Editorial: Österreich nach der Wahl
Nach dem Herbstblues: Wie geht es nun weiter?
Das Ergebnis der Nationalratswahl vom 29. September 2024, bei der die radikale Rechte in Gestalt der FPÖ erstmals auf Bundesebene stimmenstärkste Partei wurde, führt vielerorts zu Kopfzerbrechen: Wie soll es nun weitergehen? Das Vokabular von „Zeitwende“ und „Zäsur“ ist in den Vielfachkrisen der letzten Jahre abgenutzt geworden. Womöglich zwingt der nunmehrige Durchmarsch der FPÖ auf Platz I zudem dazu, die Kontinuitäten im rechtsautoritären Umbau Österreichs stärker in den Vordergrund zu rücken. Dann wäre die Effektivität kurzzeitiger Bremswirkungen für diesen Umbau – wie z.B. das abrupte Ende des schwarz-blauen Regierungsprojekts unter Sebastian Kurz – noch stärker zu relativieren. Haben progressive Kräfte dieses Zeitfenster womöglich zu wenig für ihre Neuformierung genutzt? Zwei Dinge scheinen zumindest unmittelbar sicher: Es gibt in Österreich neuerlich kein Regierungsprojekt ohne die Beteiligung der ÖVP. Und: Der Wind gegen sozial- und demokratiepolitische Grundfesten wird spätestens mit dem angekündigten Sparpaket noch schärfer.
Erstarken des Rechtsautoritarismus
Folglich ist auch das Kopfzerbrechen über mögliche Regierungsszenarien und -verhandlungen sehr ungleich verteilt. Die österreichische Industriellenvereinigung freute sich etwa bereits im Wahlkampf über das nahezu deckungsgleiche,,,standortfreundliche“ Wirtschaftsprogramm von FPÖVP. Die Frage ,,Wie blau ist die Industrie?“ steht nach dem Wahlausgang noch prominenter im Raum (Kern/Peterlik 2024). Vorbehalte gegen über Blau-Schwarz sind in der Großindustrie nur spärlich anzutreffen. Vereinzelten Sorgen – wie etwa um Reputationsrisiken im Exportgeschäft – steht der Ausblick auf die radikalisierte Neuaufnahme vormals nicht durchsetzbarer Demontageprojekte gegenüber. Dazu zählen bspw. weitere Steuergeschenke für Konzerne und Verschärfungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik (,,Hartz IV für Österreich“ vgl. Theurl 2018). Vonseiten der Industrie sind folglich wenig Skrupel gegenüber einer Vertiefung des Rechtsautoritarismus in Österreich zu erwarten. Dessen spezielle Erscheinungsformen und zersetzende Wirkung auf Demokratie und Gesellschaft standen in den letzten Jahren auch im Kurswechsel wiederholt zur Debatte (siehe z.B. Griesser/Hofmann 2018, Becker 2019).
Die Macht der Vermögensverteidigungsindustrie und andere Dilemmas
Der offensichtlichen Gefahr für demokratische und sozialstaatliche Grundfesten stehen die trüben Aussichten für ein „Ampel-Regierungsprojekt“ gegenüber. Der folgende, mehr als zehn Jahre alte Befund hat dabei kaum an Aktualität eingebüßt: ,,Trotz der zunehmenden sozialen Ungleichheit haben die konservativen Kräfte in der großen Koalition aus SPÖ und ÖVP alle Versuche, Steuern auf Kapital und privates Vermögen anzuheben, abgeblockt“ (Hermann/Flecker 2014: 186). Diese konservativen Kräfte sind nicht von der Bildfläche verschwunden. Sie fänden mit der kolportierten Beteiligung der marktliberalen NEOS nun einen weiteren Bündnispartner in den Reihen der Regierung. Die diesbezügliche Blockade würde angesichts des vielerorts angekündigten Sparpakets umso gravierender ausfallen. Ein derartiges Ampelprojekt lege nicht nur quer zum Ansinnen, sich den manifesten Problemen sozialer Spaltung und Verunsicherung zu stellen. Es stünde darüber hinaus dafür, diese weiter zu vergrößern. Wie sollen etwa tatsächliche Antworten auf verschärfte Ungleichheiten und „Kulturen der Ablehnung“ (Sauer/Opratko 2019) gegeben werden, wenn die budgetären Spielräume dafür bereits dem Grunde nach entzogen sind?
Eine derart auf Sparkurs getrimmte ÖVP-SPÖ-NEOS-Koalition könnte nicht zuletzt die Gewerkschaften vor die Quadratur des Kreises stellen. Rund ein Viertel der SPÖ-Ab geordneten steht in enger Verbindung zu den Gewerkschaften. Dem Ruf, im institutionellen Machtkontext „das Schlimmste zu verhindern‘: stünde in dieser Konstellation eine Art Klumpenrisiko für andere gewerkschaftliche Machtressourcen gegenüber: Das Mittragen von fatalen Sparkompromissen könnte so z.B. gerade auch auf Kosten der eigenen sozialen Mobilisierungskraft gehen. Zu einer anderen Facette des Post-Wahl Dilemmas hieß es zuletzt: ,,Man kann Kickl nicht regieren lassen … Das Ergebnis wäre fürchterlich für das Land. Andererseits kann man die Ampel nicht riskieren, die macht Kickl nur noch stärker“ (Thurnher 2024).
Zu den Beiträgen
Das vorliegende Debattenforum ist weit davon entfernt, diese akuten Problemlagen auflösen zu können. Es handelt sich mehr um einen Versuch, auf das unmittelbare Kopfzerbrechen nach der Wahl mit kritischer Verständigungsarbeit zu antworten. Da für haben wir Beiträge versammelt, die wertvolle Orientierungen für diese absehbaren Felder der Auseinandersetzung bieten können: dem angekündigten Sparkurs, der Resilienz der Demokratie und dem Griff in die Mottenkiste fossiler Retropolitik.
Laura Porak, Tamara Premrov und Daniel Witzani-Haim verweisen in ihrem einleiten den Beitrag auf Alternativen zum Sparpaket, das schon vor den Wahlen im Raum stand. Konkret zeigen sie infolge einer kurzen Analyse des Wahlergebnisses auf, dass ein Konjunkturpaket mit Schwerpunkt auf Frauen und Integration nicht bloß sinnvoll wäre. Es wäre mit Blick auf die neuen Fiskalregeln der EU grundsätzlich auch möglich – wo bei es den Autor‘;innen zufolge mit Bemühungen um eine Revision dieses Regelwerks einhergehen müsste. Erst mittelfristig sei eine Budgetkonsolidierung sinnvoll, sollte aber auch dann v.a. einnahmenseitig erfolgen und sich nicht negativ auf Verteilungs- und Klimapolitik auswirken.
Vor dem Hintergrund des beträchtlichen Machtzugewinns der FPÖ infolge der Nationalratswahlen fragt Sieglinde Rosenberger im folgenden Beitrag danach, was zu tun wäre, um ein weiteres Abgleiten in die „autoritäre Zeitenwende“ zu vermeiden. Mit Blick auf hierfür zentrale Strategien betont sie u.a. die Wichtigkeit einer Verteidigung und Stabilisierung von Demokratie. Dabei argumentiert sie, dass aufgrund des geringen gesellschaftlichen Vertrauens in institutionelle Politik nicht politische Parteien, sondern eine „demokratieorientierte Zivilgesellschaft“ die zentrale Rolle hierfür spielen müsse.
Ausgehend von den widerstreitenden Visionen zwischen „Autoland Österreich“ und ,,Bahnland Österreich‘: wie sie die schwarz-grüne Vorgänger-Regierung charakterisierten, geht Heinz Högelsberger im abschließenden Beitrag zum Debattenforum auf die Zukunft der Mobilitätswende ein. Mit Verweis auf die österreichische Industriepolitik der Nachkriegszeit und den aktuellen Zustand der hiesigen Automobilindustrie verdeutlicht er dabei die Macht der Fossilen als wesentlichen Faktor für aktuelle Auseinandersetzungen. Die Frage, ob diese auch Retro-Ideen zum Durchbruch verhelfen kann -etwa dem von Bundeskanzler Karl Nehammer geforderten „Aus zum Verbrenner-Aus“-, ist freilich offen.
Literatur
Becker,Joachim (2019):E ditorial zum Schwerpunkt „neue Autoritarismen“. In: Kurswechsel 2120193, -15.
Flecker,Jörg/Hermann, Christoph (2014): Die Krise bewältigt, aber die Zukunft nicht. Das österreichische Modell in der Finanz- und Wirtschaftskrise. In: Lehndorff, Steffen (Hg.): Spaltende Integration. Hamburg: VSA, 175-187.
Griesser, Markus/Hofmann,Julia (2018): Editorial zum Schwerpunkt „Freie Fahrt für reiche Burschen? SchwarzBlau ist zurück!“. In: Kurswechsel 3/2018, 3-7.
Kern,Julian/Peterlik, Clara (2024): Koalitionsfrage: Wie blau ist die Industrie? In: Profil 19.10.2024. https://www.profil.at/wirtschafl:/wie-blau-ist-die-industrie-koalition/402964268, 24.10.2024.
Sauer, Birgit/Opratko, Benjamin (2019): FPÖ bei der EU-Wahl: Erfolg für die Ablehnungskultur. In: Die Presse 2.6.2019. https://www.diepresse.com/5638250/fpoe-bei-der-eu-wahl-erfolg-fuer-die-ablehnungskultur, 24.rn.2024.
Theurl, Simon (2018): Arbeitsmarktpolitik Reloaded: Hartz IV für Österreich. In: Kurswechsel 3i2018, 75-82.
Thurnher, Armin (2024): Heimat bist du großer (H)Ampeln? Seuchenkolumne, Nachrichten aus der vervirten Welt 1406. In: Falter 23,10.2024. https://www.falter.at/seuchenkolumneho241o23/heimat-bist-du-grosserhampeln, 24.10.2024.