Die niedrige Inflation Euroraum – Ein wirtschaftspolitisches Dilemma – BEIGEWUM

Die niedrige Inflation Euroraum – Ein wirtschaftspolitisches Dilemma

am 24. April 2014 um 21:30h

Die nied­ri­gen Infla­ti­ons­ra­ten in der Peri­phe­rie[1] sind ein wirt­schafts­po­li­ti­sches Dilem­ma für Euro­pa. Einer­seits gel­ten sie als not­wen­di­ger Bestand­teil der Anpas­sun­gen im Euro­raum, ande­rer­seits besteht die Mög­lich­keit einer defla­tio­nä­ren Spi­ra­le in die­sen Volks­wirt­schaf­ten. Der vor­lie­gen­de Bei­trag dis­ku­tiert und quan­ti­fi­ziert die wesent­li­chen Kanä­le, und dis­ku­tiert Argu­men­te für eine höhe­re Infla­ti­ons­ra­te in Deutsch­land. Die­se wür­de die not­wen­di­gen Anpas­sun­gen in der Peri­phe­rie erleich­tern und die Gefahr einer defla­tio­nä­ren Spi­ra­le in die­sen Län­dern mini­mie­ren. Eine Erhö­hung des Infla­ti­ons­ziels der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) ist dazu nicht notwendig.

Seit Mit­te 2012 geht der Anstieg des har­mo­ni­sier­ten Ver­brau­cher­preis­in­dex (HVPI) in der Mehr­zahl der 17 Mit­glieds­län­der des Euro­raums[2] kon­ti­nu­ier­lich zurück. Eini­ge sind bereits in die Defla­ti­on abge­rutscht. Die Ent­wick­lung hat im Wesent­li­chen zwei Ursa­chen: Ers­tens, nega­ti­ve Basis­ef­fek­te bei den vola­ti­len Kom­po­nen­ten[3] der Infla­ti­ons­ra­te. Und zwei­tens, einen merk­li­chen Rück­gang der Kern­in­fla­ti­on (der Preis­an­stie­ge für Dienst­leis­tun­gen und nicht-ener­ge­ti­sche Indus­trie­gü­ter) infol­ge einer durch­wegs schwa­chen wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung in die­sem Zeitraum.

Die nied­ri­ge Infla­ti­on in den peri­phe­ren Volks­wirt­schaf­ten stellt die euro­päi­sche Wirt­schafts­po­li­tik vor ein Pro­blem. Einer­seits, so wird häu­fig argu­men­tiert, ist die Kor­rek­tur der über­höh­ten Infla­ti­ons­ra­ten der Peri­phe­rie von vor der Kri­se ein not­wen­di­ger Bestand­teil der Anpas­sun­gen im Euro­raum[4], ande­rer­seits besteht dadurch die Gefahr einer defla­tio­nä­ren Spi­ra­le (sie­he Abbil­dung oben). Nied­ri­ge Infla­ti­ons­ra­ten und ‑erwar­tun­gen füh­ren – über höhe­re Real­zin­sen und über uner­war­tet hohe Real­schul­den – zu sin­ken­der Nach­fra­ge, die wie­der­um – cete­ris pari­bus – zu einer nied­ri­ge­ren Infla­ti­on bei­trägt. In einem rezen­ten Blog-Bei­trag hat Oli­vi­er Blan­chard die Mög­lich­keit einer defla­tio­nä­ren Spi­ra­le im Euro­raum als eine der zwei wesent­li­chen Risi­ken für den welt­wirt­schaft­li­chen Aus­blick des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) bezeich­net. Auch wenn zum gege­be­nen Zeit­punkt die lang­fris­ti­gen Infla­ti­ons­er­war­tun­gen (gemes­sen als die durch­schnitt­li­che Infla­ti­on über 5 Jah­re in 5 Jah­ren) für den gesam­ten Euro­raum gut ver­an­kert schei­nen, so soll­te die Geld­po­li­tik den­noch wach­sam sein.

Betrach­ten wir die ein­zel­nen Kanä­le im Detail. Die Real­zin­sen (Abbil­dun­gen oben) erge­ben sich als Dif­fe­renz aus Nomi­nal­zin­sen[5] und erwar­te­ter Infla­ti­on[6]. Im Euro­raum-Durch­schnitt lie­gen sie im Dezem­ber 2013 bei ca. 1%. Abbil­dung 2 macht die Hete­ro­ge­ni­tät inner­halb des Euro­raums deut­lich. Wäh­rend die grie­chi­schen Unter­neh­men und Haus­hal­te mit Real­zin­sen von ca. 4% rech­nen müs­sen, sind die Real­zin­sen für eini­ge Mit­glieds­län­der sogar nega­tiv (u.a. für Öster­reich). Die rela­tiv stär­ker gesun­ke­nen Infla­ti­ons­er­war­tun­gen in der Peri­phe­rie sind ein wesent­li­cher Grund für die sicht­ba­re Hete­ro­ge­ni­tät. Wäh­rend die geld­po­li­ti­sche Locke­rung seit 2008 in allen Län­dern zu nied­ri­ge­ren Nomi­nal­zin­sen geführt hat, haben die stark gesun­ke­nen Infla­ti­ons­er­war­tun­gen in der Peri­phe­rie die­sen Rück­gang abge­schwächt, in Grie­chen­land sogar umge­kehrt. Die Real­zin­sen im Euro­raum waren im Dezem­ber 2013 ca. 2 pp nied­ri­ger als noch Anfang 2008, jene in Grie­chen­land um ca. 2 pp höher.

Als zwei­ten Kanal betrach­ten wir den Effekt der Infla­ti­ons­er­war­tun­gen auf die rea­le Ver­schul­dung, auch Fisher-Effekt genannt (sie­he Abbil­dung oben). Dazu ver­glei­chen wir den Bar­wert zwei­er fik­ti­ver Kre­dit­kon­trak­te, eine ver­brei­te­te Metho­de in die­sem Zusam­men­hang. Bei­de Kon­trak­te wer­den im Jän­ner 2008 abge­schlos­sen und sind im Dezem­ber 2013 end­fäl­lig zu til­gen (Lauf­zeit 6 Jah­re), die Nomi­na­le beträgt 100 Euro und der Zins­satz ist fix. Der ers­te Bar­wert basiert auf der erwar­te­ten Infla­ti­on zum Zeit­punkt des Ver­trags­ab­schlus­ses und berech­net sich wie folgt:

BW1=N/(1+i‑infe),

wobei BW1 gleich Bar­wert 1, N gleich der Nomi­na­le, i gleich dem Nomi­nal­zins und infe gleich der erwar­te­ten Infla­ti­on zum Zeit­punkt des Ver­trags­ab­schlus­ses (also der durch­schnitt­li­chen Infla­ti­ons­ra­te der letz­ten 24 Mona­te). Der zwei­te Bar­wert berech­net sich bei­na­he iden­tisch, in der obi­gen For­mel ist ledig­lich infe durch inf (der tat­säch­li­chen Infla­ti­on zwi­schen Jän­ner 2008 und Dezem­ber 2013) zu erset­zen. Wir ver­glei­chen also den Bar­wert eines Kre­dit­kon­trak­tes auf Basis der erwar­te­ten Infla­ti­on mit jenem auf Basis der tat­säch­li­chen Infla­ti­on. Ist letz­te­re gerin­ger als erwar­tet erhöht sich der Bar­wert ent­spre­chend. Die posi­ti­ve Dif­fe­renz zwi­schen BW1-BW2 misst die­se rea­le Auf­wer­tung der Ver­schul­dung. Der Effekt ist ver­gleich­bar mit dem rea­len Anstieg eines Fremd­wäh­rungs­kre­dits infol­ge der Auf­wer­tung der Fremd­wäh­rung gegen­über der eige­nen Wäh­rung. Die Berech­nun­gen zei­gen, dass auch hier die Peri­phe­rie nega­tiv betrof­fen ist, was ins­be­son­de­re wegen der erhöh­ten pri­va­ten Ver­schul­dung dort pro­ble­ma­tisch erscheint. Die Wer­te stel­len aber sicher eine obe­re Gren­ze dar: Ers­tens, ca. 50% aller Unter­neh­mens- und Haus­halts­kre­di­te im Euro­raum sind varia­bel ver­zinst (der Fisher-Effekt ist zwangs­läu­fig klei­ner). Und zwei­tens, die Infla­ti­ons­er­war­tun­gen in der Peri­phe­rie haben sich seit Anfang 2008 ver­rin­gert (spä­ter abge­schlos­se­ne Kon­trak­te sind daher weni­ger von der rea­len Auf­wer­tung betroffen).

Das hier beschrie­be­ne Dilem­ma ist viel­fach dis­ku­tiert wor­den. Als Aus­weg wird meist eine (tem­po­rä­re) Erhö­hung des EZB-Infla­ti­ons­ziels vor­ge­schla­gen (Schmitt-Grohé und Uri­be, 2013). Dabei wird ver­ges­sen, dass das gül­ti­ge Infla­ti­ons­ziel an sich genug Spiel­raum bie­tet um das Dilem­ma zu lösen (Pisa­ni-Fer­ry und Mer­ler, 2012). Die Fra­ge ist, ob und wie man es erfüllt?[7] Obi­ge Abbil­dung ver­gleicht die Bei­trä­ge der ein­zel­nen Län­der und Län­der­grup­pen zur Infla­ti­ons­ra­te im Euro­raum auf Basis der Län­der­ge­wich­te im har­mo­ni­sier­ten Ver­brau­cher­preis­in­dex (HVPI) im Jahr 2013. Das Prin­zip die­ser Gewich­te ist ein­fach: Je grö­ßer der Anteil eines Lan­des an den gesam­ten Kon­sum­aus­ga­ben des Euro­raums, des­to grö­ßer sein Gewicht[8]. Wenn jedes der 17 Mit­glieds­län­der das Infla­ti­ons­ziel von 2% errei­chen wür­de, dann erge­ben sich die rela­ti­ven Antei­le des SOLL-Sze­na­ri­os aus die­sen Gewich­ten (ganz links abge­bil­det). In die­sem Fall erreicht der Euro­raum sein Infla­ti­ons­ziel von 2% und jedes Land leis­tet einen (vor den Gewich­ten) glei­chen Bei­trag. Im Durch­schnitt von 1999 bis 2008 (WAR-Sze­na­rio) wur­de das Infla­ti­ons­ziel über­schrit­ten (teils durch posi­ti­ve Schocks bei den vola­ti­len Kom­po­nen­ten und teils durch einen über­pro­por­tio­nal hohen Bei­trag der Peri­phe­rie geg. dem SOLL-Sze­na­rio), im Durch­schnitt von 2009 bis 2013 (IST-Sze­na­rio) wur­de das Infla­ti­ons­ziel unter­schrit­ten. Alle Län­der bzw. Län­der­grup­pen tru­gen dazu bei. Auf­fal­lend ist auch, dass Deutsch­lands Bei­trag seit 1999 im Durch­schnitt unter sei­nem Soll lag (das sind ca. 0.1 Pro­zent­punk­te pro Jahr bzw. 1.5 Pro­zent­punk­te kumu­liert über 15 Jah­re). Wären die deut­schen Ver­brau­cher­prei­se seit 1999 mit der Ziel­in­fla­ti­on gewach­sen, wäre das Preis­ni­veau heu­te (2013) gut 7% höher. Das ist eine beträcht­li­che Infla­ti­ons­lü­cke, die sich in den letz­ten Jah­ren noch wei­ter ver­grö­ßert hat.

Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen hat die Peri­phe­rie wenig Spiel­raum, die not­wen­di­gen Kor­rek­tu­ren vor­zu­neh­men, ohne in eine defla­tio­nä­re Spi­ra­le zu gera­ten. Der Schlüs­sel zur Lösung des Dilem­mas ist die deut­sche Bin­nen­nach­fra­ge. Ein stär­ke­res, von der Bin­nen­nach­fra­ge getra­ge­nes BIP-Wachs­tum in Euro­pas größ­ter Volks­wirt­schaft führt – über den bekann­ten Zusam­men­hang der Phil­lips-Kur­ve[9] – auch zu einer höhe­ren Infla­ti­ons­ra­te im Euro­raum. Ers­te Vor­schlä­ge dazu gibt es bereits. Das Deut­sche Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (DIW) etwa emp­fiehlt zusätz­li­che öffent­li­che Inves­ti­tio­nen in den Berei­chen Ener­gie, Ver­kehrs­in­fra­struk­tur und Bil­dung (DIW 2013). Auch die Macroeco­no­mic Imba­lan­ce Pro­ce­du­re (MIP) der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on (EK) for­dert Maß­nah­men zur Stär­kung der Bin­nen­nach­fra­ge. Die Schlüs­sel­rol­le wird der Lohn­po­li­tik zukom­men. Über ihren Ein­fluss auf den pri­va­ten Kon­sum und die Pro­duk­ti­ons­kos­ten wirkt sie dop­pelt auf die Infla­ti­ons­ra­te. Die gute Beschäf­ti­gungs­si­tua­ti­on 2013 erlaub­te Tarif­ab­schlüs­se von durch­schnitt­lich über 3% (WSI 2014). Für 2014 wer­den noch höhe­re Zuwäch­se erwartet.

Domi­nik Bern­ho­fer, Oes­ter­rei­chi­sche Natio­nal­bank (OeNB)


[1] IE, EL, PT, IT, ES, SICY.

[2] Seit 01.01.2014 ist Lett­land das 18. Mit­glied des Euro­raums. Ob der kur­zen Zeit­span­ne wird es in unse­ren Über­le­gun­gen und Berech­nun­gen aber noch nicht berücksichtigt.

[3] Prei­se für Ener­gie und unver­ar­bei­te­te Lebensmittel.

[4] Ein schwä­che­res Wachs­tum von Löh­nen, Gewin­nen und Prei­sen dros­selt die Import­nach­fra­ge, erhöht die preis­li­che Wett­be­werbs­fä­hig­keit (was wie­der­um die Export­nach­fra­ge aus dem Aus­land ver­stärkt) und redu­ziert damit die außen-wirt­schaft­li­chen Defi­zi­te. Das Argu­ment setzt eine rela­tiv höhe­re Infla­ti­ons­ra­te bei den Han­dels­part­nern der Peri­phe­rie voraus.

[5] Wir ver­wen­den den com­po­si­te cost of bor­ro­wing Indi­ka­tor der EZB, der die typi­schen Nomi­nal­zin­sen für kurz- und lang­fris­ti­ge Unter­neh­mens- und Haus­halts­kre­di­te pro Mit­glieds­land ermittelt.

[6] Wir berech­nen die Infla­ti­ons­er­war­tun­gen als die durch­schnitt­li­che Infla­ti­ons­ra­te der letz­ten 24 Mona­te (adap­ti­ve Erwar­tun­gen). Um einer etwaig höhe­ren Per­sis­tenz die­ser Erwar­tun­gen Rech­nung zu tra­gen, wur­den die Berech­nun­gen auch mit 48 Mona­ten durch­ge­führt. Die Ergeb­nis­se blei­ben im Wesent­li­chen unverändert.

[7] Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass das EZB-Infla­ti­ons­ziel von knapp unter 2% mit­tel­fris­tig zu errei­chen ist.

[8] Anteil Deutsch­land: 26.2%, Anteil Peri­phe­rie (IE, PT, EL, ES, IT, SI und CY): 38.8%, Anteil Rest: 35.0%.

[9] Sie beschreibt den Zusam­men­hang zwi­schen (der Ver­än­de­rung der) Infla­ti­ons­ra­te und der Arbeitslosigkeit.


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