BEIGEWUM – BEIGEWUM

Stichwort: BEIGEWUM


25 Jahre BEIGEWUM

November. 29th 2010 — 19:20

In den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren haben sich die öko­no­mi­schen, gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Zustän­de gra­vie­rend ver­än­dert – und mit ihnen auch das Selbst­ver­ständ­nis und die Auf­ga­ben des BEIGEWUM. Anläss­lich sei­nes 25-jäh­ri­gen Geburts­ta­ges dis­ku­tier­ten Bri­git­te Unger (Depart­ment of Public Sec­tor Eco­no­mics, Utrecht Uni­ver­si­ty School of Eco­no­mics), Karin Fischer (Abtei­lung für Poli­tik- und Ent­wick­lungs­for­schung am Insti­tut für Sozio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Linz), Jörg Fle­cker (FORBA – For­schungs- und Bera­tungs­stel­le Arbeits­welt), Gun­du­la Lud­wig (Zen­trum für Gen­der Stu­dies und femi­nis­ti­sche Zukunfts­for­schung der Uni­ver­si­tät Mar­burg) und Heinz Stei­nert (em. Insti­tut für Gesell­schafts- und Poli­tik­ana­ly­se, Uni­ver­si­tät Frank­furt) gemein­sam mit Beat Weber (BEIGEWUM) die­se Ver­än­de­run­gen unter der Fra­ge: „Wel­ches Wis­sen gegen die Krise?“.

„Nie war der Krieg zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen grö­ßer als jetzt“

In der Key Note Speak stell­te Bri­git­te Unger über­blicks­ar­tig die Ände­run­gen seit den 1980er Jah­ren dar: vom stär­ker wer­den­den Neo­li­be­ra­lis­mus und dem „abhe­ben“ der Finanz­märk­te bis zur heu­ti­gen Situa­ti­on, in der die öko­no­mi­schen Varia­blen (wie Ein­kom­mens­ver­tei­lung, Arbeits­lo­sig­keit und Leis­tungs­bi­lan­zen) soweit aus­ein­an­der­klaf­fen wie nie zuvor. Im Bereich der Wis­sen­schaf­ten wei­sen zwar auch füh­ren­de Öko­no­men, wie Krug­man oder Stiglitz, auf die star­ken Ungleich­hei­ten hin, den­noch ist der Kampf zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen noch stär­ker als vor der Kri­se. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein Fach­in­for­ma­tio­nen für die Öffent­lich­keit zu „über­set­zen“. Heu­te gilt es ins­be­son­de­re finanz­tech­ni­sche Fra­gen zu „ent­zau­bern“ und in poli­ti­sche Fra­gen zu „über­set­zen“.

Die Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus relativieren“
Heinz Stei­nert mach­te deut­lich, dass es unse­re Auf­ga­be ist und bleibt zu zei­gen, dass man „die Din­ge“ auch ganz anders den­ken kann und dass es ein „ande­res Wis­sen“ als die Main­stream-Öko­no­mie gibt. Wäh­rend der Kri­se gab es eine kur­ze Zeit, in der sich Neo­li­be­ra­le – auch in der Öffent­lich­keit – bla­miert haben – in die­se Lücken gilt es hin­ein­zu­sto­ßen. Aller­dings mach­te Stei­nert auch die zen­tra­le Bedeu­tung der Medi­en bei der schnel­len Wie­der­her­stel­lung der neo­li­be­ra­len Hege­mo­nie deut­lich. Kri­sen­zei­ten bie­ten meist kei­ne Chan­cen, radi­ka­le For­de­run­gen umzu­set­zen, die Men­schen und Öffent­lich­keit wer­den eher kon­ser­va­tiv und wün­schen sich die Zustän­de aus Vor­kri­sen­zei­ten zurück. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein, die Pro­ble­me des Kapi­ta­lis­mus auf­zu­zei­gen und dabei alle mög­li­chen Mit­tel und For­men zu nut­zen. Ein wich­ti­ger Ansatz­punkt sind die Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen, denn Gesell­schaft ändert sich, wenn die Leu­te anders leben. 

„Auf die Uni­ver­si­tä­ten kann als Ort Kri­ti­scher Wis­sen­schaf­ten nicht ver­zich­tet werden“ 

Auch wenn Gun­du­la Lud­wig dar­auf hin­wies, dass die Uni­ver­si­tä­ten nie „der“ lin­ke Ort waren, hat sich ihre Situa­ti­on seit Mit­te der 1990er Jah­re deut­lich ver­schärft. Dies lässt sich in ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen fest­stel­len: der Öko­no­mi­sie­rung des Sozia­len (ver­stärk­te Effi­zi­enz­ge­dan­ken, mehr For­schung statt Leh­re), den Bedin­gun­gen des Arbei­tens (hoher Druck für alle Hoch­schul­mit­glie­der, nicht nur die Hoch­schu­len, auch die Sub­jek­te soll­ten zum „Unter­neh­mer ihrer selbst“ wer­den), par­al­lel zur Öko­no­mi­sie­rung der Uni­ver­si­tä­ten fin­det eine Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung statt. Dar­aus abge­lei­tet muss die Kri­tik zen­tral an der Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung und den Arbeits­ver­hält­nis­sen in Zusam­men­hang mit den Lebens­wei­sen anset­zen. Es soll­te über Pra­xen der Ver­wei­ge­rung nach­ge­dacht wer­den und zudem eine kri­ti­sche Selbst­re­fle­xi­on statt­fin­den, denn auch für vie­le Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ist das Kon­zept des/​der „Unter­neh­me­rIn seiner/​ihrer selbst“ ver­füh­re­risch. Wich­tig bleibt es, die ver­meint­li­chen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten auf­zu­bre­chen und immer wie­der auch „außer­halb des Kapi­ta­lis­mus“ zu den­ken. Der Ansatz, Infor­ma­tio­nen zu „über­set­zen“, ist zwar rich­tig, aber es braucht auch noch mehr „ande­res“ Wissen.

Es ist eine Illu­si­on zu glau­ben, dass die Spar­pa­ke­te so von der Gesell­schaft hin­ge­nom­men werden“
Jörg Fle­cker berich­te­te über den Wan­del der Zie­le der (außer­uni­ver­si­tä­ren) For­schung. So sind heu­te viel weni­ger Regie­run­gen oder die EU-Kom­mis­si­on direk­te Adres­sa­ten von For­schungs­er­geb­nis­sen. Viel­mehr wird zu span­nen­den Fra­ge­stel­lun­gen gear­bei­tet und gehofft, dass unbe­kann­te Nut­ze­rIn­nen die Ergeb­nis­se auf­grei­fen und ver­wen­den kön­nen. Jedoch ermög­li­chen För­de­run­gen insb. im Bereich der EU immer wie­der die Schaf­fung von Frei­räu­men, in denen Wis­sen gegen den Main­stream gene­riert wer­den kann. Die aktu­ell geplan­te Strei­chung der Basis­för­de­rung für unab­hän­gi­ge Insti­tu­te wird es aller­dings sehr schwer machen, nach­hal­tig kri­ti­sche Wis­sen­schaft zu betrei­ben. Die gegen­wär­ti­ge Situa­ti­on hält Jörg Fle­cker für sehr irri­tie­rend: sah es anfangs kurz so aus, als sei­en die Markt­ra­di­ka­len schwer von der Kri­se getrof­fen wor­den, war bald klar, dass dras­ti­sche Spar­pa­ke­te kom­men wer­den. Dies trifft nun ein und einer­seits ent­steht das Gefühl, die­sen voll­kom­men macht­los gegen­über zu ste­hen, ander­seits glaubt Fle­cker nicht, dass die Gesell­schaft die­se Ein­schnit­te ohne wei­te­res hin­neh­men wird. 

„Wir soll­ten uns nicht die klei­nen Schrit­te auf­zwin­gen lassen“

Für einen glo­bal­his­to­risch erwei­ter­ten Blick auf die Kri­se plä­dier­te Karin Fischer. Es ist not­wen­dig, in die Kri­sen­ana­ly­sen grö­ße­re Zeit­räu­me als auch die Süd­per­spek­ti­ve ein­zu­be­zie­hen. Auch in den Süd­län­dern ist die enor­me Kri­sen­haf­tig­keit des Kapi­ta­lis­mus schon  seit den 80er Jah­ren zu spü­ren. Aller­dings gibt es auch Län­der, deren Öko­no­mien gera­de wach­sen kön­nen und sol­che, die mit anti­zy­kli­scher Poli­tik und Ban­ken­re­gu­lie­rung posi­ti­ve Bei­spie­le set­zen kön­nen. Jedoch müs­sen die Hoff­nung auf Latein­ame­ri­ka und die der­zei­ti­gen Ver­schie­bun­gen von Zen­trum- Peri­phe­rie­gren­zen, durch die Regio­nal­mäch­te auf­ge­wer­tet wer­den, auch immer kri­tisch reflek­tiert wer­den, da noch nicht klar ist, wie eman­zi­pa­to­risch die­se Ver­än­de­run­gen sind. Von ent­schei­den­der Bedeu­tung wird es sein, wie wich­tig demo­kra­ti­sche Fra­gen in die­ser Ent­wick­lung sind. 
Die Rück­erobe­rung der Demo­kra­tie ist aber auch ein zen­tra­ler Ansatz­punkt für kri­ti­sche Men­schen in Euro­pa. Gegen den bewuss­ten Aus­schluss von Ent­schei­dun­gen hel­fen Denk­kol­lek­ti­ve, gegen­sei­ti­ger Aus­tausch über Publi­ka­ti­ons­or­ga­ne und das gemein­sa­me Arbei­ten an poli­ti­schen Perspektiven.

Der Abend ende­te mit Dank und Glück­wün­schen für 25 Jah­re BEI­GEWUM-Arbeit und der Ermun­te­rung, die kri­ti­sche Arbeit fortzusetzen.

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