Kritische Wirtschaftsbildung

Elisabeth Springler, Christian Berger

In Boomzeiten als Hort unendlicher Optionen für die Zivilgesellschaft gepriesen, wird der Finanzsektor in Krisenzeiten als Belastungsfaktor für private Haushalte, also die Bevölkerung, spürbar, wenn Kursverluste und Schuldenlasten schlagend werden. Doch nicht nur die direkte Teilhabe am Finanzmarkt oder die zunehmende Finanzialisierung in ganz verschiedenen Lebensbereichen (wie Vorsorge, Wohnen, Pflege, Natur- und Um­weltschutz), auch der allgemeine konjunkturelle Abschwung gekoppelt mit steigender Inflation erschwert die Situation für Haushalte weiter. Besonders die steigenden Insol­venzzahlen von jungen Menschen alarmieren dabei. So sind die Insolvenzen der unter 25-Jährigen von 4,7% auf 6,3 % der gesamten Privatinsolvenzen mit einer durchschnitt­lichen Schuldenhöhe von 59.000€ gestiegen (KSV1870: 2024). Diese Schuldenhöhe zeigt zudem ein Anwachsen von 35 % gegenüber dem Jahr 2022. Derartige Entwicklungen rücken einmal mehr die Forderung nach einer Verbesserung der finanziellen Allgemein­bildung und Wirtschaftsbildung ins Zentrum. Bereits 2021 haben insgesamt sieben Gründungsinstitutionen, zu diesen zählen unter anderem die Arbeiterkammer, Wirt­schaftskammer, Industriellen Vereinigung und die Österreichische Nationalbank mit der Schaffung der Stiftung für Wirtschaftsbildung das Ziel einer „Stärkung und Verbreitung einer lebensweltbezogenen wirtschaftlichen Bildung in der schulischen Allgemeinbildung(OTS 2023) ins Zentrum gerückt. Nicht nur die Form der Implementierung von ,,Wirt­schaftsbildung“ in die schulischen Fächer (oder ein neues Fach) hat seither den Diskurs um die sinnvollste und effektivste Integration einer lebensweltbezogenen wirtschaftlichen Bildung geprägt, sondern auch die dadurch transportierten, durchaus divergierenden Blickwinkel auf das wirtschaftliche Gefüge und dessen Norm- und Wertekanon.

Die Beiträge in diesem Heft liefern eine kritische Reflexion zur geforderten Bildungs­offensive, erweitern die Perspektive von privaten Finanzen auf öffentliche Finanzen und die Gesamtwirtschaft und spannen den Bogen dabei von der Frage der schulischen, hochschulischen und außerschulischen Wirtschaftsbildung über eine Umsetzung in die alltägliche Praxis und die Ökonomie des Alltags, bis hin zur Frage nach der Bedeu­tung von Geld in der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsstruktur. Eine solche breit und kritisch angelegte Wirtschaftsbildung ist politische Bildung und bedarf einer öf­fentlichen Bildungspolitik, die die Ökonomie als Teil von Gesellschaft versteht und ein Verständnis für geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge und Verantwor­tung vermittelt, welches über das eigene finanzielle Wohlergehen, und wie es zu errei­chen ist, weit hinausgeht. Sie rückt ins Zentrum, wie Wirtschaft über Institutionen, Praktiken und Prozesse ‚eingerichtet; Märkte sozial geordnet und durch Interessen be­ stimmt sind (Polanyi 1978). Sie ermächtigt, zu verstehen, warum Ökonomie politisch ist, ihre Organisation eine Frage von Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist, die als solche verhandel- und veränderbar sind.

Christian Fridrich setzt an der Diskussion um die geeignete Bildungskonzeption für die Sekundarstufe an. Wie kann die Mündigkeit im Hinblick auf wirtschaftliche und finanzielle Fragestellungen erreicht werden, was bedeutet in diesem Zusammenhang eine persönliche Emanzipation und die darauf aufbauende gesellschaftliche Partizipa­tion? Durch die Unterscheidung der Bildungskonzeptionen „sozioökonomische Bildung“ und „ökonomistische Bildung“ verdeutlicht Christian Fridrich wie Wirtschaftsbildung in eine funktionalistische Wirtschaftserziehung abdriften kann und damit zu einer Einzementierung bestehender Sichtweisen auf Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt. Eine emanzipatorische Betrachtung und kritische Reflexion findet im Rahmen einer „ökonomistischen Bildung“ keinen Platz. Die Gegenpole der Bildungskonzeptionen manifestieren sich ebenso bei der Konzeptionierung des Lehrplans. Hierbei wählt Chris­tian Fridrich die Sekundarstufe I und verdeutlicht den bestehenden Herausforderungen in der Implementierung des Fachs Geographie und wirtschaftliche Bildung. Hierdurch spannt er ebenso den Bogen zu den eingangs erwähnten Initiativen zahlreicher Inter­essensverbände, mit dem Ziel einer lebensweltbezogenen wirtschaftlichen Bildung. Um hinkünftige Generationen nicht nur für die Herausforderungen der Finanzmärkte fit zu machen, sondern sie den gesellschaftlichen Kontext ihrer Handlungen erkennen zu lassen, muss es jedenfalls eine Stärkung des sozioökonomischen Bildungsansatzes geben.

Im Gegensatz zu Christian Fridrich fokussiert Vinzent Hilbrand in seinem Beitrag nicht auf die konzeptionelle Bildungsebene, sondern auf die Akteursebene und kont­rastiert in ausgewählten Bereichen die Konfliktebenen der Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innenvertretungen. Er stellt dabei Ansätze und Formate alternativer Wirt­schaftsbildung etwa in Form von Planspielen vor. Wesentlich ist hierbei festzuhalten, dass kein akteursgetriebenes Bildungsformat dem Anspruch einer neutralen und inte­ressenfreien Wissensvermittlung gerecht werden kann, sei es durch die Zentralisierung bestimmter Akteursgruppen in den Bildungsformaten selbst (Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen vs Arbeitsgeber:innen und Unternehmer:innenperspektive) oder durch die gewählten Themen. Voraussetzung für eine reflexive Kontextualisierung des jeweiligen Angebots und Themas ist dabei, dass die Positionierung des jeweiligen An­bieters/ der jeweiligen Interessensgruppe deutlich gemacht wird, wobei Hilbrand ge­ rade bei profitgetriebenen Anbietergruppen eine mangelnde Transparenz kritisiert. Die Effekte verdeutlicht er durch den Übergang von Wirtschaftsbildung hin zu Eigenver­antwortung und zeigt beispielhaft den Diskurs um private Vorsorgeprodukte. Andreas Novy, Leonhard Plank, Alexandra Strickner und Richard Bärnthaler widmen sich in ihrem Beitrag den alltäglichen Seiten der Ökonomie: (Unbezahlt) arbeiten und konsu­mieren, kochen und reparieren, pflegen und ernten, aber auch lesen und schreiben. Ausgangspunkt dieses Zuganges ist der Foundational Economy-Ansatz, der die Bereit­stellung all jener Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen, die tagtäglich gebraucht werden und die für ein gelungenes Leben und Wohlergehen notwendig sind, ins Zen­trum rückt. Einern ähnlichen fundamentalen Thema der Ökonomie, das allerdings meist gar keine eigenständige Beachtung oder Bearbeitung erfahrt, widmet sich Beat Weber in einem Beitrag zu Geld und Wert Was ist Wert, was ist Geld? Schlüssel.fragen zum Verständnis der Wirtschaft. Was Geld ist, beantworten verschiedene Theorien höchst unterschiedlich – eine Schule sieht Geld selbst als Ware, knapp, privat und unpolitisch, eine andere sieht Geld als besondere Art von Schuld, die von einer staatlichen, zentralen Instanz verwaltet wird, unbegrenzt, öffentlich und politisch. Der Beitrag führt in diese Denkschulen und aktuelle Kontroversen rund um die Deutung und Weiterentwicklung der Geldarchitektur ein und stellt differenziert dar, inwiefern Geld Wert wirtschaftlicher Aktivitäten wodurch sich wiederum der Wert von Geld bestimmt.

Eine kritische Auseinandersetzung mit Wirtschaftsbildung ist nicht nur auf die Be­fähigung der unmittelbaren Auseinandersetzung mit finanzbezogenen und wirtschafts­bezogenen Themen beschränkt, sondern setzt sich gerade zum Ziel eine interdiszipli­näre Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen zu ermöglichen. Lukas Bogner und Laura Horn untersuchen die Optionen der Anwendung im Rahmen eines best case Szenarios – die Umsetzung in Lehre und Forschung an der Reformuniversität Roskilde. Es wird deutlich, dass selbst bei einem gestärkten Fokus auf Nachhaltigkeits­fragen in der Konzeption neuer Studiengänge, das gängige Narrativ geprägt durch neoliberale Zielsetzungen die Rahmenbedingungen für die universitäre Umsetzung von curricularen Veränderungen stellt und damit ein radikales Hinterfragen bestehen­ der Akkumulations- und Machtmodelle durch den Wunsch einer Ausbildung, die die Beschäftigungsbefähigung im bestehenden Paradigma fördert, abfedert. Dieses Span­nungsverhältnis fordert auch in reformwilligen Universitäten Aktivismus der Lehrenden und Forschenden, um eine kritische Auseinandersetzung mit dem herrschenden öko­nomischen Paradigma zu ermöglichen.

Den Abschluss bildet der Beitrag von Mario Taschwer und Christine Hintermann. Sie stellen das Netzwerk für zukunftsfähige Wirtschaftsbildung, die Hintergründe für sein Entstehen und seine aktuellen Aktivitäten dar. 2021 schlossen sich Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft zusammen, um dem zunehmenden Einfluss finanzstarker Lob­bys in bildungspolitischen Projekten, vor allem in Schulen, etwas entgegenzusetzen: Konzepte und Ansatzpunkte für eine plurale, integrative, lebensweltorientierte und zukunftsfähige Wirtschaftsbildung. Schüler:innen sollen so in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild von Wirtschaft machen zu können und sich als Gestalter:innnen zu begreifen.

Quellen

KSV 1870 (2024): Privatkonkurse 2023: 61 Prozent sind Männer, Pressemitteilung 31.1.2024, https://www.ksv.at/pressemeldungen/privatkonkurse-2023-61-prozent-maenner

OTS (2023): Stiftung für Wirtschaftsbildung: Grünes Licht für weitere drei Jahre, 05.07.2023 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230705-OTS0103istiftung-fuer-wirtschaftsbildung-gruenes-licht-fuer-weitere-dreijahre

Polanyi, Karl, 1978 (1944): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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