G-20-Finanzgipfel: mehr Kontinuität als Wandel – BEIGEWUM

G-20-Finanzgipfel: mehr Kontinuität als Wandel

am 8. April 2009 um 11:47h

Der G‑20-Gip­fel zur Finanz­kri­se Anfang April in Lon­don brach­te zwar etwas mehr als erwar­tet, blieb aber weit hin­ter den Not­wen­dig­kei­ten zurück. Die Erwar­tun­gen waren durch die unter­schied­li­chen Inter­es­sen­la­gen und offen aus­ge­tra­ge­nen Dif­fe­ren­zen der zen­tra­len inter­na­tio­na­len Mäch­te gedämpft.

Die US-Regie­rung dräng­te im Vor­feld stark auf inter­na­tio­na­le Kon­junk­tur­pa­ke­te, zeig­te aber wenig Enthu­si­as­mus für weit­ge­hen­de Regu­lie­rungs­vor­schlä­ge. Das ist ange­sichts des hyper­tro­phen US-Finanz­sek­tors auch nicht über­ra­schend. Neben fis­ka­li­schen Anrei­zen setzt die US-Regie­rung beson­ders stark auf die Wie­der­be­le­bung der Kre­dit­me­cha­nis­men. Impul­se sol­len aus der Finanz­sphä­re kom­men. In den letz­ten Jahr­zehn­ten stan­den bei Wirt­schafts­auf­schwün­gen in den USA nicht mehr die Indus­trie und die pro­duk­ti­ven Inves­ti­tio­nen im Vor­der­grund, son­dern der Finanz- und Immo­bi­li­en­sek­tor. Die deut­sche Bun­des­re­gie­rung zeig­te sich gegen­über wei­te­ren Kon­junk­tur­pa­ke­ten ableh­nend und stell­te statt­des­sen Regu­lie­rungs­fra­gen in den Vor­der­grund. Die deut­sche Öko­no­mie ist über­mä­ßig stark auf den Export aus­ge­rich­tet und lei­det jetzt stark unter den Export­ein­brü­chen. Der deut­sche Poli­tik- und Wirt­schafts­main­stream setzt wei­ter auf Expor­te als Weg aus der Kri­se. Nur die Links-Par­tei, lin­ke Gewerk­schaf­ter, glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­sche Grup­pen und eini­ge kri­ti­sche Öko­no­men for­dern eine Reori­en­tie­rung auf den Bin­nen­markt und star­ke fis­ka­li­sche Impul­se sowie eine expan­si­ve Lohn­po­li­tik. Dies wird von der Bun­des­re­gie­rung abge­lehnt. Sie negiert, dass die Kri­se auch etwas mit Ver­tei­lungs­fra­gen – wie hohen anla­ge­su­chen­den Ein­kom­men der obe­ren Mit­tel­schich­ten und beim Kon­sum Kom­pen­sa­ti­on nied­ri­ger Ein­kom­men durch stei­gen­de Auf­nah­me von Kon­sum­kre­di­ten –  sowie glo­ba­len Ungleich­ge­wich­ten zu tun hat. Sie iden­ti­fi­ziert als zen­tra­le Ursa­che der Kri­se pri­mär Fehl­re­gu­lie­run­gen der Finanz­märk­te, die tat­säch­lich ein wich­ti­ger, aber nicht der ein­zi­ge wich­ti­ge Kri­sen­fak­tor waren. Bei der deut­schen Posi­ti­on ist zu beach­ten, dass durch den inter­na­tio­na­len Bedeu­tungs­ge­winn des angel­säch­si­schen Finanz­markt­mo­dells das deut­sche Wirt­schafts­mo­dell mit sei­nen tra­di­tio­nell engen Bezie­hun­gen zwi­schen Ban­ken und Indus­trie ero­diert war. Die chi­ne­si­sche Regie­rung zeig­te sich ange­sichts der unkon­ven­tio­nel­len und stark expan­si­ven Geld­po­li­tik der US-Zen­tral­bank offen um die rie­si­gen chi­ne­si­schen Finanz­an­la­gen in den USA besorgt. Aus Chi­na kamen ers­te Stim­men, wel­che die Rol­le des US-Dol­lars als zen­tra­le US-Reser­ve­wäh­rung vor­sich­tig in Fra­ge stellten.

Die Pas­sa­gen zur wirt­schaft­li­chen Sti­mu­lie­rung sind eher all­ge­mein gehal­ten. Beson­de­res Gewicht legt die Abschluss­erklä­rung auf die Wie­der­her­stel­lung eines „nor­ma­len Kre­dit­flus­ses“. Hier­bei ist unklar, was „nor­mal“ eigent­lich bedeu­tet. Soll­te hier­mit die exzes­si­ve Kre­dit­ver­ga­be der letz­ten Jah­re gemeint sein, wür­de dies die Fort­set­zung eines grund­sätz­lich sehr kri­sen­an­fäl­li­gen Wirt­schafts­mo­dells bedeu­ten. In den USA gibt es bereits jetzt Anstren­gun­gen, den Han­del mit inno­va­ti­ven Finanz­ak­ti­va, die in der Kri­se ihre destruk­ti­ve Wir­kung deut­lich zeig­ten, mit staat­li­cher Hil­fe wie­der in Gang zu brin­gen. Ein­zel­ne Ban­ken schei­nen auf die­se Poli­tik, die auch den USA nicht unum­strit­ten ist, ansprin­gen zu wollen.

Etwas mehr Regu­lie­rung soll es aller­dings auch geben. Das Finan­cial Sta­bi­li­ty Forum soll zu einem Finan­cial Sta­bi­li­ty Board (FSB) mit ver­stärk­tem Man­dat aus­ge­baut wer­den. Das FSB soll sich unter ande­rem um den Auf­bau eines Früh­warn­sys­tems für die Finanz­märk­te und die Ver­än­de­rung der Auf­sichts­sys­te­me küm­mern. Regu­lie­rung und Auf­sicht sol­len „auf alle sys­te­misch wich­ti­gen Finanz­in­sti­tu­tio­nen, ‑instru­men­te und –märk­te“ aus­ge­dehnt wer­den. Hier­zu sol­len auch „sys­te­misch wich­ti­ge Hedge­fonds“, die mit sehr hoher Kre­dit­fi­nan­zie­rung spe­ku­la­ti­ver Akti­vi­tä­ten arbei­ten, gehö­ren. Was „sys­te­misch wich­tig“ ist, ist in der Erklä­rung nicht defi­niert und ziem­lich inter­pre­ta­ti­ons­fä­hig. Von einer umfas­sen­den Kon­trol­le kann so kei­nes­falls die Rede sein. Mehr Trans­pa­renz ist allein nicht aus­rei­chend. Bereits vor der Kri­se waren Kri­sen­ge­fah­ren durch­aus erkenn­bar, doch folg­ten kei­ne prä­ven­ti­ven Gegen­maß­nah­men. Die Regu­lie­rungs­be­hör­den zeig­ten sich all­zu eng auf die Wün­sche der Finanz­welt aus­ge­rich­tet. Not­wen­dig wären ein Ver­bot ver­schie­de­ner inno­va­ti­ver Finanz­in­stru­men­te sowie eine Geneh­mi­gungs­pflicht für neue Instru­men­te. Von ent­spre­chen­den Schrit­ten ist in der Dekla­ra­ti­on kein Wort zu fin­den. Auf Steu­er­pa­ra­die­se soll ver­stärk­ter Druck aus­ge­übt wer­den. Hier­bei wird eher auf die Unter­bin­dung von Steu­er­flucht als auf den eben­falls sehr wich­ti­gen Aspekt der Regu­lie­rungs­flucht abge­stellt. Man­geln­de Regu­lie­rung und Auf­sicht machen neben steu­er­lich „para­die­si­schen“ Zustän­den die Haupt­at­trak­ti­vi­tät der Steu­er­pa­ra­die­se auf. Viel­fach han­delt es sich bei die­sen „Para­die­sen“ übri­gens um klei­ne Res­te des kolo­nia­len Impe­ri­ums Groß­bri­tan­ni­ens und der Niederlande.

Die viel­leicht unmit­tel­bar stärks­te Wir­kung des G‑20-Gip­fels ist die Stär­kung des IWF (und ande­rer inter­na­tio­na­ler Finanz­in­sti­tu­tio­nen). Über den IWF soll Liqui­di­tät für Län­der der Semi-Peri­phe­rie (wie Tei­le Ost­eu­ro­pas oder Latein­ame­ri­kas) und der Peri­phe­rie bereit­ge­stellt wer­den. Hier­bei wer­den auch kon­kre­te Sum­men genannt, die aller­dings zum Teil nur Bekräf­ti­gun­gen bereits frü­he­rer Beschlüs­se sind. Der IWF hat die Wirt­schafts­po­li­ti­ken, die zur gegen­wär­ti­gen Kri­se geführt haben, sys­te­ma­tisch unter­stützt. Wirt­schafts­po­li­tisch hat er sei­ne Linie kaum kor­ri­giert. Grund­le­gen­de Ursa­chen der Ver­schul­dung von (semi-)peripheren Öko­no­mien gehen sei­ne Pro­gram­me nicht an, oft­mals zemen­tie­ren sie die­se sogar. Die Stimm­rechts­ver­tei­lung im IWF ist hoch­gra­dig unde­mo­kra­tisch zu Guns­ten der Indus­trie­län­der (vor allem der USA) ver­zerrt und wird abseh­bar auch bei den ange­peil­ten Stimm­rechts­re­for­men höchst pro­ble­ma­tisch blei­ben. Eine weit bes­se­re Alter­na­ti­ve wäre die Ver­ga­be von Liqui­di­tät über UNO-Organisationen.

Das G‑20-Tref­fen zeigt geo-poli­ti­sche Ver­schie­bun­gen an. Im Gegen­satz zu den bis­he­ri­gen G‑7-Tref­fen saßen gro­ße Län­der des Südens mit am Tisch. Chi­na ist ein zwar noch recht dis­kre­ter, aber doch zen­tra­ler Akteur. Die US-Regie­rung ist zumin­dest zu Teil­kom­pro­mis­sen gezwun­gen. Im Kern zeich­net sich ab, dass Kern­ele­men­te der Wirt­schafts­mo­del­le der letz­ten drei Jahr­zehn­te bewahrt und um eine etwas ver­stärk­te Kon­trol­le ergänzt wer­den sol­len. Der kleins­te gemein­sa­me Nen­ner lie­ße sich so beschrei­ben: So viel Kon­ti­nui­tät mit den Jah­ren des Neo­li­be­ra­lis­mus wie mög­lich und eine Begren­zung der Kor­rek­tu­ren auf das unver­meid­lich Scheinende.

Ein Kommentar:

  1. kurtbayer am 15.April 2009 um 12:40h

    Wie bei allen „Gip­feln“ war auch der kürz­li­che G‑20 Gip­fel voll von voll­mun­di­gen Ankün­di­gun­gen, die gro­ßen Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum zulas­sen und deren Effek­ti­vi­tät erst durch ihre noch zu erfol­gen­de natio­na­le Umset­zung sich erwei­sen muß. Dabei spielt der Wunsch vie­ler, zum sta­tus quo ante zurück­zu­keh­ren, weil sie davon pro­fi­tiert haben eben­so eine Rol­le wie der Wunsch eini­ger Län­der nach grund­le­gen­der Ver­än­de­rung (vor allem bei Schwel­len­län­dern; da die ärms­ten nicht ein­ge­la­den waren, konn­ten sie ihre dies­be­züg­li­chen Wün­sche nicht arti­ku­lie­ren, die­se gehen jedoch kei­nes­wegs – sie­he Doha – Hand in Hand mit jenen der Schwellenländer).
    Ein neu­es Wirt­schafts­mo­dell ist jeden­falls nicht ein­mal in Ansät­zen sicht­bar – bes­ten­falls ein etwas gezähm­te­res altes.


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