, dann hat sich Öster­reich seit Beginn der Wäh­rungs­uni­on einen 10%igen Wett­be­werbs­vor­teil ergat­tert, Deutsch­land gar über 17%. Aber bei die­ser Betrach­tung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit sind die Vor­tei­le der einen (DT, Ö) eben die Nach­tei­le der ande­ren (GR, ITA, ESP, P); soviel zum The­ma euro­päi­sche Solidari-tät.
Die zwei­te zen­tra­le Fra­ge­stel­lung der Kon­fe­renz bezog sich dar­auf, wie die unglei­cher wer-den­de Ver­tei­lung ein­zu­schät­zen sei? Hier ist mitt­ler­wei­le die Fak­ten­la­ge der­art ein­deu­tig, dass selbst die hart­ge­sot­te­nen Öko­no­men der OECD (wie Ste­fa­no Scar­pet­ta) fest­stel­len muss­ten: „While over­all redis­tri­bu­ti­on has incre­a­sed, this was not enough to off­set gro­wing mar­ket-inco­me ine­qua­li­ty.“ Die Daten der OECD zei­gen ein­deu­tig, dass in der über­wie­gen­den Mehr­zahl der Indus­trie­län­der die Ein­kom­mensun­gleich­heit in den letz­ten 25 Jah­ren grö­ßer gewor­den ist. Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Lage wahr­schein­lich noch wesent­lich dra­ma­ti­scher ist, weil: die Qua­li­tät der Daten noto­risch schlecht ist, etwa bei den Ein­kom­men der Selbst­stän­di­gen; und weil sich die Ungleich­ver­tei­lung bei den Ver­mö­gen noch wesent­lich dra­ma­ti­scher dar­stellt. Die­se Ein­sich­ten zur neu­en Ver­tei­lungs­fra­ge blei­ben jedoch in der EU fol­gen­los, ganz im Gegen­satz zu den unzäh­li­gen Emp­feh­lun­gen und Mah­nun­gen zur Lohn­zu­rück­hal­tung. Nicht zuletzt an die­ser Stel­le wird sicht­bar, wie ideo­lo­gisch der Dis­kurs bis dato geführt wird. Prag­ma­tisch wäre anders.
Ange­sichts der Ein­sei­tig­keit der Kon­tro­ver­se und der begin­nen­den Herbst­lohn­run­de hier­zu-lan­de liegt fol­gen­der Schluss nahe: Um sich selbst, aber auch den grie­chi­schen Kol­le­gIn­nen zu hel­fen, soll­ten die öster­rei­chi­schen Gewerk­schaf­ten höhe­re Lohn­ab­schlüs­se als in der Ver­gan­gen­heit durch­set­zen. Das wäre doch ein ver­nunft­ge­lei­te­ter Bei­trag zur Lage in Öster-reich und in der EU

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