Disruptive Technologien? Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt

Christian Berger, Vanessa Redak

Stellen Sie sich vor, Ihnen wird der Arbeitsvertrag gekündigt, weil Ihr/Ihre Arbeitgeber:in Ihnen mangelnde Produktivität und Effizienz vorwirft. Die Entscheidung fußt dabei auf einer KI-ba­sierten Performance-Software, die alle Arbeitsschritte permanent aufzeichnet“ schreiben Jo­hannes Warter und Kolleg:innen in ihrem Beitrag in diesem Heft. Diese zunächst dys­topisch anmutende Vision ist schon längst Realität geworden. Die Nutzung von digitalen Technologien zur Überwachung, Kontrolle und Steuerung von menschlicher Arbeit ist neben militärischen Zwecken eines der erfolgreicheren Einsatzgebiete der neuen computer-gestützten Technologien. Bevor wir Ihnen sagen, wie Sie sich davor schützen, noch ein paar andere Gedanken zum Thema.

Im Gegensatz zur Überwachung von Arbeitnehmer:innen und Einsatz im Militär­wesen erweisen sich andere Zukunftsprognosen hinsichtlich Künstlicher Intelligenz (KI) und Digitalisierung oft als zweifelhaft. Geht dem Kapitalismus die Arbeit aus, wenn Roboter, machine learning und Künstliche Intelligenz die Produktion übernehmen? Das ist wohl eine der häufigsten Fragen, die sich in Bezug auf die Digitalisierung der Wirtschaft derzeit stellen. Manche Zukunftsvisionen bejahen dies (u.a. Brynkjolfsson/McAfee 2014), doch die meisten empirischen Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass die Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz zwar die Wirtschafts­- und Arbeitswelt verändern werden, aber der prognostizierte radikale Abbau von Arbeits­kräften nicht zu erwarten ist (vgl. Moody 2023).

Ebenso unklar ist, ob es durch den Einsatz von KI zu höherem Produktivitätswachs­tum kommt bzw. ob Unternehmen aus dem Einsatz digitaler Technologien höhere Profite erwirtschaften können. Die zentralen Akteure in diesem Bereich, die Big Tech­-Firmen wie Alibaba, Amazon, Apple, Google Alphabet, Meta (Facebook), Microsoft fahren vorerst mehrheitlich Verluste im Bereich der Entwicklung und Einsatz von KI ein, was einerseits an den enormen Entwicklungskosten liegt, andererseits an der (noch?) fehlenden Breite an Anwendungen und deren Nutzung (vgl. Diefenhardt 2024, Butol­lo 202 3 ). Die „Wertversprechen der digitalen Geschäftsmodelle“ (Butollo 202 3, 13 1) sind vorerst eben Versprechen, vielleicht sogar „soziotechnische Zukunftsvisionen“ (Staab/Pietron 2020, 27) zunehmend investiver und interventionistisch agierender Staaten, deren Realisierung unklar ist. Gleichzeitig werden für den Glauben an die profitable Zukunft der High-Tech-Branche selbst schon Unsummen an Werbegeldern und Mar­ketingmaßnahmen verwendet, um das Narrativ vom digitalen Profiteldorado aufrecht­ zu erhalten und um die Investitionen, insb. aus den öffentlichen Forschungs-, Entwi­cklungs-, Verteidigungs- und Militärbudgets, nicht zu verlieren (vgl. Diefenhardt ebd.).

Umgekehrt nützt auch das politische Establishment den Fortschrittsglauben in die neuen Technologien, um Handlungsfähigkeit und Optimismus trotz multipler Krisen zu demonstrieren. So etwa vermittelt die Europäische Union mit strategischen Projek­ten und Schlagwörtern wie „Digitale Agenda“ und „Digitale Dekade“ die Vorstellung, dass vermittels technologischer Optionen und Lösungen gesellschaftliche Krisenpro­zesse (wie zuvorderst der Klimawandel) zu bewältigen seien. Welche Interessen sich wie im Zuge dieses Hegemonieprojektes artikulieren, beschreiben Roland Atzmüller, Lukas Egger und Anna Pillinger in ihrem Beitrag.

Zu den Narrativen rund um die veränderte Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung gehört auch das Bild der flexiblen und globalen Internet-Nomad:innen, die an allen Stränden und Berggipfeln der Welt ihren Laptop aufschlagen und im Holiday-Office (oder der Workcation) die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit fließend gestalten. Zerlegt man jedoch die Wertschöpfungsketten in der datenverarbeitenden Branche in einzelne Teile, erweist sich dieses Bild als euphemistische Schöpfung. Ein klassischer Prozess in der Datenindustrie gliedert sich in: Datenerhebung – Datenverarbeitung – Modellerstellung- Modelleinsatz – Modellverbesserung (vgl. Srnicek 2023): Die Stufe der Datenverarbeitung nimmt dabei rund 80% der erforderlichen Arbeitszeit ein (vgl. ebd., 195) und entspricht keineswegs dem Bild der schönen neuen Arbeitswelt. Hier wird „häufig die Arbeitskraft marginalisierter Bevölkerungsgruppen innerhalb einzelner Länder (zum Beispiel Gefängnisinsass:innen oder Geflüchtete) oder weltweit (zum Beispiel Niedriglohnarbeiter:innen in Afrika, Asien und Lateinamerika) ausgenutzt, um auch so unschönen Betätigungen wie das Filtern von Daten hinsichtlich unange­brachter Inhalte nachzugehen.

Die Nutzung dieses Datenproletariats gepaart mit den bereits eingangs erwähnten

Überwachungsmechanismen stellt vermutlich eine sehr relevante Profitquelle im Be­ reich des Einsatzes digitaler Technologien in der Arbeitswelt dar. Zumindest lässt sich empirisch nachweisen, dass durch den stärkeren Einsatz von Überwachungstechnolo­gien in Fabriken und Produktionsstätten die tatsächlich geleistete Arbeitszeit gesteigert werden konnte (vgl. Moody 2023). Viele empirische Untersuchungen lassen daher da­ rauf schließen, dass die Erhöhung der Produktivität im digitalen Bereich zumindest sehr deutlich über die intensivere Ausbeutung der Arbeitskraft als durch Effizienzstei­gerungen in den Technologien selbst erreicht wurde. Zu unterscheiden ist hier in arbeitsersetzende Technologien, wobei sich Investments in die Automatisierung einer Wert­schöpfungskette für (Industrie-)Unternehmen nur rentiert, wenn dadurch auch eine Aussicht auf Wettbewerbsvorteile und Marktführerschaft besteht. Die überwiegend im Einsatz befindlichen mehr oder weniger intelligenten Spitzentechnologien, wie bei­spielsweise Produktionsassistenzsysteme oder Hebehilfen, wirken dabei überwiegend arbeitsunterstützend. (vgl. Schöggl/Berger 2022, 117 f.).

Zu dieser Ausbeutung Arbeitskraft oder „inneren Landnahme“ zählt aber auch die zunächst gegensätzlich anmutenden Variante: seit zwei, drei Jahrzehnten wird die Ein­beziehung der Subjekte und ihrer Subjektivität in Verwertungsformen des Kapitalismus konstatiert. Gerade diese Inwertsetzung von Gefühlen, Ideen, kulturellen Normen in die Profitgenerierung spielt im Digitalen eine besondere Rolle, da über das Nutzungsver­halten im Netz und über soziale Medien Daten aus dem Alltag der Menschen generiert werden, die für die Algorithmen der KI-Anwendungen von großer Bedeutung sind. Zum Teil wird dann auch Überwachung ersetzt durch die Selbstkontrolle und -disziplin der Arbeitenden, wenn sie das Gefühl haben, ihre Arbeit und ihr Alltagsleben werden eins.

Während also in den digitalen Überwachungstechnologien Formen tayloristischer Arbeitsprinzipien zu entdecken sind, wie die Idee der Trennung der Arbeitskraft vom Individuum im Rahmen vorstrukturierter und zerlegter Arbeitsschritte, setzen gleich­ zeitig digitale Technologien die Vereinnahmung des gesamten Individuums wertschöp­ferisch in Kraft. In beiden Bereichen kann die Effizienz der Arbeitskraft gesteigert wer­ den. In diesem Zusammenhang taucht ein Begriff wieder auf, der sich sowohl in den Analysen zur klassischen Fabriksarbeit entwickelt hat wie nun auch auf neue Formen der Arbeit angewandt werden kann: der Begriff der Entfremdung. Maria Becksteiner zeigt, wie sich der Begriff heute – jenseits früherer essentialistischer und entmündigen­ der Interpretationen – auf die neue digitale Arbeitswelt anwenden lässt bzw. warum es Sinn macht, wieder über ihn nachzudenken: Entfremdung liegt vor, weil die in der KI angelegte Komplexität für die meisten mit ihr Arbeitenden schwer verständlich ist, ihr Wissen um die Arbeit entwertet wird und dadurch auch ihre Autonomie im Umgang mit den Produktionsprozessen eingeschränkt wird. Dennoch plädiert Maria Becksteiner nicht für eine Ablehnung dieser Technologien, sondern für eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit ihnen.

Das hat er mit den meisten gesellschaftskritischen Autor:innen zu den digitalen Technologien gemeinsam: weder Technodeterminismus, -pessimismus noch -optimis­mus sind angebracht? Vielmehr geht es um eine dialektische Auseinandersetzung mit dem Potenzial der neuen Technologien und ihren Gefahren. Kritik am reinen Techno­determinismus ist angebracht: wenn man Arbeits- und Produktionsprozesse im Sinne kritischer Gesellschafstheorien als umstritten konzipiert, in denen eine Vielzahl an Akteur:innen um den Umgang mit den neuen Technologien in Verhandlungsprozessen ringt, ist das Ergebnis nicht vorherbestimmt. Natürlich finden diese Aushandlungen unter strukturellen Rahmenbedingungen und gegebenen Machtverhältnissen statt. Aber ,,(n)eue Technologien sind nicht selbsthandelndes Subjekt oder fallen vom Him­mel, sondern ihre Entwicklung und ihr Einsatz sind das Ergebnis gesellschaftlich orga­nisierter menschlicher Arbeit“ (Boes/Kämpf 2023, 144).

Die Zweifel am Produktivitätsversprechen der High Tech-Giganten erscheinen glaub­ würdig, die pessimistischen Prognosen hinsichtlich der sinkenden Beschäftigung em­pirisch kaum haltbar. Die Entwicklung von Technologien und ihr Zusammenwirken mit kapitalistischer Akkumulation ist kontingent, wie Benjamin Ferschli in seinem Bei­ trag über das „Ewige Ende der Arbeit“ aufzeigt.

Konkrete Untersuchungen und ihre politökonomische Interpretation zur Anwen­dung von digitalen Technologien und KI in der Arbeitswelt können helfen, ein realis­tischeres Bild von der Bedeutung dieser Technologien in Bezug auf den Wandel der Arbeit zu schaffen. Ein konkreter Arbeitsbereich wird dazu auch im Kurswechsel aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Birgit Trukeschitz und Carnelia Schneider zeichnen nach, wie der Einsatz von digitaler Technologie und KI im Pflegebereich zu Erleichte­rungen für die dort Beschäftigten führen kann. Brigitte Aulenbacher und Anna Pillinger erkennen die Entlastungsleistung des Technologieeinsatzes im Care-Bereich an, fragen sich aber auch, wen sie tatsächlich allen nützt. Dass es hierbei auch um ökonomische Effizienz und um das Stopfen von Arbeitskraftengpässen geht, muss letztendlich nicht immer zum Nutzen der Pflegebedürftigen und -beschäftigten sein.

Zur Kontingenztechnologischer Entwicklung gehören auch die Strategien und Handlungen der Beschäftigten in diesen Bereichen selbst. Auch wenn in einigen High Tech-Betrieben Gewerkschaften erfolgreich verdrängt wurden, formieren sich Beschäf­tigenvertretungen neu und reagieren auf die Herausforderungen der neuen digitalen Arbeitswelt – so etwa bei Google. ,,Digitalisierung als Werkzeug und Ausdruck politi­scher Interessenslagen“ (Schöggl/Berger 2022, 124) zu begreifen, heißt in diesem Zu­sammenhang, Streikstrategien anzupassen, die internationale Vernetzung und von Arbeitnehmer:innen mittels digitaler Tools voranzutreiben, in der digitalen Arbeits­sphäre koordiniert zu agieren und überall dort, wo private Unternehmen eine über­ mäßige Infrastruktur- oder Verhandlungsmacht gegenüber Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen erlangt haben oder erlangen wollen, ex ante oder ex post politisch­ regulativ einzugreifen (vgl. ebd., 124). Und wer sich zum Beispiel in Bezug auf die an­fänglich angeführte Bedrohung durch Überwachungstechnologien wappnen will, dem seien die Texte von Johannes Warter und Kolleg:innen sowie von Sebastian Klocker ans Herz gelegt. Anhand von verschiedenen Beispielen erläutern sie die Datenschutzbe­stimmungen und welche Rechte Arbeitnehmer:innen hierbei haben.

P.S.: Für das Editorial dieses Kurswechsels wurden die Beiträge der Autor:innen in ChatGPT eingegeben mit der Bitte, einen kurzen Essay zu verfassen. Das Ergebnis war unbrauchbar.

 

Quellen

Boes, A., Kämpf, T. (2023): Informatisierung und Informationsraum: Eine Theorie der digitalen Transformation, in: Carstensen, T. et al. (Hrsg.), 141-163.

Brynjolfsson, E., McAfee, A. (2014): The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird, Kulmbach.

Butollo, F. (2023): Das industrielle Internet als Ort der Wertschöpfung und -aneignung: erobert der Plattformkapitalismus die Industrie?, in: Carstensen, T. et al. (Hrsg. ), 121-140.

Butollo, F., Nuss, S. (2023) (Hrsg.): Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit, Berlin.

Carstensen, T., Schaupp, S., Sevignani, S. (2023) (Hrsg.): Theorien des digitalen Kapitalismus, Berlin.

Diefenhardt, F. (2024): Vom Ende der Zukunft, in: Tagebuch, Nr. z/2024, 24-27, Wien.

Moody, K. (2023): Schnelle Technologie, langsames Wachstum. Roboter und die Zukunft der Arbeit, in: Butollo, F./Nuss., S. (2023), 132-155.

Srnicek, N. (2023): Daten, Datenverarbeitung, Arbeit, in: Carstensen, T. et al. (2023), 187-205.

Schöggl, A., Berger, C. (2022): Digitalisierung in der Krise: Geschlecht, Konzentration und Organisierung. Perspektiven für die Arbeitnehmer*innen-Interessensvertretung, in: Momentum Quarterly, Vol. n/2, n4-128.

Staab, P., Pietron, D. (2020): Industriepolitik im Zeitalter künstlicher Intelligenz Zur Renaissance interventionistischer Staatlichkeit, in: BEHEMOTH A Journal on Civilisation, Vol. 1J/1, 23-34.