Wirtschaftspolitische Prioritätensetzung per Verfassung? – BEIGEWUM

Wirtschaftspolitische Prioritätensetzung per Verfassung?

am 11. April 2017 um 16:06h

Georg Feigl (BEIGEWUM und AK Wien)

Anläss­lich des Rechts­streits über den Bau der 3. Flug­ha­fen­pis­te kam die For­de­rung nach einer Ver­an­ke­rung “des Wirt­schafts­stand­orts“ in der Ver­fas­sung auf. Umwelt­po­li­tik dür­fe recht­lich nicht mehr zäh­len, so das Argu­ment. Mit ähn­li­chen Argu­men­ten wur­de im Zuge der Kri­se ver­sucht, bud­get­po­li­ti­sche Zie­le, durch deren Ver­an­ke­rung in der Ver­fas­sung, über alle ande­ren zu stel­len. Ähn­lich­kei­ten zei­gen sich auch mit der Debat­te über Han­dels­ver­trä­ge, wo mit­tels über­ge­ord­ne­ten Schieds­ge­rich­ten ver­sucht wur­de Inter­es­sen von Inves­to­rIn­nen vor­ran­gig abzusichern.

Poli­tik­wis­sen­schaf­te­rIn­nen spre­chen des­halb von einem „neu­en Kon­sti­tu­tio­na­lis­mus“ oder einer „Juris­to­kra­tie“, also einem Trend, gewis­se The­men unan­tast­bar zu machen – oder nega­tiv for­mu­liert durch zusätz­li­che Hür­den poli­ti­sche Ände­run­gen des Sta­tus quo zu erschwe­ren. Wirt­schafts­po­li­tisch spie­gelt sich dar­in die Kon­tro­ver­se um regel­ge­bun­de­ne oder situa­ti­ons­ad­äqua­te Ent­schei­dun­gen. Ers­te­re gehen meist mit einem neo­li­be­ra­len Poli­tik­ver­ständ­nis ein­her, wäh­rend letz­te­re eher mit einer keyne­sia­ni­schen Wirt­schafts­po­li­tik asso­zi­iert ist, die auf eine mög­lichst brei­te Ein­be­zie­hung aller Wirt­schafts­ak­teu­re zwecks kon­sens­ori­en­tier­te Ent­schei­dun­gen abhän­gig von der jeweils aktu­el­len poli­ti­schen Situa­ti­on abzielt.

Die Schnitt­men­ge zwi­schen die­sen wirt­schafts­po­li­ti­schen Welt­an­schau­un­gen ist gering, aber doch vor­han­den, bspw. in der abs­trak­ten Ori­en­tie­rung am mensch­li­chen Wohl­erge­hen ins­be­son­de­re in Form von mate­ri­el­len Wohl­stand. Will man auf höhe­rer Ebe­ne grund­sätz­li­che wirt­schafts­po­li­ti­sche Zie­le ver­an­kern, so soll­te Wohl­stand und Wohl­erge­hen als Ori­en­tie­rungs­punkt gewählt und in Fol­ge kon­kre­ti­siert wer­den. Auch gilt es Mecha­nis­men zu ent­wi­ckeln, wie kon­kre­te Prio­ri­tä­ten regel­mä­ßig demo­kra­tisch fest­ge­legt wer­den können.

Vie­les davon gibt es bereits, doch fehlt eine kon­se­quen­te Anwendung:

Das magische Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik

Über Jahr­zehn­te galt das magi­sche Vier­eck der Wirt­schafts­po­li­tik über Par­tei­gren­zen hin­weg als all­ge­mein akzep­tier­ter Refe­renz­rah­men für die Wirt­schafts­po­li­tik. Es fokus­sier­te vor allem auf Wirt­schafts­wachs­tum, aber auch auf Voll­be­schäf­ti­gung, Preis­sta­bi­li­tät und ein außen­wirt­schaft­li­ches Gleich­ge­wicht. Inhä­ren­te Wider­sprü­che – bei­spiels­wei­se zwi­schen Preis­sta­bi­li­tät und Beschäf­ti­gung oder hohem Wirt­schafts­wachs­tum und außen­wirt­schaft­li­chem Gleich­ge­wicht – wur­den trans­pa­ren­ter und bes­ser verhandelbar.

Nimmt man die pro­mi­nen­te Kri­tik am Wirt­schafts­wachs­tum als Wohl­stands­in­di­ka­tor ernst und berück­sich­tigt die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se, so müss­te das his­to­ri­sche magi­sche Viel­eck umfor­mu­liert wer­den. In einem neu­en magi­schen Viel­eck wohl­stands­ori­en­tier­ter Wirt­schafts­po­li­tik soll­te des­halb Wachs­tum durch drei Ober­zie­le fair ver­teil­ter mate­ri­el­ler Wohl­stand, Lebens­qua­li­tät und intak­te Umwelt ersetzt wer­den, auch wenn es oft­mals ein zweck­dien­li­ches Mit­tel für mehr Wohl­stand dar­stel­len wird. Zudem ist das alte Ziel „Voll­be­schäf­ti­gung“ auf­zu­wer­ten und um den Aspekt gute Arbeit zu ergän­zen. In den vier Dimen­sio­nen sind Gen­der-Aspek­te jeweils expli­zit zu berück­sich­ti­gen (ähn­lich wie das Sta­tis­tik Aus­tria bereits in ihrem Indi­ka­to­ren­set tut).

magisches Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik, Wohlstandsorientierung, magisches Viereck

Dar­über hin­aus soll­ten die für die öko­no­mi­sche Sta­bi­li­tät not­wen­di­gen Zie­le „außen­wirt­schaft­li­ches Gleich­ge­wicht“ und „Preis­sta­bi­li­tät“ vor dem Hin­ter­grund der Finanz- und Wirt­schafts­kri­se um die Zie­le „sta­bi­le Finanz­märk­te“ und „sta­bi­le Staats­tä­tig­keit“ (die sich aus sta­bi­len Staats­fi­nan­zen und sta­bi­lem öffent­li­chen Ver­mö­gen zusam­men­setzt) ergänzt werden.

Verankerung des neuen magischen Vielecks

Ange­sichts eines dem markt­ba­sier­ten Wirt­schafts­sys­tem ein­ge­schrie­be­nen Wachs­tums­zwangs bedarf es – in Anleh­nung an Karl Polanyi – star­ker demo­kra­ti­scher Kon­troll- und Kor­rek­tur­me­cha­nis­men, um von der Wachs­tums­fi­xie­rung weg­zu­kom­men und um ein gesell­schaft­lich wün­schens­wer­tes Ergeb­nis zu erzie­len. Wer­den die Zie­le anhand des neu­en magi­schen Viel­ecks von rele­van­ten wirt­schafts­po­li­ti­schen Akteu­ren breit dis­ku­tiert und ihre Errei­chung adäquat gemes­sen, könn­te dies bereits ein Ein­stieg in den Umstieg auf eine wohl­stands­ori­en­tier­te Wirt­schafts­po­li­tik sein – in Euro­pa wie in Österreich.

Als Refe­renz­fo­lie für die Dis­kus­si­on über eine erfolg­rei­che Ver­an­ke­rung wohl­stands­ori­en­tier­ter Wirt­schafts­po­li­tik kön­nen die zuletzt beschlos­se­nen Refor­men der euro­päi­schen wirt­schafts­po­li­ti­schen Gover­nan­ce die­nen. Zwar sind sie vor allem unter wirt­schafts­po­li­ti­schen (Fokus auf Haus­halts­kon­so­li­die­rung und Wett­be­werbs­fä­hig­keit) und demo­kra­tie­po­li­ti­schen (Stär­kung von Exe­ku­ti­ve und nicht reprä­sen­ta­ti­ven Exper­tIn­nen, Schwä­chung der Par­la­men­te und der Zivil­ge­sell­schaft) Gesichts­punk­ten abzu­leh­nen; Trotz­dem kön­nen die­se Weg­mar­ken als rich­tungs­wei­send dafür ange­se­hen wer­den, was für die wir­kungs­vol­le Ver­an­ke­rung wohl­stands­ori­en­tier­ter Wirt­schafts­po­li­tik wich­tig ist:

  • ein kohä­ren­ter wirt­schafts­po­li­ti­scher Pro­zess mit jähr­lich wie­der­keh­ren­den wirt­schafts­po­li­ti­schen Debat­ten und Beschlüs­sen ins­be­son­de­re über zukünf­ti­ge Prio­ri­tä­ten (Domi­nanz der Exe­ku­ti­ve auf Euro­päi­scher Ebe­ne müss­te in Öster­reich durch einen brei­ten par­la­men­ta­ri­schen Ent­schei­dungs­pro­zess unter Ein­bin­dung von Sozi­al­part­nern und Zivil­ge­sell­schaft ver­hin­dert werden)
  • ein neu­es Indi­ka­to­ren­set zur Mes­sung wirt­schafts­po­li­ti­scher Zie­le (ähn­lich dem der Sta­tis­tik Aus­tria)
  • Fest­le­gung von Ober- und Unter­gren­zen für beson­ders wich­ti­ge Indi­ka­to­ren und vor­de­fi­nier­te Pro­zes­se zum Umgang mit Über­schrei­tun­gen (mit Fokus auf fle­xi­ble­re Ori­en­tie­rungs­grö­ßen mit der Kon­se­quenz eines brei­ten öffent­li­chen Dis­kus­si­ons­pro­zes­ses statt der ein­sei­ti­gen Fiskalregeln)
  • neue bera­ten­de Insti­tu­tio­nen, die Kurs­ab­wei­chun­gen ana­ly­sie­ren und die Grund­la­ge für eine Debat­te über sinn­vol­le Kurs­än­de­run­gen legen (reprä­sen­ta­ti­ver Wohl­stands­rat plus par­la­men­ta­ri­sche und öffent­li­che Debat­te anstel­le der ein­sei­ti­gen Fiskalräte)
  • neue Ana­ly­se­instru­men­te (Jah­res­wohl­stands­be­rich­te anstel­le von Jah­res­wachs­tums­be­richt etc.

Fazit: Ort des Wohlstands statt bloßer Wirtschaftsstandort

Wie bereits im Abschluss­be­richt des groß ange­leg­ten WIFO-Pro­jekts „WWW­for­Eur­o­pe“ unter Mit­wir­kung dut­zen­der ande­rer euro­päi­scher Wirt­schafts­in­sti­tu­te fest­ge­hal­ten braucht es eine Per­spek­ti­ve, die über die engen Gren­zen „des Wirt­schafts­stand­orts“ hin­aus­weist. Euro­pa – und damit wohl auch Öster­reich selbst – soll­te eine „regi­on with high social and envi­ron­men­tal stan­dards gua­ran­te­eing its citi­zens a high level of well­being“ wer­den. Dafür braucht es mehr als neue Schlag­wor­te in der Ver­fas­sung. Ein magi­sches Viel­eck wohl­stands­ori­en­tier­ter Wirt­schafts­po­li­tik wäre ein Anfang, wohl­stands­ori­en­tier­te Fol­ge­pro­jek­te (z.B. sozi­al-öko­lo­gi­sches Inves­ti­ti­ons­pro­gram­me) die Fortführung.

Kategorie: blog | Tags: , , , Kommentare deaktiviert für Wirtschaftspolitische Prioritätensetzung per Verfassung?

Noch keine Kommentare.

Zum Anfang der Seite