2016 September – BEIGEWUM

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Ökonomische Einseitigkeit und die Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit

22. September 2016 – 15:45 Uhr

Öko­no­mi­sche Ein­sei­tig­keit und die Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit

Arne Hei­se

Die ein­sei­ti­ge Bevor­zu­gung der neo­klas­sisch-neo­li­be­ra­len Main­stream-Öko­no­mie im Wis­sen­schafts­be­trieb stellt eine Gefahr für die Frei­heit der Wis­sen­schaft dar. Auch wenn sich der Wind zu dre­hen beginnt, wie bei­spiels­wei­se der Auf­stand der Stu­die­ren­den der Volks­wirt­schafts­leh­re zeig­te, kommt es auf den Uni­ver­si­tä­ten auch mit der Finanz- und Wirt­schafts­kri­se noch nicht zu mehr Plu­ra­lis­mus. Um die Frei­heit der Wis­sen­schaft auch in der Öko­no­mie zu bewah­ren, soll­ten sich die Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen mit die­ser The­ma­tik beschäf­ti­gen und Maß­nah­men ergrei­fen, wie Plu­ra­lis­mus gesi­chert wer­den kann. Denk­bar sind bspw. ein Plu­ra­lis­mus-Kodex, ‚Plu­ra­lis­mus-Beauf­trag­te‘ oder auch finan­zi­el­le Anrei­ze wie spe­zi­el­le Fonds für hete­ro­do­xe For­schungs­pro­jek­te, über deren Ver­ga­be Fach­aus­schüs­se ent­schei­den, in denen mehr­heit­lich hete­ro­do­xe Öko­no­men sitzen. 

  1. Einleitung

Die Cana­di­an Asso­cia­ti­on of Uni­ver­si­ty Tea­chers (CAUT) setz­te im Früh­jahr 2013 eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ein, um zu prü­fen, ob am Depart­ment of Eco­no­mics der Uni­ver­si­ty of Mani­to­ba die Frei­heit der Wis­sen­schaft gefähr­det sei. Es ging hier­bei nicht um staat­li­che Ein­grif­fe in den aka­de­mi­schen Betrieb, son­dern um Vor­gän­ge am Depart­ment of Eco­no­mics, die den dort bis­lang herr­schen­den Wis­sen­schafts­plu­ra­lis­mus ein­zu­schrän­ken droh­ten und die Stel­lung der ver­blie­be­nen hete­ro­do­xen Öko­nom­In­nen durch eine ein­sei­ti­ge Bevor­zu­gung der neo­klas­sisch-neo­li­be­ra­len Main­stream-Öko­no­men unterminierten.

Bemer­kens­wert ist dar­an nicht nur der schluss­end­lich affir­ma­ti­ve Befund einer Ein­schrän­kung der Wis­sen­schafts­frei­heit durch die aus Nicht-Volks­wir­tIn­nen bestehen­de Kom­mis­si­on, son­dern die Aus­deh­nung des Begriffs Wis­sen­schafts­frei­heit über die rei­ne Schutz­funk­ti­on des indi­vi­du­el­len Abwehr­rechts hin­aus. Wis­sen­schafts­frei­heit umfasst näm­lich auch die Norm, dass der Staat – bzw. deren auto­no­me Ver­tre­te­rIn­nen – Wis­sen­schaft so zu orga­ni­sie­ren hat, dass die Teil­nah­me dar­an für alle Wis­sen­schaft­le­rIn­nen dis­kri­mi­nie­rungs­frei ermög­licht wer­den muss. Die Kom­mis­si­on der CAUT über­trägt in ihrem Report die­se Ver­ant­wor­tung – die eigent­lich selbst­ver­ständ­lich sein soll­te – den Mit­glie­dern der dis­zi­plin­ge­bun­de­nen ‚Sci­en­ti­fic Community‘:

An aca­de­mic owes a duty to con­si­der dif­fe­ring views and, if war­ran­ted, to chal­len­ge them in the aca­de­mic are­na through wri­ting and deba­te. It is not the natu­re of the deba­te but rather the impli­ca­ti­ons of aggres­si­ve posi­ti­ons which can vio­la­te the academic’s ethi­cal duty to other mem­bers of the aca­de­mic com­mu­ni­ty. A vio­la­ti­on of aca­de­mic free­dom occurs when the effect of tho­se posi­ti­ons impairs the abi­li­ty of tho­se who fol­low a dif­fe­rent path from pur­suing that path in their rese­arch and tea­ching. This test is an objec­ti­ve one“ (S. 12).

Und die Kom­mis­si­on kon­sta­tiert, dass eine Teil­men­ge die­ser ‚Sci­en­ti­fic Com­mu­ni­ty‘ – der so genann­te Main­stream – wis­sen­schaft­li­che Stan­dards fest­legt, die eine ande­re Teil­men­ge die­ser Wis­sen­schaft­ler­ge­mein­schaft – die so genann­ten hete­ro­do­xen Öko­nom­In­nen – zuneh­mend vom Wis­sen­schafts­be­trieb aus­schließt: D.h. hete­ro­do­xe Öko­nom­In­nen fin­den zuneh­mend weni­ger Berück­sich­ti­gung bei der Rekru­tie­rung und bei der Orga­ni­sa­ti­on des Lehr- und For­schungs­be­triebs, wo sie z.B. von der Teil­nah­me an der Gra­du­ier­ten­schu­le und mit­hin der Aus­bil­dung des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses aus­ge­schlos­sen wer­den. In Fol­ge bekom­men sie auch kei­ne lei­ten­de Funk­tio­nen mehr über­tra­gen. So wird ein einst plu­ral besetz­tes Depart­ment immer mehr in ein homo­gen am Main­stream aus­ge­rich­te­tes Depart­ment ver­wan­delt, von dem nur noch bestimm­te Lehr­ver­an­stal­tun­gen ange­bo­ten werden.

  1. Die Ent­plu­ra­li­sie­rung der Wirtschaftswissenschaften

Eine ähn­li­che Ent­wick­lung erle­ben wir in Deutsch­land: In unse­rem neu­en Buch beschrei­ben wir die zuneh­men­de Ent­plu­ra­li­sie­rung der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten und der Mar­gi­na­li­sie­rung der hete­ro­do­xen Öko­no­mik. Zwar gibt es ähn­li­che Stu­di­en für Öster­reich bis­lang noch nicht, doch dürf­te es nicht ganz ver­kehrt sein, wenn man den öster­rei­chi­schen Uni­ver­si­tä­ten eine ähn­li­che Ent­wick­lung kon­ze­diert – auch wenn his­to­risch bedingt noch eine etwas grö­ße­re Plu­ra­lis­mus­be­reit­schaft vor­herr­schend sein dürfte.

Ange­sichts der bla­ma­blen Rol­le, die die Main­stream-Öko­no­mik bei der Vor­her­sa­ge, Erklä­rung und Über­win­dung der jüngs­ten Welt­fi­nanz­kri­se gespielt hat, ist das bemer­kens­wert. Zwar führ­te die­ser Pro­zess zu einer kri­ti­schen Refle­xi­on über den Zustand der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, doch schlug sich das bis­her noch nicht insti­tu­tio­nell nieder.

Wäre die Ent­plu­ra­li­sie­rung das Ergeb­nis wis­sen­schafts­theo­re­ti­scher Refle­xio­nen und eines streng wett­be­werb­li­chen Aus­wahl­ver­fah­rens gewe­sen, dann wäre sie noch rela­tiv unpro­ble­ma­tisch. Wenn sich also wis­sen­schafts­theo­re­tisch zei­gen lie­ße, dass die Wirt­schafts­wis­sen­schaft als jene Sozi­al­wis­sen­schaft auf der Suche nach der ein­zig rich­ti­gen Gegen­stands­er­klä­rung (‚Wahr­heit‘) nur monis­tisch (‚auf einer ein­zig­ar­ti­gen Erklä­rung beru­hend‘) zu betrei­ben ist und der gegen­wär­ti­ge Main­stream sich auf­grund der bes­se­ren Rea­li­täts­er­klä­rung als ‚Nor­mal­wis­sen­schaft‘ gegen alter­na­ti­ve Para­dig­men durch­ge­setzt hät­te, wäre der Ent­plu­ra­li­sie­rungs­pro­zess nur das zwangs­läu­fi­ge Ergeb­nis einer rei­fen­den Wis­sen­schaft gewe­sen. Die Vor­gän­ge am Depart­ment of Eco­no­mics der Uni­ver­si­ty of Mani­to­ba (und an vie­len Uni­ver­si­tä­ten in Deutsch­land, Öster­reich und anders­wo) wären deren zwangs­läu­fi­ge admi­nis­tra­ti­ve Umsetzung.

  1. Öko­no­mi­scher Plu­ra­lis­mus als wis­sen­schaft­li­cher Imperativ

Eine wei­te­re neue Stu­die zeigt hin­ge­gen, dass der Wis­sen­schafts­plu­ra­lis­mus – ins­be­son­de­re ver­stan­den als Paradigmen‑, Metho­den- und Theo­ri­en­plu­ra­lis­mus und damit dem herr­schen­den neo­li­be­ra­len Para­dig­men­mo­nis­mus und for­mal-mathe­ma­ti­schen Metho­den­ab­so­lu­tis­mus ent­ge­gen­ge­setzt – die ein­zig akzep­ta­ble Kon­zep­ti­on für eine Sozi­al­wis­sen­schaft ist, die mit zahl­rei­chen Erkennt­nis­pro­ble­men kon­fron­tiert ist.

Plu­ra­lis­mus ein­zu­for­dern, ist also nicht bloß eine Sache der Fair­ness, der man zustim­men kann oder auch nicht, son­dern ein wis­sen­schafts­theo­re­ti­scher Impe­ra­tiv. Und die Ein­schrän­kung des Plu­ra­lis­mus in den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten ist genau dann als Ver­stoß gegen die (in Deutsch­land und Öster­reich ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te) Wis­sen­schafts­frei­heit zu wer­ten, wenn sie nicht aus­schließ­lich das Ergeb­nis einer empi­ri­schen Wie­der­le­gung oder den Nach­weis man­geln­der theo­re­ti­scher Erklä­rungs­kraft der hete­ro­do­xen Model­le und Para­dig­men ist – was nicht der Fall ist.

Eine der­ar­tig wis­sen­schafts­im­ma­nen­te Selek­ti­on aber gibt es schon des­halb nicht, weil sich der neo­li­be­ra­le Main­stream mit der Hete­ro­do­xie gar nicht erst aus­ein­an­der setzt. Sei­ne ableh­nen­de Hal­tung ent­spricht dabei mehr einer wer­ten­den Dis­kri­mi­nie­rung denn wis­sen­schaft­li­cher Selek­ti­on. Fest­zu­ma­chen ist das an der Fixie­rung auf Sekun­där­kri­te­ri­en wie z.B. der man­geln­den Attrak­ti­ons­fä­hig­keit von Dritt­mit­teln bei repu­ta­ti­ons­über­tra­gen­den Insti­tu­tio­nen wie der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) oder der gerin­gen Publi­ka­ti­ons­fä­hig­keit in Bench­mark-Jour­na­len wie dem Ame­ri­can Eco­no­mic Review oder dem Jour­nal of Poli­ti­cal Eco­no­my, die die hete­ro­do­xen Öko­nom­In­nen gar nicht erfül­len kön­nen, weil z.B. die Fach­gre­mi­en der DFG fast aus­schließ­lich mit Main­stream-Öko­no­men besetzt und die ‚Bench­mark-Jour­nals‘ nach­weis­lich nicht für hete­ro­do­xe Bei­trä­ge offen sind: Lässt man fünf Füch­se und einen Hasen dar­über ent­schei­den, was es zum Mit­tag­essen gibt, ist klar, wer auf der Stre­cke bleibt.

  1. Die Wie­der­her­stel­lung der Wissenschaftsfreiheit 

Unter die­sen Bedin­gun­gen müs­sen die Ent­plu­ra­li­sie­rungs- und Mar­gi­na­li­sie­rungs­pro­zes­se, wie sie all­ge­mein in der deut­schen und inter­na­tio­na­len Uni­ver­si­täts­land­schaft und ganz kon­kret und nach­weis­bar an der Uni­ver­si­ty of Mani­to­ba zu beob­ach­ten sind, als Ein­schrän­kung der Wis­sen­schafts­frei­heit begrif­fen wer­den, wie es die CAUT-Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ja auch kon­se­quen­ter­wei­se bewer­tet hat. Dar­un­ter lei­den die betrof­fe­nen Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und deren wis­sen­schaft­li­cher Nach­wuchs, aber auch die Wis­sen­schaft und die sie finan­zie­ren­de Gesell­schaft. Es wäre wün­schens­wert, wenn sich auch in Deutsch­land und Öster­reich Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie z.B. der Deut­sche Hoch­schul­ver­band, der Öster­rei­chi­sche Uni­ver­si­täts­pro­fes­so­rIN­Nen­ver­band, die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft, der öster­rei­chi­sche Wis­sen­schafts­fonds FWF oder auch der Ver­ein für Social­po­li­tik mit die­ser The­ma­tik beschäf­ti­gen und in genau­so unvor­ein­ge­nom­me­ner Wei­se wie die CAUT-Kom­mis­si­on dar­über nach­den­ken wür­den, mit wel­chen Regu­lie­run­gen dem Ver­sa­gen des ‚Mark­tes für wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­che Ideen‘ bei­zu­kom­men ist.

Zu den­ken wäre bei­spiels­wei­se an einen Plu­ra­lis­mus-Kodex (ähn­lich den Kodi­zes zur Ein­hal­tung guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis) oder die Ein­füh­rung von ‚Plu­ra­lis­mus-Beauf­trag­ten‘ (ähn­lich den Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten), womit ein gewis­ser Anteil an hete­ro­dox besetz­ten Lehr­stüh­len an allen wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Fach­be­rei­chen gesi­chert wer­den könn­te – das Depart­ment of Eco­no­mics an der Uni­ver­si­ty of Mas­sa­chu­setts at Amherst bei­spiel­wei­se hat mit einer ver­gleich­ba­ren Pra­xis gute Erfah­run­gen gemacht. Oder es könn­ten auch finan­zi­el­le Anrei­ze gesetzt wer­den, indem z.B. die DFG oder der FWF spe­zi­el­le Fonds für hete­ro­do­xe For­schungs­pro­jek­te bereit­stel­len, über deren Ver­ga­be Fach­aus­schüs­se ent­schei­den, in denen mehr­heit­lich hete­ro­do­xe Öko­nom­In­nen sitzen.

Es gin­ge also um die Schaf­fung eines ord­nungs­po­li­ti­schen Rah­mens, der die Chan­cen­gleich­heit wie­der­her­stellt, die Wis­sen­schafts­frei­heit schützt und den Ideen­wett­be­werb belebt, ohne Qua­li­täts­stan­dards auf­ge­ben zu müs­sen. Eine Fort­schrei­bung des gegen­wär­ti­gen Zustands jeden­falls ist kei­ne Option.

Lese­emp­feh­lung: Die Zukunft der Volks­wirt­schafts­leh­re: Kann die öko­no­mi­sche Wis­sen­schaft plu­ral werden?

Kommentare deaktiviert für Ökonomische Einseitigkeit und die Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit | Kategorie: blog

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