Hörmanns Zinskritik – BEIGEWUM

Hörmanns Zinskritik

am 26. Januar 2012 um 12:58h

In den Medi­en wird der­zeit über die Rol­le von Franz Hör­mann im Zusam­men­hang mit einer anti­se­mi­ti­schen Wirt­schafts­kri­tik, die an die Occu­py-Bewe­gung anzu­do­cken ver­sucht, diskutiert.

In der Debat­te wird jedoch sel­ten auf die pro­ble­ma­ti­schen öko­no­mi­schen The­sen ein­ge­gan­gen, durch die Hör­mann popu­lär gewor­den ist. Dazu ein Aus­zug aus dem Edi­to­ri­al der nächs­ten Aus­ga­be des Kurswechsel:


Der Betriebs­wirt­schaf­ter Franz Hör­mann hat in Öster­reich mit Publi­ka­tio­nen öffent­li­che Auf­merk­sam­keit erregt, die die „Zins­kri­tik“ wie­der­be­le­ben (Hörman/​Pregetter 2011: „Das Ende des Gel­des“). In die­ser Wirt­schafts­ana­ly­se wird das Gläu­bi­ger-Schuld­ner-Ver­hält­nis in den Vor­der­grund gestellt, und in der Ver­zin­sung von Kre­di­ten die Ursa­che für Sys­tem­pro­ble­me gese­hen. Hör­mann zufol­ge ist das zen­tra­le Pro­blem, dass Ban­ken Geld als Kre­dit aus dem Nichts schöp­fen, aber dabei die Zin­sen nicht mit­ge­schöpft wer­den. Des­halb sei für Rück­zah­lung plus Zin­sen zu wenig Geld da und der Zusam­men­bruch unver­meid­lich. Sein Bei­spiel: Auf einer Insel mit 10 Ein­woh­ne­rIn­nen eröff­net eine Bank und ver­leiht an jede Per­son 10 Gold­stü­cke für ein Jahr zu einem Zins­satz von 10%. Nach einem Jahr wer­den in Sum­me 110 Gold­stü­cke fäl­lig. Die Bewoh­ne­rIn­nen wür­den des­halb im Lauf des Jah­res ver­su­chen, sich gegen­sei­tig Gold­stü­cke abzu­ja­gen, wür­den also zur Kon­kur­renz gezwun­gen, um die Rück­zah­lung plus Zin­sen auf­zu­brin­gen. Es gibt aber ins­ge­samt nur 100 Gold­stü­cke, folg­lich sei­en letzt­lich Kon­kur­se und Beschlag­nah­mung von Sicher­hei­ten durch die Bank die unaus­weich­li­che Fol­ge. Die Kre­dit­wirt­schaft sei somit ein Betrugs- und Ent­eig­nungs­mo­dell. Hör­mann sieht die aktu­el­le Über­schul­dungs­kri­se in Euro­pa als Aus­druck die­ser Mechanismen.


Das ist ein sehr schö­nes Bei­spiel, weil sich an ihm zen­tra­le Irr­tü­mer der Zins­kri­tik ver­an­schau­li­chen lassen.


Ers­tens beach­tet sie nur die Zir­ku­la­ti­ons­sphä­re und blen­det den Ver­wen­dungs­zweck der Kre­di­te, und damit die Pro­duk­ti­on völ­lig aus. Der Kapi­ta­lis­mus dreht sich aber um Mehr­wert­pro­duk­ti­on, und Kre­di­te sind das Mit­tel für Unter­neh­men, um die­se zu star­ten: Sie sind kein Zwang, der Unter­neh­men erst in Kon­kur­renz ver­setzt, son­dern die Kon­kur­renz bringt Unter­neh­men dazu, frei­wil­lig Kre­di­te auf­zu­neh­men, um Mehr­wert pro­du­zie­ren zu kön­nen. Die Geschäf­te zwi­schen den Insel­be­woh­ne­rIn­nen, sofern es sich um eine kapi­ta­lis­ti­sche Insel han­delt, bestehen nicht aus wech­sel­sei­ti­ger Über­vor­tei­lung im geld­ver­mit­tel­ten Tausch­han­del, wie das in Hör­manns Bei­spiel anklingt. Son­dern es wer­den mit Hil­fe der Kre­di­te im Erfolgs­fall neue Wer­te geschaf­fen, die mehr Geld ein­brin­gen als die Sum­me ihrer Bestand­tei­le. Kre­dit­geld fun­giert hier als Kapi­tal, nicht bloß als Zahlungsmittel.


Zwei­tens ist die Geld­men­ge als Sum­me der zir­ku­lie­ren­den Zah­lungs­mit­tel kei­ne Beschrän­kung für die Kre­dit­rück­zah­lung plus Zin­sen: Ein und das­sel­be Gold­stück aus dem obi­gen Bei­spiel kann für eine Viel­zahl von Zah­lun­gen durch ver­schie­de­ne Insel­be­woh­ne­rIn­nen benutzt wer­den – Geld zir­ku­liert (des­halb ist die Umlauf­ge­schwin­dig­keit ein gro­ßes The­ma in der öko­no­mi­schen Theo­rie­ge­schich­te). Die Zin­sen, die die Bank von einem Schuld­ner erhält, flie­ßen wie­der in den Wirt­schafts­kreis­lauf zurück (weil damit u.a. Bank­an­ge­stell­te, ‑aktio­nä­rIn­nen und Spar­kun­dIn­nen bezahlt wer­den, die die­ses Geld wie­der­um aus­ge­ben kön­nen), und erlau­ben den nächs­ten, ihre Rech­nun­gen zu beglei­chen etc. Abge­se­hen davon ist die Annah­me abwe­gig, dass sämt­li­che Kre­di­te einer Wirt­schaft zum sel­ben Zeit­punkt auf ein­mal fäl­lig werden.


Dass es zu unglei­chen Ver­tei­lungs­pro­zes­sen kommt, ist zwar nicht zu bestrei­ten: Im Kapi­ta­lis­mus gilt die Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on als Impe­ra­tiv. Aber Zin­sen sind nur ein Aspekt davon. Unter­neh­mens­ge­win­ne, Spit­zen­ein­kom­men, Erb­schaf­ten und Finanz­ge­schäf­te sind die zen­tra­len Quel­len für wach­sen­de Ungleich­heit: Durch Ein­strei­fen der Zin­sen auf bra­ves Spar­buch-Spa­ren ist hin­ge­gen noch nie­mand reich geworden.


Die Zins­kri­tik schließt an tra­di­tio­nel­le Vor­be­hal­te gegen Geld­ver­leih und Zin­sen an, die durch die jüngs­te Finanz­kri­se in der öffent­li­chen Mei­nung wie­der Auf­trieb erhiel­ten. Mit die­sem Fokus ver­fehlt sie jedoch zen­tra­le Mecha­nis­men des gel­ten­den Wirt­schafts­sys­tems und ihr Ver­ständ­nis der Funk­ti­ons­wei­se von Geld beruht auf fol­gen­schwe­ren Miss­ver­ständ­nis­sen. Dass ent­spre­chen­de Ansät­ze häu­fig eine Nähe zu Anti­se­mi­tis­mus auf­wei­sen, ist auch kein Zufall.

Kategorie: blog 1 Kommentar »

Ein Kommentar:

  1. dasze am 16.Dezember 2013 um 19:28h

    Hör­manns Bei­spiel mit den 10 Insel­be­woh­nern ist zwar extrem ver­ein­facht, hält aber auch Ihrer Gegen­ar­gu­men­ta­ti­on stand:

    Es wird also durch Auf­nah­me der Kre­di­te Mehr­wert geschaf­fen. Gut, sagen wir es wer­den 12 Vasen zu je zehn Gold­stü­cken pro­du­ziert. Die Vasen kön­nen ver­kauft wer­den. Nach­dem 10 Vasen erwor­ben wur­den, sagt einer der Insel­be­woh­ner: ich wür­de mir schon noch ger­ne eine Vase kau­fen, aber: ich habe kein Geld! (Ent­we­der blei­ben die Pro­du­zen­ten auf zwei Vasen sit­zen, oder der eine Insel­be­woh­ner geht zur Bank und leiht sich noch zehn Gold­stü­cke aus).

    Es ist also völ­lig egal, wie klein oder wie groß, wie ver­ein­facht oder kom­lex der Markt ist – das Pro­blem bleibt bestehen.

    Damit wird auch deut­lich, dass die Umlauf­ge­schwin­dig­keit des Gel­des das Pro­blem nicht löst.

    Grö­ße des Mark­tes, Kom­ple­xi­tät des Mark­tes sowie Umlauf­ge­schwin­dig­keit des Gel­des ver­schie­ben das grund­le­gen­de Pro­blem ledig­lich auf eine ande­re Ebe­ne, ver­zö­gern es, ver­schlei­ern es, weil nicht mehr so ein­fach durschau­bar. Bestehen bleibt das Pro­blem mit dem Zins aller­dings genau so, wie im Insel­bei­spiel anschau­lich gemacht. 

    Sie schrei­ben, dass der Zins­er­trag wie­der in die Wirt­schaft zurück­flie­ße, weil der Zins als Lohn des Bank­be­am­ten auch von die­sem wie­der aus­ge­ge­ben wird. Hier stimmt das Ver­hält­nis nicht: Der Gehalt von Bank­be­am­ten macht einen Bruch­teil der ( leis­tungs­los erwor­be­nen) Zin­sen und Zin­ses­zin­sen aus. Des­halb spricht man ja auch von Zins­kri­tik und nicht von Kri­tik an Ver­wal­tungs­ge­büh­ren. Den Löwen­an­teil des Zin­ses erhält der Gläu­bi­ger und die­ser Anteil ist so groß, dass er von die­sem nicht voll­stän­dig aus­ge­ge­ben wer­den kann und daher wie­der­um (natür­lich ver­zinst) ange­legt wird. Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on, wie Sie ganz rich­tig bemerken.

    Dass die Zins­kri­tik häu­fig in der Nähe von Anti­se­mi­tis­mus zu fin­den ist, tut mir leid, macht sie aber des­we­gen nicht weni­ger notwendig.


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