2010 Februar – BEIGEWUM

Archiv für Februar 2010


16.3.: Präsentation „Mythen der Krise“ (Hauptbücherei Wien)

24. Februar 2010 – 11:25 Uhr

Prä­sen­ta­ti­on des neu­en BEI­GEWU­M/­At­tac-BuchsMythen der Kri­se“ am Di, 16.3. 2010 um 19h in der Städ­ti­schen Büche­rei Wien am Urban Loritz Platz mit Karin Küb­lböck, Mar­kus Mar­ter­bau­er und Georg Feigl: „Alle Gür­tel enger schnal­len, sonst droht der Staats­bank­rott und ande­re Mythen der Krise“

Mythen-umrankte Bankensteuer

24. Februar 2010 – 11:12 Uhr

Die in Öster­reich geplan­te Ban­ken­steu­er macht Schlag­zei­len, und Bun­des­kanz­ler Fay­mann macht so viel PR-Wind dar­um, dass man fürch­ten muss, er wer­de im Abtausch für die­se gering­fü­gi­ge Maß­nah­me über­pro­por­tio­nal gro­ße Zuge­ständ­nis­se an den Koali­ti­ons­part­ner bei der Ver­tei­lung der wei­te­ren Bud­get­kon­so­li­die­rungs-Belas­tun­gen machen. Um das vor­zu­be­rei­ten, schla­gen die Betrof­fe­nen und ihre Ver­bün­de­ten jeden­falls mal mäch­tig Alarm – nicht immer mit sehr über­zeu­gen­den Argu­men­ten. Eine klei­ne Auswahl:


Abwan­de­rung der Kon­zern­zen­tra­len nach Ost­eu­ro­pa als Fol­ge der Ein­füh­rung der Ban­ken­steu­er“: Da kann man nur sagen: Viel Spaß, wenn die nächs­te Finanz­kri­se kommt! Wer­den die Ban­ken in ihren neu­en Stand­or­ten in ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten dann genau­so groß­zü­gig mit steu­er­fi­nan­zier­ten Ban­ken­pa­ke­ten geret­tet wer­den wie vom öster­rei­chi­schen Staat im Herbst 2008? Ange­sichts der Mini­mal- bis Null-Pake­te in den öst­li­chen Nach­bar­staa­ten in der jet­zi­gen Kri­se und den düs­te­ren wirt­schaft­li­chen und bud­ge­tä­ren Aus­sich­ten in den betrof­fe­nen Län­dern kaum vorstellbar.


Im Gegen­satz zu den US-Ban­ken sind öster­rei­chi­sche Ban­ken unschul­di­ge Opfer der Kri­se“: Zwar ist der Anteil des spe­ku­la­ti­ven Eigen­han­dels in öster­rei­chi­schen Ban­ken rela­tiv klein. Doch die öster­rei­chi­schen Ban­ken haben als Kund­schaft durch­aus ver­sucht, an den Ertrags­ver­spre­chen spe­ku­la­ti­ver Geschäf­te in den USA und anders­wo mit­zu­na­schen. Und auch das viel­be­schwo­re­ne kon­ser­va­ti­ve Geschäfts­mo­dell ist durch Über­deh­nung zu einem volks­wirt­schaft­li­chen Risi­ko gewor­den. Das öster­rei­chi­sche Ban­ken­pa­ket zählt mit rund 30% des BIP zu den größ­ten in der EU – war­um bloß? Weil die öster­rei­chi­schen Ban­ken in den letz­ten Jah­ren aggres­siv expan­diert haben, vor allem im jetzt wackeln­den Ost­eu­ro­pa. Mehr dazu im neu­en BEI­GEWUM-Buch „Mythen der Krise“. 


Die Steu­er wird ohne­hin an die Kund­schaft wei­ter­ge­ge­ben“: Wenn Bran­chen­in­si­der das als gesi­cher­tes Wis­sen vor sich her­tra­gen, ist das ein Hin­weis auf man­geln­den Wett­be­werb im Ban­ken­sek­tor, ja auf ein Fort­be­stehen ver­bo­te­ner infor­mel­ler Preis­ab­spra­chen. Ein deut­li­cher Auf­ruf zum Ein­schrei­ten der Wett­be­werbs­be­hör­de. Und selbst wenn es zu einer Über­wäl­zung kommt, ist immer noch die Fra­ge, in wel­cher Form: Eine all­ge­mei­ne Erhö­hung von Gebüh­ren für Basis­dienst­leis­tun­gen wie Kon­to­füh­rung wirkt unter Ver­tei­lungs­ge­sichts­punk­ten eher regres­siv, eine Sen­kung der Spar­zin­sen eher pro­por­tio­nal, eine Erhö­hung spe­zi­el­ler Trans­ak­ti­ons­ge­büh­ren viel­leicht sogar progressiv.

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Solidarisches Europa?

12. Februar 2010 – 18:08 Uhr

Das Pro­jekt Euro­pa war nie in ers­ter Linie ein sozia­les Pro­jekt, und es ist kein Pro­jekt, dass die Kon­zep­ti­on der stan­dar­t­ori­en­tier­ten Wett­be­werbs­staa­ten in Fra­ge gestellt hät­te. Zag­haf­te Ansät­ze mögen vor­han­den gewe­sen sein, im Wesent­lich ver­su­chen die Staa­ten aber nach wie vor, ihre Volks­wirt­schaft zu Las­ten ande­rer Staa­ten bes­ser­zu­stel­len. Aktu­ell lässt sich das Resul­tat an min­des­tens zwei Bei­spie­len sehen.

Steu­er­oa­sen
Steu­er­be­trug ist Dieb­stahl am öffent­li­chen Eigen­tum. Die Wah­rung eines strik­ten Bank­ge­heim­nis­ses ist die Bei­hil­fe zu die­sem Dieb­stahl. So ver­su­chen Staa­ten wie die Schweiz und Liech­ten­stein, aber eben auch Öster­reich sich zu Las­ten ande­rer Staa­ten zu berei­chern, indem durch ein rigo­ro­ses Bank­ge­heim­nis ver­hin­dert wird, dass die umlie­gen­den Staa­ten die ihnen zuste­hen­den Steu­ern ein­trei­ben kön­nen. Dage­gen wehrt sich Deutsch­land nun mit dem Auf­kauf der omi­nö­sen Steu­er­da­ten-CD aus der Schweiz. Und die Schweiz keilt zurück, wobei die Steu­er­flucht auch ger­ne mal als „Not­wehr“ vor den hohen Steu­ern genannt wird. Dabei wird – wie immer bei sol­chen Debat­ten – außer Acht gelas­sen, dass die Spit­zen­ver­die­ner nur des­we­gen so viel ver­die­nen, weil es in Euro­pa eine ent­spre­chen­de Infra­struk­tur an Bil­dung, Stra­ßen, Schie­nen, (Rechts-)Sicherheit usw. gibt, die eben steu­er­fi­nan­ziert wer­den. Es ist eben meis­tens nicht – oder nicht nur – die „eige­ne Leis­tung“, die den Erfolg bringt. Dane­ben sorgt die­se „Not­wehr“ dafür, dass sozia­le Leis­tun­gen nicht oder nur ver­min­dert erbracht werden.

Öko­no­mi­sche Ungleichgewichte
Deutsch­land hat zwar in der Fra­ge des Steu­er­be­trugs recht, aber auch die Bun­des­re­pu­blik ver­hält sich kei­nes­wegs so, wie es ein soli­da­ri­sches Euro­pa erfor­dern wür­de. Seit Jah­ren wer­den die Lohn­kos­ten gedrückt und die Bin­nen­nach­fra­ge stran­gu­liert, um als „Export­welt­meis­ter“ ande­re Län­der zu zwin­gen, sich in Deutsch­land zu ver­schul­den. Das geht einer­seits gegen die Bevöl­ke­rung in Deutsch­land; die Ver­tei­lung wird immer unglei­cher. Ande­rer­seits ist dies aber auch ein Angriff auf ande­re Staa­ten, da die­se sich ent­we­der bei Deutsch­land ver­schul­den oder selbst eine Dum­ping­po­li­tik betrei­ben müs­sen. Eine nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung in Euro­pa sieht anders aus. Grie­chen­land gehört mit Sicher­heit zu den Län­dern, das – neben der eige­nen Feh­ler – unter dem „Export­welt­meis­ter“ lei­det. Sol­che Ungleich­ge­wich­te – noch dazu in einem ein­heit­li­chen Wäh­rungs­raum – sind auf Dau­er fatal.

Was Euro­pa wirk­lich braucht sind weder Steu­er­oa­sen noch Lohn­dum­ping, weder Steu­er­wett­be­werb noch sinn­lo­se Dere­gu­lie­run­gen. Euro­pa muss ein Euro­pa für die Men­schen wer­den – mit sozia­len Min­dest­stan­dards, die kon­ti­nu­ier­lich aus­ge­baut wer­den, mit einer stär­ke­ren Besteue­rung der Kapi­tal­ein­künf­te, mit star­ken Regu­lie­run­gen und mit dem Ziel eines sozia­len und nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­tens. Dazu aller­dings müs­sen die natio­na­len Ego­is­men, die der Mehr­heit der Bür­ge­rIn­nen sowie­so nur scha­den, auf­ge­ge­ben werden.

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„Bologna“ – und weiter?

8. Februar 2010 – 21:00 Uhr

von Kle­mens Him­pe­le und Oli­ver Praus­mül­ler. Ist im Debat­ten­fo­rum der Zeit­schrift Kurs­wech­sel erschie­nen: Aus­ga­be 1/​2010, S. 113–117.


Als der heu­te hef­tig dis­ku­tier­te „Bolo­gna-Pro­zess“ Ende der 1990er-Jah­re ent­stand, konn­te in Euro­pa bereits auf zwei Jahr­zehn­te Refor­mo­lo­gie für die „stand­ort­ge­rech­te Dienst­leis­tungs­hoch­schu­le“ zurück­ge­blickt wer­den. Die hoch­schul­po­li­ti­sche Debat­te war in vie­len Län­dern – wenn auch in unter­schied­li­chen Tem­pi – in eine ähn­li­che Rich­tung ver­lau­fen: Eine stär­ker „markt­ori­en­tier­te Umge­bung“ und klam­me öffent­li­chen Finan­zen wür­den mehr Wett­be­werbs­ori­en­tie­rung an den Hoch­schu­len erfor­dern; dafür sei mit­hin ein „gestärk­ter Füh­rungs­kern“ not­wen­dig, der mit genü­gend „Auto­ri­tät“ für die Imple­men­tie­rung des „New Public Manage­ment“ aus­ge­stat­tet ist; es brau­che eine „Diver­si­fi­zie­rung“ der Finan­zie­rungs­ba­sis; die Hoch­schu­len müss­ten mehr „ver­markt­ba­re Dienst­leis­tun­gen“ lie­fern etc. (vgl. Bult­mann 1996; Öster­rei­chi­sche HochschülerInnenschaft/​Paulo Frei­re Zen­trum 2005; Zeu­ner 2007; EURYDICE 2000; Maassen/​Olsen 2007). Der sei­ner­zeit vor­nehm­lich natio­nal­staat­li­che Bezugs­rah­men der Hoch­schul­po­li­tik soll nicht über die euro­päi­schen Dimen­sio­nen der Neo­li­be­ra­li­sie­rungs-Dyna­mi­ken hin­weg­täu­schen, in die der Auf­stieg der „stand­ort­ge­rech­ten Dienst­leis­tungs­hoch­schu­le“ in einem erwei­ter­ten Sin­ne ein­ge­bet­tet ist (vgl. Bie­ling 2004). Nur basiert die­ser zu gewich­ti­gen Tei­len auf Poli­ti­ken, die ohne Bezü­ge auf einen euro­päi­schen Hoch­schul­raum Wirk­mäch­tig­keit ent­fal­tet haben.

Ange­sichts der im Zuge der Stu­die­ren­den­pro­tes­te auf­ge­flamm­ten Debat­ten stellt sich nun die Fra­ge, wie die for­ma­li­sier­te, wenn auch recht­lich nicht bin­den­de Euro­päi­sie­rung des Hoch­schul­raums den unter­neh­me­ri­schen Umbau der Hoch­schu­len (wei­ter) beein­flusst hat. Klar ist einer­seits, dass „Bolo­gna“ Struk­tu­ren schafft, die einen euro­päi­schen Bil­dungs­markt erst ermög­li­chen. Zudem kön­nen unge­lieb­te Refor­men durch­ge­setzt wer­den, indem natio­nal­staat­lich auf  den ver­meint­li­chen Sach­zwang „Bolo­gna“ ver­wie­sen wird. Damit kann der Pro­zess von den Akteu­ren durch­aus impli­zit als Instru­ment zur Umstruk­tu­rie­rung des Hoch­schul­sys­tems ange­legt wor­den sein (vgl. Mar­tens et al. 2006). Ande­rer­seits ist auch immer wie­der auf die Poten­zia­le des Bolo­gna-Pro­zes­ses zu ver­wei­sen, etwa im Bereich der sozia­len Öff­nung. Es stellt sich mit­hin heu­te die Fra­ge, ob „Bolo­gna“ „an sich“ ein Teil des Pro­blems ist, oder ob die gesell­schaft­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­se, die eine bestimm­te Ten­denz des Bolo­gna-Pro­zes­ses in den Vor­der­grund rücken las­sen, das Pro­blem sind.

Andre­as Kel­ler (2003) kommt zu der Ein­schät­zung, dass der Bolo­gna-Pro­zess eine neo­li­be­ra­le Umstruk­tu­rie­rung des euro­päi­schen Hoch­schul­we­sens begüns­ti­gen kann, eben­so wie er in der Lage ist, eman­zi­pa­to­ri­sche hoch­schul­po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen in Gang zu set­zen. Kel­ler macht damit deut­lich, dass der Bolo­gna-Pro­zess von Beginn an umkämpft war. Dies lässt sich auch dar­an able­sen, dass in den Bolo­gna-Doku­men­ten einer­seits posi­tiv auf die Lis­sa­bon-Stra­te­gie Bezug genom­men wird. Die­se steht unter dem Ziel, die EU bis 2010 zum „wett­be­werbs­fä­higs­ten und dyna­mischs­ten wis­sens­ba­sier­ten Wirt­schafts­raum der Welt“ zu machen. Ent­lang die­ser Logik braucht es inbe­son­de­re eine Opti­mie­rung der Human­ka­pi­tal­pro­duk­ti­on: „Die Stu­die­ren­den soll­ten für den Arbeits­markt mög­lichst effi­zi­ent und kos­ten­güns­tig ‚beschäf­ti­gungs­fä­hig‘ gemacht wer­den“ (Hirsch 2008, S. 23). Die­ser Ver­en­gung des Bil­dungs­be­griffs ent­spricht die Über­la­ge­rung der Stu­di­en­re­form­de­bat­ten durch Stu­di­en­zeit­ver­kür­zun­gen, einer Eng­füh­rung der Pra­xis­ori­en­tie­rung – und gip­felt im Unwort der „Employa­bi­li­ty“. Auf der ande­ren Sei­te beto­nen die Doku­men­te der Bolo­gna-Fol­ge­kon­fe­ren­zen die Bedeu­tung der sozia­len Dimen­si­on und die öffent­li­che Ver­ant­wor­tung für das Bil­dungs­sys­tem. Fer­ner sind die Erhö­hung der Mobi­li­tät, das Durch­bre­chen der Ver­säu­lung zwi­schen aka­de­mi­scher und dua­ler Aus­bil­dung und die Öff­nung der Hoch­schu­len für Men­schen ohne tra­di­tio­nel­le Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung als posi­ti­ve Zie­le zu benen­nen (vgl. Ban­sche­rus et al. 2009). Die­se sind in der prak­ti­schen Aus­ge­stal­tung jedoch kaum zum Zug gekom­men. Ob sich das durch die euro­pa­wei­ten Pro­tes­te ändert, ist der­zeit offen.

Die Ambi­va­lenz des Bolo­gna-Pro­zes­ses lässt sich auch in der Aus­ein­an­der­set­zung pro­gres­si­ver Kräf­te erken­nen. Tors­ten Bult­mann (2007) iden­ti­fi­ziert hier zwei zen­tra­le Posi­tio­nie­run­gen: Ers­tens die­ne der Pro­zess der Kom­mo­di­fi­zie­rung wis­sen­schaft­li­cher Bil­dung und stel­le somit „ledig­lich eine Eins-zu-Eins Umset­zung neo­li­be­ra­ler Kon­zep­te dar“ (S. 148). Maß­ge­bend sei dabei ein Qua­li­fi­ka­ti­ons­be­griff, dem­zu­fol­ge das „Ein­trai­nie­ren eines instru­men­tell abruf­ba­ren arbeits­markt­re­le­van­ten ‚Wis­sens‘ Vor­rang hat vor der Aneig­nung einer selbst­stän­di­gen wis­sen­schaft­li­chen Urteils­fä­hig­keit“ (ebd.). In die­se Rich­tung wei­sen etwa die Kri­ti­ken an der zen­tra­len Stel­lung von Employa­bi­li­ty-Kon­zep­ten in dem Reform­pro­zess. Zwei­tens sei die­ser vor allem mit ver­kapp­ter Spar­po­li­tik asso­zi­iert, die in Ver­bin­dung mit einem „kon­ser­va­ti­ven Roll-back der Mas­sen­uni­ver­si­tät“ (ebd.) steht. Die Eta­blie­rung des sechs­se­mest­ri­gen Bache­lors sei ent­lang die­ser Posi­ti­on gleich­sam weg­be­rei­tend dafür, den Zugang zum bis­he­ri­gen „Regel­ab­schluss“ selek­ti­ver zu gestal­ten bzw. stär­ker zu kon­di­tio­na­li­sie­ren. Bult­mann weist zwar dar­auf hin, dass für die­se Schluss­fol­ge­run­gen zwei­fels­frei Anhalts­punk­te bestehen. Eben­so las­sen sich gut orga­ni­sier­te Inter­es­sen iden­ti­fi­zie­ren, denen die­se Moti­ve zuge­ord­net wer­den kön­nen. Sein Ein­wand läuft jedoch grund­sätz­lich dar­auf hin­aus, dass sich die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Bolo­gna-Pro­zess nicht in einem „bloß ent­lar­ven­den Hin­weis“ auf die neo­li­be­ra­len Moti­ve zen­tra­ler Akteu­re des Pro­zes­ses erschöp­fen kann. Damit blie­be gera­de auch eine Poli­ti­sie­rung der Wider­sprü­che und Span­nungs­fel­der, die im Bolo­gna-Pro­zess ange­legt sind, aus.

Ent­lang die­ses Ein­wands müs­sen die Span­nungs­fel­der, die im Bolo­gna-Pro­zess  prä­sent sind, stär­ker kennt­lich gemacht wer­den. Die­sen mehr Auf­merk­sam­keit zu wid­men, könn­te gleich­sam eine Mög­lich­keit dar­stel­len, die durch die Stu­die­ren­den­pro­tes­te geschaf­fe­nen poli­ti­schen Inter­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten auch in die­sem Zusam­men­hang zu nutzen.

  • Wird der Bolo­gna-Pro­zess vor dem Hin­ter­grund der Bestre­bun­gen per­spek­ti­viert, einen glo­ba­len Bil­dungs­markt zu kon­sti­tu­ie­ren (vgl. Hart­mann 2004, Ant­ho­fer 2005), birgt das in den Doku­men­ten ent­hal­ten­de Bekennt­nis zu Hoch­schul­bil­dung als einem „öffent­li­chen Gut“ einen Ansatz­punkt, eine alter­na­ti­ve „Ver­laufs­form“ der Euro­päi­sie­rung ein­zu­for­dern. Was mit die­sem (Lippen?-)Bekenntnis geschieht, gewinnt u.a. ange­sichts der for­cier­ten Stra­te­gie an Bedeu­tung, den Wunsch höhe­rer Bil­dungs­aus­ga­ben über die ver­stärk­te Erschlie­ßung pri­va­ter Finan­zie­rungs­quel­len zu errei­chen. Hier setzt bei­spiels­wei­se die deut­sche Bil­dungs­ge­werk­schaft GEW an, indem sie die Unter­zeich­ner­staa­ten der Bolo­gna-Erklä­rung dazu auf­for­dert, die Rea­li­sie­rung des im Inter­na­tio­na­len Pakts für wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Rech­te (UN-Sozi­al­pakt) ver­bürg­ten Rechts auf Bil­dung im gesam­ten euro­päi­schen Hoch­schul­raum zu rea­li­sie­ren. Dies soll auch dadurch erfol­gen, dass „der Hoch­schul­un­ter­richt auf jede geeig­ne­te Wei­se, ins­be­son­de­re durch all­mäh­li­che Ein­füh­rung der Unent­gelt­lich­keit, jeder­mann glei­cher­ma­ßen ent­spre­chend sei­nen Fähig­kei­ten zugäng­lich gemacht wer­den muss“ (Arti­kel 13 Absatz 2 Buch­sta­be c UN Sozi­al­pakt). Die Ver­knüp­fung des Bekennt­nis­ses zu Bil­dung als einem öffent­li­chen Gut mit den For­de­run­gen des UN-Sozi­al­pakts könn­te dem­nach als Ansatz­punkt genutzt wer­den, die Debat­te über den Bil­dungs­be­griff und über die sozia­le Durch­läs­sig­keit von Bil­dungs­sys­te­men neu zu ent­fa­chen. Dazu gehört bei­spiels­wei­se auch ein gebüh­ren­frei­er euro­päi­scher Hochschulraum.
  • In den Bolo­gna-Doku­men­ten wird wie­der­holt die sozia­le Dimen­si­on betont, ohne dass dies bis­her nach­hal­ti­ge Ände­run­gen nach sich gezo­gen hät­te. Die Fra­ge der Auf­nah­me eines Stu­di­ums ist stark mit dem fami­liä­ren Hin­ter­grund kor­re­liert. Noch immer stu­die­ren deut­lich mehr Kin­der aus soge­nann­ten bil­dungs­na­hen Eltern­häu­sern. Die Grün­de hier­für sind viel­schich­tig. So wer­den Kin­der durch die­se Eltern in der Regel stär­ker geför­dert, es sind grö­ße­re Res­sour­cen vor­han­den, das Ver­ständ­nis für eine Bil­dungs­kar­rie­re ist grö­ßer und die Selbst­ver­ständ­lich­keit, bestimm­te Bil­dungs­we­ge bis hin zu einem Stu­di­en­ab­schluss zu beschrei­ten, vor­han­den. Kin­der, deren Eltern selbst nicht stu­diert haben, müs­sen sich oft erst gegen die­se durch­set­zen und haben oft eine unsi­che­re Ein­schät­zung von einem Stu­di­um und scheu­en die Kos­ten eines Stu­di­ums eher. Gera­de hier hät­te die neue Stu­fung der Stu­di­en­gän­ge anset­zen kön­nen, indem der Bache­lor genutzt wird, ein zugäng­li­che­res Stu­di­um auch für Men­schen anzu­bie­ten, die bis­her vor einem lan­gen Magis­ter­stu­di­um zurück­ge­schreckt sind. Die Ent­schei­dung für ein Stu­di­um könn­te erleich­tert wer­den, wenn man bei der Kon­zep­ti­on der Stu­di­en­gän­ge eben die­se bil­dungs­fer­nen Schich­ten mit­denkt und auch bereit ist, den eli­tä­ren Habi­tus der Hoch­schu­len zu durch­bre­chen. Gesche­hen ist das Gegen­teil: Die Stu­di­en­gän­ge wer­den immer wei­ter geschlos­sen. Auch die Fra­ge des Über­gangs zum Mas­ter fällt unter das Stich­wort „Sozia­le Dimen­si­on“: Anstatt zu ver­su­chen, das Dog­ma der Stu­di­en­zeit­ver­kür­zung umzu­set­zen, indem man Zugän­ge zum Mas­ter beschränkt, ist das Stu­di­um auch an die­ser Hür­de zu öff­nen, um allen, die wol­len, einen Zugang zum Mas­ter zu ermöglichen.
  • Der Bolo­gna-Pro­zess muss dazu genutzt wer­den, einen sinn­vol­len Pra­xis­be­griff zu ent­wi­ckeln. Nicht die Eng­füh­rung auf „Employa­bi­li­ty“, son­dern die Fra­ge der gesell­schaft­li­chen Rele­vanz ist hier in den Mit­tel­punkt zu stel­len. Gera­de kri­ti­sche Kräf­te soll­ten die Debat­te um den Pra­xis­be­griff offen­siv füh­ren. Dafür braucht es mit­hin mehr als das Weg­schie­ben der „Pra­xis­fra­ge“ in Rich­tung Fachhochschulen.
  • Die Ver­säu­lung zwi­schen aka­de­mi­scher und hand­werk­li­cher Aus­bil­dung ist auf­zu­bre­chen. Der Bolo­gna-Pro­zess stellt hier durch­aus Instru­men­te bereit, wenn die kon­se­ku­ti­ve Struk­tur zur Öff­nung der Hoch­schu­len etwa für Men­schen mit Berufs­er­fah­rung genutzt wird. Dies erfor­dert jedoch Ver­än­de­run­gen in der Arbeits­welt und an den Hoch­schu­len. So sind kul­tu­rel­le Hür­den zu über­win­den und die Hoch­schu­len tat­säch­lich für beruf­lich Qua­li­fi­zier­te zu öff­nen. Zudem ist der Pra­xis­ori­en­tie­rung der Wis­sen­schaft eine Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Pra­xis zur Sei­te zu stel­len (vgl. Ban­sche­rus et al. 2009).

Die Stu­die­ren­den­pro­tes­te waren inso­fern erfolg­reich, als sie bestimm­te The­men auf die poli­ti­sche Tages­ord­nung gesetzt und den öffent­li­chen Dis­kurs ver­scho­ben haben. Bis­her galt das Leit­bild der neo­li­be­ra­len Struk­tur­re­form: Hoch­schu­len soll­ten zu stand­ort­ge­rech­ten Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men umge­baut wer­den, die im Wett­be­werb um die Stu­die­ren­den als zah­len­de Kun­dIn­nen wer­ben und die­sen mit einem Aus­bil­dungs­zer­ti­fi­kat die Beschäf­ti­gungs­fä­hig­keit attes­tie­ren. Bil­dung wird hier wei­ter­füh­rend als Ware ver­stan­den, das Stu­di­um mit einer Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal ver­bun­den (und nicht etwa mit dem Ziel eines Erkennt­nis­ge­winns). In die­ser Rich­tung kann auch der Bolo­gna-Pro­zess inter­pre­tiert wer­den: Denn wird „der Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­markt, auf dem die Hoch­schu­len in einen Wett­be­werb um Nach­fra­ger tre­ten, euro­pa­weit kon­sti­tu­iert, bedarf es einer euro­pa­wei­ten Kom­pa­ti­bi­li­tät und Über­trag­bar­keit. Zen­tra­les Instru­men­ta­ri­um für die Her­stel­lung der Über­trag­bar­keit von Stu­di­en­leis­tun­gen ist ein ein­heit­li­ches Leis­tungs­punkt­sys­tem – gleich­sam die gemein­sa­me ‚Wäh­rung´ im euro­päi­schen Stu­di­en­raum, die Stu­di­en­leis­tun­gen mess­bar und ver­gleich­bar macht. Die euro­pa­weit ein­heit­li­che Mess­bar­keit von Stu­di­en­leis­tun­gen bzw. den ihnen zugrun­de lie­gen­den Stu­di­en­dienst­leis­tun­gen könn­te in einem wei­te­ren Schritt zur Vor­aus­set­zung für eine inter­na­tio­nal ver­gleich­ba­re Berech­nung von durch die Stu­die­ren­den zu bezah­len­den Gebüh­ren oder für ein euro­pa­weit gel­ten­des Bil­dungs­gut­schein­sys­tem wer­den“ (Kel­ler 2003, S. 44).
Nicht nur im euro­päi­schen, son­dern auch im natio­na­len Kon­text wur­de der Bolo­gna-Pro­zess oft neo­li­be­ral inter­pre­tiert: Markt­kon­for­me Dis­zi­pli­nie­rung der Stu­die­ren­den in einem stark ver­schul­ten „Aus­bil­dungs­be­trieb“, Bil­dung als Inves­ti­ti­on in die „Ich-AG“, Employa­bi­li­ty als Ziel und das Ein­zie­hen einer wei­te­ren selek­ti­ven Hier­ar­chie­ebe­ne beim Über­gang vom Bache­lor zum Mas­ter. Zudem ver­bin­den natio­na­le Akteu­re mit Euro­päi­sie­rung vor allem die Mög­lich­keit des Spiels über Ban­de: Unpo­pu­lä­re Ände­run­gen und eige­nes Ver­sa­gen bei Stu­di­en­re­for­men und der Finan­zie­rung der Hoch­schu­len kön­nen auf „Euro­pa“ gebucht und so der eige­nen Ver­ant­wor­tung ent­le­digt werden.

Die Stu­die­ren­den­pro­tes­te haben den Fokus jedoch auf die Poten­tia­le des Pro­zes­ses gelegt, da sie in ein erheb­li­ches inhalt­li­ches Vaku­um gesto­ßen sind. Im März soll die Voll­endung des euro­päi­schen Hoch­schul­raums gefei­ert wer­den, bis­wei­len steht in den offi­zi­el­len Vor­be­rei­tun­gen eines „Fol­low-up für die nächs­te Deka­de“ Selbst­be­weih­räu­che­rung im Vor­der­grund*. Vie­le Akteu­re sind irri­tiert bis rat­los, was die Chan­cen geziel­ter Inter­ven­tio­nen erhöht. In vie­len Fäl­len kön­nen der­zeit eher Fra­gen for­mu­liert als Ant­wor­ten gege­ben wer­den. Die Debat­te über eine neue Archi­tek­tur des euro­päi­schen Hoch­schul­raums könn­te jedoch umso mehr dazu bei­tra­gen, neue Hand­lungs­spiel­räu­me für kri­ti­sches Stu­die­ren, Leh­ren und For­schen zu erschließen.


* vgl. Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wis­sen­schaft und For­schung; zur „Gegen-Mobi­li­sie­rung“ sie­he Bol­gnab­urns.


Lite­ra­tur:

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Links zuletzt geprüft am 8. Febru­ar 2010

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